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Die Umsatzsteuerbescheide für 2014 bis 2016 vom 28.7.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.3.2022 werden dahingehend geändert, dass die Umsatzsteuer 2014 um weitere Vorsteuern i.H. von … €, die Umsatzsteuer 2015 um weitere Vorsteuern i. H. von … € und die Umsatzsteuer 2016 um weitere Vorsteuern i.H. von … € herabgesetzt werden.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Zwischen den Beteiligten ist der Vorsteuerabzug aus den Kosten der Erschließung eines Gewerbegebiets strittig.
3An der Klägerin (nachfolgend auch: X), die am 00.00.2003 gegründet wurde, sind im Streitzeitraum die Stadt N mit 85 % und die Bank B mit 15 % der Geschäftsanteile beteiligt. Gegenstand des Unternehmens ist […]. Mit der Gründung der Gesellschaft wurde u.a. bezweckt, neue Gewerbegebiete zu erschließen und deren Baureife herzustellen.
4Datierend auf den 00.00.2007 schlossen die Stadt N und die Klägerin einen Vertrag über die „Einbringung von Grundstücken in die X GmbH“ ab. Zudem wurde in derselben notariellen Urkunde ein Protokoll über die Gesellschafterversammlung der Klägerin vom gleichen Tag festgehalten. Wegen der Einzelheiten wird auf die Urkunde Bezug genommen. Auszugsweise heißt es hierin:
5„TEIL I: GESELLSCHAFTERVERSAMMLUNG
6[…]
72. Der Einbringung von Grundstücken gemäß dem Teil II dieser Niederschrift durch die Vertretene zu 1. in das Vermögen der X gegen eine einzubuchende freie Kapitalrücklage zum Wert von 1,00 € wird zugestimmt.
83. Die Vertretenen zu 2. bis 4. als Mitgesellschafter der X bekräftigen ausdrücklich, dass ihnen in Bezug und als Folge aus dieser Einbringung, auch angesichts der Tatsache, dass eine Zuführung zu einer gesamthänderisch gebundenen Rücklage erfolgt, keine Rechtsansprüche zustehen, weder für den Fall der Gewinnausschüttung noch für den Fall der Liquidation noch für irgendeinen anderen Fall, in dem es auf die Bemessung des Wertes des Gesellschaftsvermögens ankommt.
94. Nachrichtlich wird festgehalten und auch von allen Gesellschaftern gebilligt, dass die Einbringung in die Gesellschaft erfolgt, um die Gewerbeerwartungslandflächen zum Gewerbe- und Industriegebiet C (I N) zu entwickeln. Künftig soll die Verwaltung und Verwertung der im Teil II, § 1 genannten zukünftigen Gewerbe- und Industrieflächen nicht mehr durch die Vertretene zu 1. direkt, sondern durch ihre – wirtschaftlich gesehene – 100 %ige Tochtergesellschaft, die X, erfolgen. lm Ergebnis dient die Einbringung also ausschließlich der Umsetzung von internen Strukturänderungen bei der Vertretenen zu 1. (Verlagerung der Aktivitäten bezüglich Baureifmachung, Vermarktung und Veräußerung gewerblicher Grundstücke von der Vertretenen zu 1. unmittelbar auf die X) und ist somit unabhängig von regionalpolitischen Erwägungen einer sektorbezogenen Politik.
10[…]
11TEIL II: EINBRINGUNGSVERTRAG
12§ 1 Einbringungsgegenstände
131.1.
14Die Stadt N überträgt folgende Grundstücke/Grundstücksteilflächen an die X:
15[…]
16§ 2 Gegenleistung
17Die Einbringung des Grundbesitzes gemäß vorstehend § 1 erfolgt ohne Gegenleistung der X. Der Teilwert der Grundstücke, der unter Berücksichtigung der nachstehend in § 3 vereinbarten Bedingungen für die Einbringung und des in § 6 enthaltenen Haftungsausschlusses übereinstimmend auf 1,00 € festgelegt wird, ist vielmehr in voller Höhe der freien Kapitalrücklage der X gut zu schreiben. Der Wert wird unabhängig von der genauen Größe so bestimmt.
18§ 3 Bedingungen für die Einbringung
193.1
20Die Stadt N verbindet die Einbringung der Grundstücke an die X mit den nachfolgend aufgeführten Auflagen und die X verpflichtet sich, diese Auflagen zu erfüllen. Im Einzelnen handelt es sich um folgenden Auflagen:
213.1.1
22Die X ist verpflichtet, die Grundstücke ausschließlich als Gewerbeflächen im Rahmen des geplanten I N zu veräußern. Dies umfasst zum einen die vollständige Realisierung des Gewerbe- und Industriegebietes (u.a. Erschließung, Ausgleich) nach Maßgabe des dieser Niederschrift beigefügten Vorentwurfes des Bebauungsplans Nr. xxx oder – sofern dieser Vorentwurf zukünftig noch geändert wird – nach Maßgabe des letztendlich rechtskräftigen Bebauungsplanes sowie zum anderen alle zur Vermarktung dieser Gewerbeflächen erforderlichen Maßnahmen („verkaufsbereite Herstellung").
23[…]
243.1.3
25Sofern sich – wider derzeitigem Erwarten der Beteiligten – am Ende der Vermarktung des Gewerbegebietes ergeben sollte, dass die erzielten Verkaufserlöse die der verkaufsbereiten Herstellung der zu verkaufenden Gewerbeflächen zuzuordnenden Aufwendungen übersteigen, so ist die X verpflichtet, diesen Mehrerlös zeitnah an die Stadt N auszukehren.
