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Die örtliche Zuständigkeit für Streitigkeiten einer im Flugbetrieb aufgrund von § 117 Abs. 2 Satz 1 BetrVG gewählten besonderen Arbeitnehmervertretung richtet sich entsprechend dem Sinn und Zweck des § 82 ArbGG danach, für welchen organisatorischen Bereich die Vertretung geschaffen wurde, ob eine unternehmensweite Vertretung gebildet wurde für mehrere Basen oder eine Arbeitnehmervertretung nur für eine Basis. Im Fall einer für die gesamte Bundesrepublik Deutschland gebildeten Personalvertretung ist das Arbeitsgericht am Sitz des Unternehmens zuständig.
Für die Entscheidung des Verfahrens ist das Arbeitsgericht Köln
örtlich zuständig.
G R Ü N D E :
2I.
3Die Beteiligte zu 2. ist ein Luftverkehrsunternehmen mit etwa 900 im Flugbetrieb beschäftigten Kapitänen und ersten Offizieren. Zusätzlich zu dem Cockpitpersonal beschäftigt sie Arbeitnehmer im Bereich der Kabinen und im Bodenpersonal. Sitz des Unternehmens ist Düsseldorf. Dort befindet sich die Hauptbasis. Weitere Basen befinden sich in Berlin, Hamburg, Köln/Bonn, Nürnberg und Stuttgart.
4Die Beteiligte zu 1. ist die bei der Beteiligten zu 2. gemäß § 117 Abs. 2 Satz 1 BetrVG durch Tarifvertrag errichtete Personalvertretung für die Beschäftigten des Cockpitpersonals (B.). Nach Abschnitt I. § 1 Abs. (2) des Tarifvertrages Personalvertretung Nr. 2 für die Beschäftigten des Cockpitpersonals der V. GmbH erstrecken sich die Aufgaben und Befugnisse dieser Personalvertretung auf den Bereich der Bundesrepublik Deutschland.
5Mit dem beim Arbeitsgericht Düsseldorf eingeleiteten Beschlussverfahren wendet sich die Beteiligte zu 1. gegen einen Spruch der Einigungsstelle vom 11.12.2023 zum Auswahlverfahren für das Ausbildungspersonal von Cockpit-Mitarbeitern.
6Nach Anhörung der Beteiligten hat sich das Arbeitsgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 21.03.2024 für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Arbeitsgericht Köln verwiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die örtliche Zuständigkeit in Beschlussverfahren richte sich gemäß § 82 Abs. 1 ArbGG nach dem Sitz des Betriebes. Für den Betriebsbegriff gelte nicht das Betriebsverfassungsgesetz, sondern es sei auf der Grundlage von § 117 Abs. 2 BetrVG auf den Flugbetrieb abzustellen und auf das hier geltende personenbezogene Verständnis. Maßgeblich für die Leitung dieses Flugbetriebes sei der Sitz der Geschäftsführung und der Leitung des Personalbereichs. Dieser Personenkreis befinde sich in Köln.
7Das Arbeitsgericht Köln hält sich an den Verweisungsbeschluss für nicht gebunden. Es meint, die Verweisung sei greifbar gesetzeswidrig erfolgt. Für die örtliche Zuständigkeit sei maßgebend, für welchen Bereich die Personalvertretung errichtet worden sei. Wenn der Tarifvertrag in persönlicher Hinsicht für alle an einer Basis stationierten im Flugbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer gelte, sei diese Basis der maßgebliche Bereich. Nach dem hier einschlägigen Tarifvertrag würden sich aber die Aufgaben und Befugnisse der Antragstellerin auf den Bereich der Bundesrepublik Deutschland erstrecken. Mithin umfasse der Tarifvertrag sämtliche Basen der Beteiligten zu 2. in Deutschland und damit auch die Hauptbasis in Düsseldorf. Daraus folge zwanglos die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Düsseldorf, welche die Antragstellerin gemäß § 35 ZPO habe wählen können.
8Mit Beschluss vom 17.05.2024 hat das Arbeitsgericht Köln sich ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und das Landesarbeitsgericht Düsseldorf um Bestimmung des örtlich zuständigen Arbeitsgerichts ersucht.
9Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte verwiesen.
10II.
11Das Arbeitsgericht Köln ist aufgrund der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 21.03.2024 zur Entscheidung des Verfahrens örtlich zuständig.
