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Sozialgericht Aachen

Quelle: Justiz NRW

Sozialgericht Aachen: SG Aachen digital!

14.08.2024

Als drittes Sozialgericht in Nordrhein-Westfalen stellte das Sozialgericht Aachen Anfang 2023 von der Papierakte auf die elektronische Akte um – eine Anstrengung, die engagiert gemeistert wurde und das Arbeiten in vielen Bereichen erleichtert. Das Gericht kommuniziert nun auf den hierfür vorgesehenen sicheren Übertragungswegen elektronisch nicht nur mit Rechtsanwälten und Behörden, sondern zwischenzeitlich auch mit den meisten Sozialverbänden. Bürgerinnen und Bürger können sich gleichwohl auch noch in Papierform an das Gericht wenden.

Das Thema eAkte stand auch im Mittelpunkt eines vom Sozialgericht veranstalteten Sachverständigensymposiums "Recht und Medizin im Dialog" mit über 50 Ärztinnen und Ärzten. Der Ausblick, unkompliziert – und ohne sog. "Medienbrüche" - mit dem Gericht kommunizieren zu können, stieß bei den Sachverständigen auf großes Interesse.

Weitere Veränderungen betrafen die personelle Situation. Mit der Berufung von Dr. Oliver Dammers zum Vizepräsidenten des Sozialgerichts Ende Mai letzten Jahres ist die Führungsspitze des SG Aachen wieder komplett. Elternzeiten, Pensionierung und Weggänge in der Richterschaft waren aufzufangen und führten zu einer geringfügigen Unterbesetzung des Gerichts zum Ende des Jahres.

Dabei stiegen die Verfahrenseingänge im Vergleich zum Vorjahr um 10 % von 3.221 auf 3.544 insgesamt. Besonders stark nahmen die Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mit einem Anstieg von 21,1 % zu. Die Richterinnen und Richter erledigten demgegenüber 2.779 Klagen und Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, rund 228 pro Arbeitskraft. Für effektiven Rechtsschutz war dabei gesorgt: Im Schnitt dauerten Klageverfahren 11,2 Monate; Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes waren nach durchschnittlich nur 1,1 Monaten erledigt.

Die Corona-Pandemie wirft weiterhin lange Schatten auf die Sozialgerichtsbarkeit. So waren am SG Aachen auch 2023 noch Rechtsstreitigkeiten um Kurzarbeitergeld zu klären und spielten Long-Covid-Erkrankungen im Renten- und Schwerbehindertenrecht eine Rolle. Zahlreiche Prozesse werden noch erwartet – etwa im Unfallversicherungsrecht bei Infektionen von Beschäftigten mit Corona in ihrem beruflichen Umfeld oder im Hinblick auf behauptete Impfschäden.

Mehr als ein Fünftel aller Verfahren betraf das Krankenversicherungsrecht. Hier hatten sich die Kammern mit den unterschiedlichsten Rechtsfragen zu beschäftigen. So gab die 13. Kammer dem Eilantrag eines schwer an Morbus Crohn erkrankten Antragstellers statt und verpflichtete dessen Krankenkasse, ihn mit einem nicht für sein Krankheitsbild zugelassenen Arzneimittel im sogenannten Off-Label-Use zu versorgen. Der Antragsteller litt infolge seiner Erkrankung an einem 6H-Syndrom, das sich in stark erniedrigten Phosphatwerten im Blut äußerte und zu Knochenaufweichungen und multiplen Brüchen sowie starken Schmerzen im gesamten Skelettsystem führte. Nach Auffassung der Kammer stand im Fall des Antragstellers eine allgemein anerkannte Leistung zur Behandlung des 6H-Syndroms nicht zur Verfügung und hatte der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass das begehrte Arzneimittel zu einer deutlichen Verbesserung seines Leidens führt (Beschluss vom 18.07.2023 - S 13 KR 443/23 ER).