263.1.4
27Sollte es dagegen im Laufe der Vermarktung der Gewerbeflächen absehbar sein, dass die verkaufsbereite Herstellung der Gewerbeflächen höhere Aufwendungen verursacht als diese über den diesbezüglich zu erzielenden Kaufpreis wieder zu erlösen sind, ist die X verpflichtet, diesen Umstand umgehend in einer Gesellschafterversammlung mitzuteilen, die dann über das weitere Vorgehen zu beschließen hat.
28[…]“
29Am 00.00.2010/00.00.2010 schlossen die Stadt N und die Klägerin zudem einen „Städtebauliche[n] Vertrag gem. §§ 11 Abs. 1, 124 Baugesetzbuch zum Bebauungsplan Nr. xxx: C – „I N“ – Industrie- und Gewerbegebiet –„ ab, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird. Hierin wird u.a. ausgeführt:
30„Teil III
31Erschließung
32§ 7
33Herstellung der (inneren) Erschließungsanlagen
34(1) Die Stadt überträgt die Erschließung innerhalb des Vertragsgebietes nach § 124 Baugesetzbuch (BauGB) auf die X. Diese verpflichtet sich zur Herstellung der in § 8 aufgeführten öffentlichen und privaten Erschließungsanlagen incl. Anschlüsse an die vorhandenen Erschließungsanlagen entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans sowie den Bestimmungen dieses Vertrages. Die X ist berechtigt, in Abstimmung mit der Stadt Dritte mit den Erschließungsarbeiten zu beauftragen.
35(2) Zur Herstellungsverpflichtung der X gehören auch die Teile der Erschließungsanlagen, die Gegenstand einer zwischen der Stadt und Straßen NRW noch abzuschließenden Bauvereinbarung sind. Diese Teile gehen nach Fertigstellung in die Baulast des Landes (Straßen NRW) über (vgl. Anlage 1)
36(3) Die Entwässerungsanlagen, die Straßen- und Wegeflächen einschl. Straßenbegleitgrün sowie die öffentlichen Grünflächen sind entsprechend den von der Stadt genehmigten bzw. noch zu genehmigenden Ausbauplänen (§ 10, Abs. 1) und Leistungsbeschreibungen für Entwässerungsanlagen, Straßenbau und Grünflächen herzustellen. Die Erschließungsanlagen sind zeitlich entsprechend den Erfordernissen der Bebauung in benutzbarem Zustand herzustellen.
37(4) Erfüllt die X ihre Verpflichtungen nicht oder fehlerhaft, so ist die Stadt berechtigt, schriftlich eine angemessene Frist zur Ausführung der Arbeiten zu setzen. Erfüllt die X auch bis zum Ablauf dieser Frist die vertraglichen Verpflichtungen nicht, so ist die Stadt berechtigt, die Arbeiten auf Kosten der X auszuführen oder durch Dritte ausführen zu lassen.
38(5) Die X hat die vertragsgegenständlichen Erschließungsanlagen so herzustellen, dass die öffentlich-rechtlichen Voraussetzungen für eine Widmung gem. den Bestimmungen des Straßen- und Wegegesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (StrWG NW) erfüllt sind. Soweit die Erschließungsanlagen nach vertragskonformer Herstellung von der Stadt gewidmet werden, erklärt die X bereits jetzt dazu gem. § 6 Abs. 5 StrWG NW die erforderliche Zustimmung. Die hiermit erteilte Zustimmung kann von der X nicht mehr einseitig widerrufen werden.
39Nach der Erschließung der Grundstücke veräußerte die Klägerin diese an verschiedene Unternehmer. In einem für die Veräußerungen exemplarischen Vertrag heißt es u.a.:
40„§ 2 Kaufpreis
41Der Kaufpreis für den in § 1 (Il) bezeichneten Grundbesitz beträgt xx,- € (in Worten: xx EUR) je m² zzgl. der jeweils geltenden gesetzlichen Umsatzsteuer von derzeit 19 %.
42Die Vertragsparteien erklären, dass sie beide Unternehmer im Sinne des § 2 UStG sind und dass die Veräußerung und der Erwerb des Kaufgegenstandes im Rahmen ihres Unternehmens erfolgen. Die Verkäuferin verzichtet hiermit auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 9 UStG und optiert gemäß § 9 UStG zur Umsatzsteuer und verpflichtet sich, diese Option nicht zu widerrufen. Die Käuferin ist Steuerschuldner der Umsatzsteuer, die sie dem Finanzamt schuldet (§13b Abs. 2 Nr. 3 UStG). Die Verkäuferin wird daher der Käuferin die Umsatzsteuer nicht in Rechnung stellen. Der Kaufpreis ist netto nach Maßgabe des vorliegenden Vertrages zu zahlen. Die Verkäuferin ist jedoch verpflichtet der Käuferin unverzüglich eine ordnungsgemäße Rechnung gemäß §14 Abs. 4 UStG auszuhändigen in welcher die Verkäuferin auf die Steuerschuldnerschaft der Käuferin als Leistungsempfänger hinweist (§ 14a UStG).