121.Die Voraussetzungen für die Durchführung eines Bestimmungsverfahrens in entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO i.V.m. §§ 80 Abs. 2 Satz 1, 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG liegen vor. Die Regelung findet auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren Anwendung (LAG Hamm 22.02.2021 - 1 SHa 1/21 - Rn. 14; LAG Berlin-Brandenburg 20.04.2015 - 21 SHa 462/15 - Rn. 12, LAGE § 36 ZPO 2002 Nr. 5). Sowohl das Arbeitsgericht Düsseldorf als auch das Arbeitsgericht Köln haben sich im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für unzuständig erklärt, das Arbeitsgericht Düsseldorf durch nach §§ 48 Abs. 1 Nr. 1, 80 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 17a Abs. 2 GVG unanfechtbaren Beschluss vom 21.03.2024, das Arbeitsgericht Köln durch die Vorlageentscheidung vom 17.05.2024, mit der es ebenfalls eine seine Zuständigkeit abschließend verneinende Entscheidung getroffen hat. Auch letztere genügt den Anforderungen, weil es im Rahmen von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO allein darauf ankommt, ob eine beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (vgl. BAG 09.02.2006 - 5 AS 1/06; OLG Brandenburg, 25.05.2011 - 1 AR 25/11; Zöller/Schultzky, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 36 Rn. 35 m.w.N.).
132. Der Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf ist für das Arbeitsgericht Köln bindend.
14a)Die Verweisung des Rechtsstreits ist grundsätzlich unabänderlich und bindend für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist (§§ 48 Abs. 1 Nr. 1, 80 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG). Dem Grundsatz nach ist auch ein rechtskräftiger Verweisungsbeschluss, der nicht hätte ergehen dürfen, einer weiteren Überprüfung entzogen. Die Bindungswirkung entfällt ausnahmsweise nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG ergangen anzusehen ist, weil er auf einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (BAG 05.09.2018 - 9 AS 3/18 - NZA 2019, 202, Rn. 12; BAG 10.10.2017 - 9 AS 5/17 - BeckRS 2017, 129754 Rn. 9).
15b)Der Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf erweist sich zwar als fehlerhaft, er ist aber nicht willkürlich.
16aa)Das Arbeitsgericht Düsseldorf hat im Ausgangspunkt auf § 82 Abs. 1 Satz 1 ArbGG abgestellt. Danach richtet sich die örtliche Zuständigkeit im Beschlussverfahren nach dem Sitz des Betriebes. Der Begriff des Betriebes bestimmt sich dabei an sich nach materiellem Betriebsverfassungsrecht (BAG 19.06.1986 - 6 ABR 66/84 - NZA 1987, 321). Auf die im Flugbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen ist das Betriebsverfassungsgesetz gemäß § 117 Abs. 1 Satz 2 BetrVG indes nicht anwendbar, wenn - wie im Streitfall - eine Personalvertretung durch Tarifvertrag nach § 117 Abs. 2 Satz 1 BetrVG errichtet worden ist. In diesem Fall kommt es mithin nicht darauf an, ob und wo die Arbeitgeberin einen Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn errichtet hat (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 08.02.2011 - 7 TaBV 2744/10).
17bb)§ 82 ArbGG erfasst danach nicht den Fall einer nach § 117 Abs. 2 Satz 1 BetrVG durch Tarifvertrag gebildeten Arbeitnehmervertretung. Die Vorschrift ist unvollständig und lässt insgesamt eine Regelung zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit bei Streitigkeiten einer durch Tarifvertrag gebildeten besonderen Arbeitnehmervertretung vermissen (vgl. § 3 Abs. 1 BetrVG).
18cc)Die Regelungslücke ist nicht - wie das Arbeitsgericht Düsseldorf meint - durch einen Blick auf den Sitz des Leitungsapparats, der mit der gebildeten Personalvertretung verhandelt und die Entscheidungen trifft, zu schließen und damit durch einen Rückgriff auf die Kriterien des organisationsbezogenen betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriffs, sondern im Einklang mit der h.M. im Schrifttum nach Sinn und Zweck des § 82 BetrVG (vgl. Ahrendt / Bader / Horcher / Krumbiegel / Mikosch / Schleusener / Schütz / Vossen, GK-ArbGG, 2023, § 82 ArbGG Rn. 35; ErfK/Koch, 24. Aufl. 2024, § 82 ArbGG Rn. 2; GMP/Spinner, 10. Aufl. 2022, § 82 ArbGG Rn. 10, 13; Grunsky/Waas/ Benecke/Greiner ArbGG, 8. Aufl. 2014, § 82 Rn. 6; Natter/Gross/ Roos ArbGG, 2. Aufl. 2013, § 82 Rn. 13).