Im Falle eines 23jährigen querschnittsgelähmten Studenten sprach die 15.Kammer die Versorgung mit einem motorbetriebenen, computergesteuerten Exoskelett zu, das dem Kläger durch außen angelegte Orthesen vom Sprunggelenk bis zur Hüfte, die durch kleine Veränderungen des Körperschwerpunkts bewegt werden, einen natürlichen Gang ermöglichte. Das Hilfsmittel erfülle ein Grundbedürfnis, da es das Stehen und Gehen ermögliche; die Versorgung mit dem Exoskelett sei geeignet und notwendig (Urteil vom 17.03.2023 - S 15 KR 68/19).

Mit einem ganz anderen Bereich des Krankenversicherungsrechts von besonderer Tragweite befasste sich die 6. Kammer des Sozialgerichts. Sie hatte darüber zu befinden, ob die gesetzliche Krankenkasse Anspruch auf Schadensersatz gegen ein pharmazeutisches Unternehmen hat, wenn es Generikaabschläge nicht gemeldet hat und seine Arzneimittel daher an Versicherte zu Lasten der Krankenkasse ohne diese Abschläge abgegeben wurden (Urteil vom 31.05.2023 - S 6 KR 513/20 – nicht rechtskräftig).

Im Schwerbehindertenrecht hatten sich die zuständigen Kammern wiederholt mit der Frage zu beschäftigen, unter welchen Voraussetzungen bei einer Erkrankung an Diabetes mellitus eine Schwerbehinderung anzunehmen ist. Nach den einschlägigen Versorgungsmedizinischen Grundsätzen wird ein Grad der Behinderung von 50 erst dann erreicht, wenn die Betroffenen- neben der Notwendigkeit von vier Insulininjektionen (bzw. Insulingaben über eine Insulinpumpe) täglich, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, - durch erhebliche Einschnitte in der Lebensführung gravierend beeinträchtigt sind. Solche erheblichen Einschnitte hat die 26. Kammer im Falle eines dreijährigen Klägers in dessen unzureichendem Therapieerfolg gesehen. Bei dem Kläger sei eine instabile Stoffwechsellage festzustellen. Der Blutzucker sei unbefriedigend eingestellt und

befinde sich zu häufig nicht im Zielbereich, was aufgrund des jugendlichen Alters des Klägers zu einem höheren Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen und einer kürzeren Lebensdauer führen könne (Urteil vom 02.10.2023 – S 26 SB475/21 – nicht rechtskräftig).

In den Rentenkammern waren neben Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und Betriebsprüfungen vorrangig Erwerbsminderungsrenten Streitgegenstand. Die 25. Kammer sprach einer gehörlosen Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer zu, da sie diese als auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr einsatzfähig erachtete. Zwar seien der Klägerin allein aufgrund der geltend gemachten Einschränkungen im orthopädischen Gebiet leichte bis mittelschwere Arbeiten noch zumutbar. Durch die hinzutretende Gehörlosigkeit seien jedoch Einsatzmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht ersichtlich. Die Ausübung leichterer, zumutbarer Tätigkeiten setzten ausnahmslos ein Mindestmaß an Kommunikationsfähigkeit voraus, da andernfalls Weisungen nicht erteilt werden könnten (Urteil vom 16.10.2023 – S 25 R 191/22).

„Die hier exemplarisch genannten Beispiele machen deutlich, dass sich Bürgerinnen und Bürger in den verschiedensten Lebenslagen und zwar oft gerade in solchen, in denen sie besonderer Hilfe bedürfen, an das Sozialgericht wenden. Hierbei erwarten sie zu Recht eine schnelle und kompetente Gewährung von Rechtsschutz. Dies ist uns – trotz der noch spürbaren Nachwirkungen der Corona-Pandemie und der Umstellung auf die digitale Aktenführung – erneut gut gelungen. Damit dies auch in Zukunft so bleibt, sind die Gerichte – und auch das Sozialgericht Aachen – aber weiterhin auf eine gute personelle Besetzung und ein optimales Funktionieren der zur Verfügung stehenden IT angewiesen“, fasst der Präsident des Sozialgerichts Dr. Volker Bischofs das vergangene Jahr 2023 zusammen.

Für Fragen, Kommentare und Anregungen steht Ihnen zur Verfügung: pressestelle@sg-aachen.nrw.de