43[…]“
44Beginnend im November 2020 führte das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung N bei der Klägerin eine Außenprüfung durch. Ausweislich des Berichts über die Außenprüfung vom 21.6.2021, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird, traf der Prüfer im Wesentlichen die folgenden Feststellungen: Die von der Klägerin in 2019 für die Jahre 2014 bis 2016 geltend gemachten Vorsteuern für die Erschließungsmaßnahmen im Gewerbegebiet „I N“ in C seien nicht abziehbar, da es sich um Erschließungsanlagen handeln würde, die nach Fertigstellung zwecks Widmung als öffentliche Straßen unentgeltlich auf die Stadt N übertragen worden seien. Ein ursächlicher wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen der Erschließung und den Grundstücksverkäufen bestehe nicht. Durch die Entstehungsgeschichte der Klägerin und den vorab geschlossenen Vereinbarungen sei vielmehr von Anfang an festgelegt worden, dass die Anlagen öffentlich gewidmet und rückübertragen würden. Die Übernahme der Erschließungskosten folge damit nicht aus einer wirtschaftlichen Tätigkeit, sondern liege in der Rückführung der Anlagen begründet. Die Übernahme der Erschließung im Zusammenhang mit den Grundstücksverkäufen begründe zwar einen gewissen (organisatorischen) Vorteil für die Veräußerbarkeit, aber es sei im Allgemeinen den Grundstückserwerbern bekannt, dass die Erschließung Aufgabe der Gemeinden sei und in der Folge des Erwerbs eines unerschlossenen Grundstücks in der Regel Erschließungskosten entstehen würden. Abweichend von den dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegten Sachverhalten sei keine wirtschaftliche Existenzgefährdung der Klägerin zu befürchten, wenn sie die Erschließung unterließe. Erschließungsleistung und Grundstücksverkauf würden nach den Umständen der Tätigkeit somit keinen kausalen und wirtschaftlichen unabdingbaren Zusammenhang herstellen, der zu einem wirtschaftlichen Verbrauch führe.
45Die Klägerin reichte am 27.1.2016, 25.11.2016 und 30.11.2017 jeweils Abschlusszahlungen ausweisende Umsatzsteuererklärungen für 2014 bis 2016 ein. Für 2014 erklärte sie eine Umsatzsteuer von ./. xxx €, für 2015 eine Umsatzsteuer von ./. xxx € und für 2016 eine Umsatzsteuer von xxx €. Den Umsatzsteuerklärungen 2014 und 2015 stimmte der Beklagte jeweils zu. In ihrer berichtigten Umsatzsteuererklärung für 2014 vom 29.4.2019 mit einem Umsatzsteuerbetrag von ./. xxx € begehrte die Klägerin ein Mehr an Vorsteuern i. H. von xxx €. Durch Mitteilung vom 31.5.2019 stimmte der Beklagte auch dieser Erklärung zu. Mit Bescheid vom 28.7.2021 setzte der Beklagte – entsprechend den Ausführungen im Bp-Bericht vom 21.6.2021 – die Umsatzsteuer für 2014 erneut auf ./. xxx € herab und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Zudem hob der Beklagte mit Bescheiden ebenfalls vom 28.7.2021 jeweils den Vorbehalt der Nachprüfung zur Umsatzsteuer 2015 und 2016 auf.
46Hiergegen erhob die Klägerin jeweils Einspruch mit der Begründung, dass ihr die Vorsteuern aus der „inneren Erschließung“ des Gewerbegebietes I N in C zustünden. Neben den Vorsteuern in 2014 i. H. von xxx € mache sie für 2015 weitere Vorsteuern i. H. vom xxx € und für 2016 i. H. von xxx € geltend und reichte entsprechend berichtigte Umsatzsteuererklärungen für 2015 und 2016 ein. Der Beklagte wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 11.3.2022 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er unter Bezugnahme des vorherigen Schriftwechsels aus, dass vor dem Hintergrund der bestehenden Weisungslage (Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen – BMF-Schreiben – vom 7.6.2012 (Bundessteuerblatt – BStBl – I 2012, 621) und den zwischenzeitlich ergangenen EuGH-Urteilen (Urteil vom 14.9.2017 C-132/16, Iberdrola Inmobiliaria Real Estate Investments, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung – HFR – 2017, 1079 und Urteil vom 16.9.2020 C-528/19, Mitteldeutsche Hartstein-Industrie, HFR 2020, 1085) ein Vorsteueranspruch aus den Kosten der Erschließung nicht bestehe. Die Klägerin erkläre die Erschließungskosten zu den den Vorsteuerabzug begründenden Allgemeinkosten, obwohl diese mit der Widmungsvereinbarung mit der Stadt N in unmittelbarem Zusammenhang stehen würden. Der Verkauf baureifer Grundstücke wäre auch durch die Stadt N möglich gewesen. In diesem Falle wäre ein Vorsteueranspruch mangels Vorsteuerberechtigung für die öffentlichen Anlagen ebenfalls nicht entstanden. Eine Gewährung des Vorsteuerabzugs in derartigen Fällen würde eine Wettbewerbsverzerrung nach sich ziehen. Zudem habe die Erschließung für das Unternehmen keine existenzsichernde Bedeutung, wie dies nach den Judikaten des EuGH erforderlich sei. Zuletzt unterscheide sich der Streitfall hinsichtlich des Umfangs des Nutzens für die Allgemeinheit. Während in den bisher entschiedenen Fällen der Nutzen für die Allgemeinheit von untergeordneter Bedeutung gewesen sei, stehe im Streitfall der Allgemeinheit der Nutzen der Erschließung in voller Höhe zu.