19(1)Nach § 82 ArbGG richtet sich die örtliche Zuständigkeit im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nicht - wie nach der ZPO - nach dem Gerichtsstand der Beteiligten, sondern es kommt darauf an, ob die Betriebs- oder die Unternehmens- bzw. Konzernebene betroffen ist. Bei Unternehmensbezug ist das Arbeitsgericht am Sitz des Unternehmens zuständig, bei Betriebsbezug bleibt es bei der Zuständigkeit des Arbeitsgerichts am Sitz des Betriebes. Dies folgt aus § 82 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2, 3 BetrVG. Nach § 82 Abs. 1 Satz 2 und 3 BetrVG ist nämlich in Angelegenheiten des Gesamtbetriebsrats, des Konzernbetriebsrats, der Gesamtjugendvertretung oder der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung, des Wirtschaftsausschusses und der Vertretung der Arbeitnehmer im Aussichtsrat das Arbeitsgericht zuständig, in dessen Bezirk das Unternehmen seinen Sitz hat. Entsprechendes gilt in Angelegenheiten des Gesamtsprecherausschusses, des Unternehmenssprecherausschusses und des Konzernsprecherausschusses. Es soll mithin ein Gleichlauf hergestellt werden zwischen dem Prozessrecht und den betriebsverfassungsrechtlichen Möglichkeiten, unternehmenseinheitliche Regelungen zu schaffen (vgl. Ahrendt / Bader / Horcher / Krumbiegel / Mikosch / Schleusener / Schütz / Vossen, GK-ArbGG, § 82 ArbGG, Rn. 35).
20(2)Diesem Sinn und Zweck des § 82 ArbGG entspricht es, wenn im Fall einer durch Tarifvertrag gebildeten Arbeitnehmervertretung darauf abgestellt wird, für welchen organisatorischen Bereich, auf welcher Ebene, sie geschaffen wurde, ob eine betriebsbezogene bzw. dezentrale oder ob eine betriebsübergreifende bzw. unternehmensweite Vertretung gebildet wurde. (vgl. Ahrendt / Bader / Horcher / Krumbiegel / Mikosch / Schleusener / Schütz / Vossen, GK-ArbGG, 2023, § 82 ArbGG, Rn. 35 zu § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG, ebenso auch ErfK/Koch, 24. Aufl. 2024, § 82 ArbGG Rn. 2; GMP/Spinner, 10. Aufl. 2022, § 82 ArbGG Rn. 13). Entsprechend hat das LAG Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 08.02.2011 - 7 TaBV 2744/10 - in dem Fall einer auf der Grundlage eines Tarifvertrages gemäß § 117 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nur für eine Basis gewählten Arbeitnehmervertretung die Zuständigkeit für den Flughafen, von dem aus der Flugbetrieb durchgeführt wurde, bejaht.
21(3)Ausgehend von diesen Grundsätzen war vorliegend das Arbeitsgericht Düsseldorf für die Entscheidung des Verfahrens örtlich zuständig. Die durch Tarifvertrag geschaffene Personalvertretung für die Cockpitmitarbeiter ist nach Abschnitt I. § 1 Abs. (2) des Tarifvertrages Personalvertretung Nr. 2 für die Beschäftigten des Cockpitpersonals der V. GmbH für den Bereich der gesamten Bundesrepublik Deutschland und damit für alle Basen und nicht nur für eine Basis gebildet. Ihre Zuständigkeit bezieht sich auf das gesamte Unternehmen. Auch der Streit der Beteiligten, der das Ausbildungspersonal von Cockpit-Mitarbeitern betrifft, ist nicht auf eine einzelne Basis beschränkt, sondern ist unternehmensbezogen. Ist damit aber im Streitfall die Unternehmensebene betroffen, richtet sich die Zuständigkeit nach dem Sitz des Unternehmens. Das ist Düsseldorf.
22cc)Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt indes nicht vor.
23(1)Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Die Abweichung von der herrschenden Rechtsprechung oder selbst die zweifelsfrei fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes allein machen allerdings eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet wird. Von willkürlicher Missdeutung kann jedoch nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfG 01.10.2009 - 1 BvR 1969/09 - BVerfGK 16, 245 m.w.N.).
24(2)Das Arbeitsgericht Düsseldorf hat sich mit der zutreffenden Norm und dem Betriebsbegriff auseinandergesetzt, den Unternehmensbezug der Streitigkeit zwar gesehen, dabei aber die Wertungen des § 82 ArbGG und das Schrifttum dazu nicht beachtet und ist deshalb zu einem fehlerhaften Ergebnis gelangt. Folglich liegt ein Rechtsanwendungsfehler vor. Die Schwelle zur Willkürlichkeit ist nicht überschritten, auch wenn die Hinweise in den Gründen des Verweisungsbeschlusses des Arbeitsgerichts Düsseldorf auf den Sitz anderer Unternehmen und den Ort der Tagung der Einigungsstelle neben der Sache liegen.
25III.
26Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 37 Abs. 2 ZPO i.V.m. §§ 80 Abs. 2 Satz 1, 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG).
27Göttling