47Dagegen hat die Klägerin Klage erhoben. Im Streit stehe der Vorsteuerabzug aus den Kosten der Erschließungsmaßnahmen, die zum Zwecke der Widmung auf die Stadt N übertragen worden seien. In dem mit der Stadt N abgeschlossenen städtebaulichen Vertrag habe sie, die Klägerin, sich gegenüber der Stadt N verpflichtet, die innere Erschließung des „I N“ vorzunehmen. Die Erschließungsmaßnahmen hätten unter anderem die Herstellung der öffentlichen Straßen einschließlich der Kreisverkehre, Wirtschaftswege und Plätze sowie die Herstellung eines kombinierten Geh- und Radweges innerhalb des gesamten Bebauungsplangebiets mit Anschluss an die vorhandenen Erschließungsanlagen umfasst. Zudem hätte sie die öffentlichen Entwässerungsanlagen (Regenwasserkanäle, Regenrückhaltebecken, Regenklärbecken) herstellen müssen. Die öffentlichen Anlagen zur Schmutzwasserentwässerung mit Pumpwerk würden ebenfalls dazugehören. Sie habe die vertragsgegenständlichen Erschließungsanlagen so herstellen müssen, dass die öffentlich-rechtlichen Voraussetzungen für eine Widmung gemäß den Bestimmungen des Straßen- und Wegegesetzes NRW erfüllt würden. Entsprechend des städtebaulichen Vertrags habe sie die Erschließungsanlagen fertiggestellt und der Stadt N den Besitz übertragen. Soweit die Straßen betroffen seien, seien diese als öffentliche Straßen gewidmet worden. Die Verkehrsflächen würden auch tatsächlich durch den öffentlichen Verkehr genutzt. Die Gewerbegrundstücke seien an die Schmutzwasserbeseitigungsanlagen und die Regenwasserkanäle, d.h. an das öffentliche Netz, angeschlossen worden.
48Sie, die Klägerin, habe alle erschlossenen Gewerbeflächen – mit Ausnahme eines Grundstücks – unter Ausübung der Option umsatzsteuerpflichtig veräußert. Ihr würden daher die Vorsteuern aus den Kosten der inneren Erschließung des Gewerbegebiets gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sätze 1 und 2 des Umsatzsteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (UStG) zustehen. Ordnungsgemäße Rechnungen mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer lägen insgesamt vor. Maßgebliche Verwendungsumsätze seien die steuerpflichtigen Grundstücksverkäufe im Anschluss an die Erschließung. Unter Beachtung der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH und des Bundesfinanzhofs (BFH) läge der ausreichende direkte und unmittelbare Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsleistungen vor. Trotz der unentgeltlichen Übertragung der erschlossenen Anlagen auf die Stadt N würde insoweit keine steuerbare unentgeltliche Wertabgabe gemäß § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG vorliegen. Zum Vorsteuerabzug würden auch sogenannte Allgemeinkosten berechtigen. Derartige Kosten würden direkt und unmittelbar mit den gesamten wirtschaftlichen Tätigkeiten des Unternehmens zusammenhängen. Entscheidend für den Vorsteuerabzug sei allein, dass ohne die betreffende Erschließung und den Ausbaumaßnahmen sie, die Klägerin, ihre unternehmerische Tätigkeit nicht hätte ausüben können. Fließt die Eingangsleistung als Kostenelement in eine steuerpflichtige Ausgangsleistung ein, wie vorliegend die Kosten für die Erschließung in den jeweiligen Grundstückspreis der erschlossenen und veräußerten Grundstücke, hindere ein bestehender Zusammenhang mit der unentgeltlichen Übertragung der Anlagen auf die Gemeinde den Vorsteuerabzug nicht. Entsprechend des städtebaulichen Vertrags sei nur die Veräußerung erschlossener Grundstücke zulässig gewesen. Ihre wirtschaftliche Tätigkeit habe damit die Veräußerung baureifer Gewerbegrundstücke umfasst, was zwingend und notwendigerweise die vorherige Erschließung und Übertragung der Erschließungsanlagen auf die Stadt N zum Zwecke der öffentlichen Widmung vorausgesetzt habe. Eine Grundstücksveräußerung ohne vorherige Erschließung wäre damit für sie rechtlich, zumindest aber praktisch unmöglich gewesen. Die im Zusammenhang mit der inneren Erschließung getätigten Aufwendungen würden auch insgesamt nicht über das Erforderliche hinausgehen, was sie zur Ausübung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit, dem Verkauf baureifer Grundstücke, benötige. Sie habe nur die vertraglich vorgesehenen Maßnahmen durchgeführt.
49Die Ausführungen des Beklagten, dass der Verkauf der Grundstücke auch ohne Erschließung möglich gewesen wäre und sich bei Gewährung des Vorsteuerabzugs im Streitfall ein Wettbewerbsvorteil im Vergleich zur Erschließung anderer Gewerbegebiete ergebe, seien unbeachtlich.
50Zudem sei hervorzuheben, dass sie nicht nur im Verhältnis zur Gemeinde als Vertragspartner zur Erschließung der Grundstücke verpflichtet gewesen sei. Nur die Vermarktung erschlossener Gewerbeflächen sei möglich gewesen. Den Erwerbern sei es erkennbar auf eine sofortige Bebaubarkeit der Grundstücke angekommen. Der wirtschaftliche Erfolg der von ihr betriebenen Vermarktung sei damit durch die vorherige Erschließung bedingt gewesen. Soweit der Beklagte eine Existenzgefährdung für den Vorsteuerabzug für erforderlich halte, würden sich hinsichtlich dieser Voraussetzung keine Vorgaben aus der Rechtsprechung ergeben.
51Durch die „unentgeltliche“ Überlassung der Erschließungsanlagen sei auch keine unentgeltliche Wertabgabe ausgelöst worden, da – entsprechend den Vorgaben der Rechtsprechung – ein unversteuerter Endverbrauch nicht gedroht habe. Dies sei hier der Fall, da die die Erschließung betreffenden Eingangsleistungen für die Bedürfnisse der Klägerin genutzt würden. Nur so sei eine Veräußerung der Grundstücke am Markt möglich gewesen. Die Erschließung sei auch erforderlich gewesen und gehe nicht über das Notwendige hinaus. Die mit der Erschließung angefallenen Kosten seien zudem kalkulatorisch in den Preis der veräußerten Grundstücke eingeflossen. Schließlich sei der mit der Erschließung der Allgemeinheit zufließende Vorteil in Form der Nutzungsmöglichkeit dieser Anlagen nur nebensächlich. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der der Allgemeinheit gewährte Vorteil nur ein Bruchteil der der Stadt N übertragenen Erschließungsleistung betreffe. Die Allgemeinheit profitiere allenfalls von den dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Verkehrsflächen. Diese Nutzung sei zudem von untergeordneter Bedeutung, da es sich bei den betreffenden Verkehrsflächen um solche eines gewerblichen Industriegebiets und nicht eines Freizeit- oder städtischen Durchgangsbereichs handeln würde. Der mit der Erschließung verbundene Vorteil betreffe in der Hauptsache die Erschließung der Grundstücke, die an die Gewerbetreibenden veräußert worden seien.
52Mit Schriftsätzen vom 28.10.2022 und 6.12.2022 ergänzte die Klägerin – im Nachgang zum Erörterungstermin vom 13.9.2022 – ihren Vortrag: Ausweislich des Bebauungsplans Nr. xxx umfasse das Baugebiet I N I die Flur xxx und das Baugebiet I N II die Flur xxx der Gemarkung C. Der I N I sei von der A-Str. über zwei Kreisverkehre (äußere Erschließung) erschlossen. Über die A-Str. werde der Zielverkehr für die im südlichen Bereich des I N I gelegenen Unternehmen in die B-Str., C-Str., D-Str. und E-Str. sowie für die im östlichen Bereich des I N I gelegenen Unternehmen in die F-Str. geführt. Nur die in den Baugrenzen gelegenen erschlossenen Straßen (B-Str., C-Str., D-Str. und E-Str. sowie die A-Str. mit Kreisverkehr C-Str.) lägen im Gebiet der inneren Erschließung. Das Gewerbegebiet I N I umfasse laut Bebauungsplan xxx u.a. auch die Gewerbegrundstücke nördlich und südlich der A-Str. Aufgrund der als Ringstraße ausgebildeten E-Str. im Anschluss an die B-Str. und die C-Str. gebe es für die Zielverkehre im südlichen Bereich des I N I keine andere Verkehrsanbindung aus dem Gebiet heraus als über die A-Str. Die B-Str. sperre durch einen durch Poller begrenzten Wendehammer den Pkw- und Lkw-Verkehr Richtung Kanal (… und …). Ausweislich der Angaben in GoogleMaps befinde sich im I N I kein Wohnwagenstellplatz. Der Yachtclub an der kanalseitig gegenüberliegenden Seite sei mit dem Pkw nicht über die B-Str. erreichbar. Der Weg über die … nördlich über den Kanal sei nur rechtsseitig Richtung C befahrbar, eine direkte Verbindung zum I N I bestehe nicht. Das Gewerbegebiet I N II werde über die G-Str. über einen Kreisverkehr (äußere Erschließung) erreicht. Aufgrund der dritten Änderung des Bebauungsplans Nr. xxx sei die G-Str. als Sackgasse mit einem Wendehammer am Ende ausgebaut worden. Nur die G-Str. selbst (ohne den Kreisverkehr F-Str.) liege im Gebiet der inneren Erschließung. Im gesamten Gebiet des I N I und ll seien keine separaten Radwege angelegt worden. Entgegen der planerischen Vorgabe weise der Fahrradstadtplan der Stadt N mit Stand 2014 keinen ausgeschilderten Radweg durch den I N I und Il aus. Dies entspreche auch der aktuellen Beschilderung an der …, die zwar per Fahrrad über den I N I hin zur Straße … entlang des Kanals zu erreichen sei. Diese Möglichkeit bestehe aber nur theoretisch, da hierzu der Verkehrsteilnehmer durch das gesamte Gewerbegebiet – ohne angelegten Fahrradweg – von der H-Str. (Anschusstelle zur Autobahn […]) auf der auch von LKW und PKW befahrenen Straße durchfahren müsste. Die Möglichkeit von der B-Str./Ecke C-Str. Richtung … zu gelangen, diene allein der Zufahrt eines konkreten Gewerbeunternehmers (Futtermittelhersteller) am Ende der Zufahrt mit Sackgasse hin zum Kanal.
53Sämtliche Erschließungsmaßnahmen im I N I und II würden die sog. innere Erschließung betreffen. Insbesondere die Erschließung der B-Str., D-Str., C-Str., E-Str. und G-Str. diene der überwiegend unternehmerischen Nutzung durch die beidseitig der Straße gelegenen gewerblich genutzten Grundstücke. Eine Nutzung durch die Allgemeinheit ist – wenn überhaupt – von untergeordneter, nebensächlicher Bedeutung.
54Besonderheiten weise alleine die Erschließung der A-Str. auf. Zwar liege auch diese Erschließungsmaßnahme (incl. des Kreisverkehrs A-Str./C-Str.) innerhalb des Baugebietes Gewerbegebiet I N I und diene den zu beiden Seiten der Straße erschlossenen Gewerbegrundstücken. Auch die Erschließungsmaßnahme „Ausbau A-Str." habe ihr Grundlage in der wirtschaftlichen Tätigkeit, die im Verkauf baureifer Grundstücke bestehe. Aufgrund der besonderen örtlichen Besonderheiten erscheine es aber nicht ausgeschlossen, dass die A-Str. auch von den umliegenden Anliegern vor allem aus C als Durchfahrtsabkürzung zur Autobahnanschlussstelle […] H-Str. benutzt werde. Insoweit könne eine unternehmerische Nutzung dieser Erschließungsmaßnahme eventuell nicht den Schwerpunkt der Nutzung bilden. Die Nutzung durch die Allgemeinheit sei insoweit möglichweise nicht nur nebensächlich.
55Soweit der Beklagte die tägliche An- und Abreise der Arbeitnehmer der im I N angesiedelten Unternehmen als nichtunternehmerische Nutzung beurteile, teile sie, die Klägerin, diese Auffassung nicht. Da die Unternehmen ohne Arbeitnehmer ihre Tätigkeiten nicht ausüben könnten, müsse deren An- und Abreise den Unternehmen zugerechnet werden. Auch die An- und Abreise privater Endverbraucher beschränke sich auf die Teilhabe an den im Gewerbegebiet ausgeübten unternehmerischen Tätigkeiten (z.B. Kauf […], Einkauf […]).
56Im Hinblick auf die bislang geltend gemachten Vorsteuerbeträge hätten sich Änderungen hinsichtlich der ursprünglich beantragten Vorsteuerbeträge ergeben. Insoweit wird wegen der Einzelheiten auf den Schriftsatz der Klägerin vom 28.10.2022 verwiesen. Eine Nachkalkulation der entsprechenden Konten habe einen höheren Vorsteuerabzug ergeben. Zudem hätten kleinere Fehler korrigiert werden müssen (z.B. Vorsteuern auf Zinsen). Da ihr, der Klägerin, bei der Annahme eines Tauschumsatzes ein Anspruch auf Abzug der Vorsteuern aus den Kosten sämtlicher vereinbarter Erschließungsmaßnahmen zustehe und nicht nur aus den Kosten der sog. „inneren Erschließung“, mache sie nun Vorsteuern i.H. von … € in 2014, i. H. von … € in 2015 und i.H. von … € in 2016 geltend. Sollte hingegen ein Tauschumsatz abzulehnen sein, seien nach ihrer Auffassung die Vorsteuerbeträge aus den Kosten der Erschließungsmaßnahmen nicht abziehbar, bei denen die Erschließungsmaßnahme nicht im Schwerpunkt unternehmerisch genutzt werde. Dies betreffe im Wesentlichen die A-Str., da diese als Autobahnzubringer auch von der Allgemeinheit genutzt werde. Unter Berücksichtigung und Korrektur sämtlicher Rechenfehler ergebe sich nach ihrer Auffassung bei Ablehnung eines Tauschumsatzes ein weiterer Vorsteuerabzug i. H. von … € in 2014, i. H. von … € in 2015 und i.H.v. … € in 2016.
57Soweit in den im Streit befindlichen Jahren 2014 bis 2016 einzelne bereits erschlossene Grundstücksparzellen noch nicht veräußert worden seien, habe sie, die Klägerin, die objektiv belegbare Absicht gehabt, die Grundstücksparzellen an andere Unternehmer für deren Unternehmen mittels Option gem. § 9 Abs. 1 UStG i.V.m. § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG umsatzsteuerpflichtig zu veräußern. Sämtliche in den Jahren 2017 bis 2021 verkauften Grundstücke seien – mit Ausnahme des Verkaufs eines Grundstücks an das Land NRW in 2020 – von Unternehmern erworben worden, die zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt gewesen seien.
58Die Übertragung der Grundstücke für das Gewerbegebiet I N I und II von der Stadt N auf sie, die Klägerin, sei mit notariellen Verträgen vom 00.00.2010 und vom 00.00.2010 erfolgt. Die grundbuchrechtliche Eintragung des Eigentumswechsels auf sie sei in beiden Fällen mit Datum vom 00.00.2010 vorgenommen worden. Der ihr gegenüber ergangene Umsatzsteuerbescheid des Jahres 2010 sei am 26.4.2016 bestandskräftig geworden. Die Festsetzungsfrist habe gem. § 169 Abs. 2 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) für die Umsatzsteuer 2010 mit Ablauf des 31.12.2016 geendet.
59Der vom Beklagten beantragten Beiladung werde widersprochen, da für den hier relevanten Besteuerungszeitraum 2010 zweifelsfrei Festsetzungsverjährung eingetreten sei.
60Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
61unter Änderung der Umsatzsteuerbescheide für 2014 bis 2016 vom 28.7.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.3.2022 die Umsatzsteuer 2014 um weitere Vorsteuern i.H. von … €, die Umsatzsteuer 2015 um weitere Vorsteuern i. H. von … € und die Umsatzsteuer 2016 um weitere Vorsteuern i.H. von … € herabzusetzen,
62hilfsweise, das Verfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auszusetzen und dem EuGH auf der Grundlage von Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
63a) Steht unter Umständen wie denen des Ausgangsfalls, in dem eine Steuerpflichtige auf Grundlage eines mit einer Stadt getroffen „Städtebaulichen Vertrages" gem. § 124 BauGB Erschließungsmaßnahmen zur Baureifmachung und Vermarktung von Gewerbe- und Industrieflächen vorgenommen hat, dieser Steuerpflichtigen, die Leistungen zur Errichtung der auf die Gemeinde übertragenen Erschließungsanlagen bezogen hat und die im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit baureife und erschlossene Grundstücke steuerpflichtig an Erwerber veräußert, hierfür der Vorsteuerabzug gem. Art. 168 Buchst. a MwStSystRL zu?
64b) Falls Frage 1 bejaht wird: Ist unter Umständen wie denen des Ausgangsfalls, in dem eine Steuerpflichtige Erschließungsmaßnahmen zur Baureifmachung und Erschließung von Gewerbe- und Industrieflächen, die nach der Baureifmachung steuerpflichtig an Erwerber veräußert werden, vornimmt, die unentgeltliche Übertragung der Erschließungsanlagen an die Gemeinde gem. Art. 16 MwStSystRL einer unentgeltlichen Lieferung von Gegenständen gleichgestellt, insbesondere, weil die hierdurch auch der Allgemeinheit eingeräumte Vorteilszuwendung nur nebensächlich ist?,
65äußerst hilfsweise, die Revision zuzulassen.
66Der Beklagte beantragt,
67die Klage abzuweisen.
68Auch unter Berücksichtigung der in Rede stehenden EuGH-Urteile könne die Klägerin keine Vorsteuern aus den Kosten für die Erschließungsmaßnahmen der öffentlich gewidmeten Straßen geltend machen. Die öffentlich gewidmeten Straßen könnten von jedermann genutzt werden. Zu der aufgeworfenen Frage des Schwerpunktes der Nutzung der öffentlichen Straßen würden keine Daten vorliegen. Es liege jedenfalls eine gemischte Nutzung vor. Auf den Straßen des I N erfolge eine nichtunternehmerische Nutzung u.a. durch die tägliche An- und Abreise der Arbeitnehmer und durch An- und Abreise privater Endverbraucher.
69Aufgrund der Ausführungen des Berichterstatters zur Annahme eines Tausches beantrage er, der Beklagte, die Beiladung der Stadt N gemäß § 60 FGO. Der Klägerin stünde in diesem Fall ein Vorsteueranspruch zu und die Umsatzsteuer sei deckungsgleich. Hiervon wäre die Stadt N betroffen und die Beiladung sei auch Voraussetzung für eine etwaige Änderung der entsprechenden Umsatzsteuerfestsetzung bei der Stadt N gemäß § 174 Abs. 4 und 5 AO.
70Die Vertragspartner seien im Rahmen des Einbringungsvertrags jedenfalls nicht von einer Gegenleistung und damit auch nicht von einem Tausch ausgegangen. Hierzu sei in § 2 des Einbringungsvertrags explizit vereinbart worden: „Die Einbringung des Grundbesitzes […] erfolgt ohne Gegenleistung der X.“ Darüber hinaus spreche auch gegen die Annahme eines Tausches, dass die Erschließungsleistungen in § 3.1.1 des Einbringungsvertrags nur als ein Beispiel für die Auflage „Realisierung des Gewerbe- und Industriegebiets“ genannt würden. Dort heißt es: „Dies umfasst zum einen die vollständige Realisierung des Gewerbe- und Industriegebietes (u.a. Erschließung, Ausgleich) […] sowie zum anderen alle zur Vermarktung dieser Gewerbeflächen erforderlichen Maßnahmen („verkaufsbereite Herstellung“)“. Zudem sei die öffentliche Widmung der Erschließungsanlagen und die Kostentragung in einem separaten Vertrag geregelt worden (im städtebaulichen Vertrag). Insgesamt würden daher in den Verträgen eindeutige Hinweise für das genannte Tauschgeschäft fehlen.
71Mit den Beteiligten ist am 13.9.2022 die Sach- und Rechtslage erörtert worden. Auf das hierüber gefertigte Protokoll wird Bezug genommen.
72Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 23.3.2023 und 10.5.2023 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
73Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens und die vom Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge verwiesen.
74Entscheidungsgründe
75I. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).
76II. Die Klage ist begründet.
771. Die Umsatzsteuerbescheide für 2014 bis 2016 jeweils vom 28.7.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.3.2022 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Klägerin steht der Vorsteuerabzug aus den Kosten der Erschließungsmaßnahmen zu, da sich die Klägerin gegenüber der Stadt N im Rahmen eines tauschähnlichen Umsatzes zur Durchführung der Erschließung verpflichtet hatte (2.); jedenfalls gehört der Großteil dieser Kosten zu den allgemeinen Aufwendungen der Klägerin und sind als allgemeine Kostenelemente der von ihr steuerpflichtig gelieferten Grundstücke gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG abziehbar, ohne dass eine unentgeltliche Wertabgabe gegenzurechnen wäre (3.).
782. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Ausgeschlossen ist der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG für Leistungen, die der Unternehmer für steuerfreie Umsätze verwendet.
79a) Diese Vorschriften beruhen unionsrechtlich auf Art. 168 Buchst. a) der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Danach ist der Steuerpflichtige, der „Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet“, zum Vorsteuerabzug berechtigt. Hierfür muss ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsleistung bestehen. Ein Recht auf Vorsteuerabzug wird zugunsten des Steuerpflichtigen allerdings auch bei Fehlen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätzen dann angenommen, wenn die Kosten für die fraglichen Dienstleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehören und als solche Kostenelemente der von ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen sind. Derartige Kosten hängen nämlich direkt und unmittelbar mit der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen zusammen (vgl. z.B. Iberdrola Inmobiliaria Real Estate Investments vom 14.9.2017 C-132/16, HFR 2017, 1079; BFH-Urteil vom 16.12.2020 XI R 13/19, BStBl II 2022, 389, BFHE 272, 185).
80Bei richtlinienkonformer Auslegung setzt § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG somit voraus, dass der Unternehmer Leistungen für sein Unternehmen (§ 2 Abs. 1 UStG, Art. 9 MwStSystRL) und damit für seine wirtschaftlichen Tätigkeiten zur Erbringung entgeltlicher Leistungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c MwStSystRL) zu verwenden beabsichtigt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 18.9.2019 - XI R 19/17, BFHE 267, 98, BStBl II 2020, 172).
81b) Für das Erfordernis einer entgeltlichen Leistung muss zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis bestehen, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte bestimmbare Dienstleistung bildet (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 22.5.2019 XI R 20/17, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2019, 1256, m.w.N.).
82c) Ob die Voraussetzungen für einen Leistungsaustausch vorliegen, ist dabei nicht nach zivilrechtlichen, sondern ausschließlich nach den vom Unionsrecht geprägten umsatzsteuerrechtlichen Maßstäben zu beurteilen. Es stellt eine unionsrechtliche – unabhängig von der Beurteilung nach nationalem Recht zu entscheidende – Frage dar, ob die Zahlung eines Entgelts als Gegenleistung für die Erbringung von Dienstleistungen erfolgt (vgl. BFH-Urteil vom 22.5.2019 XI R 20/17, BFH/NV 2019, 1256, m.w.N.).
83d) Die Leistungen im Streitfall (Durchführung der Erschließung) sind nach Auffassung des erkennenden Senats nach diesen Grundsätzen unmittelbar für eine Gegenleistung der Stadt N, nämlich die Übertragung der Grundstücke bzw. Grundstücksteilflächen des Gewerbegebiets I N in C erbracht worden. In § 2 des zwischen der Klägerin und der Stadt N abgeschlossenen Einbringungsvertrags heißt es zwar, dass „die Einbringung des Grundbesitzes […] ohne Gegenleistung der X“ erfolgt. Nach Auffassung des erkennenden Senats beurteilt sich die Frage, ob Leistungen im Rahmen eines Leistungsaustauschs ausgetauscht werden aber nicht nach dem schriftlichen Bekunden der Vertragsparteien, dass keine Gegenleistung vereinbart sei, sondern nach dem materiellen Gehalt der eingegangenen Verpflichtungen. Der erkennende Senat sieht in § 3 des Einbringungsvertrags „Bedingungen für die Einbringung“ die Vereinbarung eines tauschähnlichen Umsatzes. Denn unter 3.1 heißt es einleitend: „Die Stadt N verbindet die Einbringung der Grundstücke an die X mit den nachfolgend aufgeführten Auflagen und die X verpflichtet sich, diese Auflagen zu erfüllen.“ Zu den Auflagen gehört zum einen die Verpflichtung, die Grundstücke ausschließlich als Gewerbeflächen im Rahmen des geplanten I N zu veräußern. Zum anderen gehört hierzu die Verpflichtung, die vollständige Realisierung des Gewerbe- und Industriegebietes (u.a. Erschließung, Ausgleich) nach Maßgabe des Bebauungsplans Nr. xxx vorzunehmen. Der erkennende Senat sieht in dieser ausdrücklich festgehaltenen Verpflichtung einen zivilrechtlichen – ohne weiteres durchsetzbaren – Anspruch auf Durchführung der Erschließung der Stadt N gegen die Klägerin. Hätte die Klägerin die Erschließung nicht durchgeführt, läge nach Auffassung des erkennenden Senats – unabhängig davon, ob noch weitere z.B. gesellschaftsrechtliche Ansprüche in Betracht kommen – ein Rücktrittsgrund vom Einbringungsvertrag gemäß § 323 BGB vor, der die Stadt N zur Rückforderung der Grundstücke von der Klägerin gemäß § 346 BGB berechtigt hätte. Zwischen diesem Anspruch auf Erschließung und der Übertragung der Grundstücke besteht daher ein unmittelbarer Zusammenhang. Die Vereinbarung („Einbringungsvertrag“) bildet nicht nur das nach den Vorgaben der Rechtsprechung für den unmittelbaren Zusammenhang erforderliche Rechtsverhältnis. Die Überschrift des § 3 „Bedingungen für die Einbringung“ zeigt auch die Zusammengehörigkeit beider Leistungsverpflichtungen auf und die Finalität der Erbringung beider Leistungen um der Gegenleistung willen. Das „do ut des“ („ich gebe, damit du gibst“) beider Leistungen wird durch die Niederschrift der Gesellschafterversammlung der Klägerin bestätigt, in der es heißt: „Nachrichtlich wird festgehalten und auch von allen Gesellschaftern gebilligt, dass die Einbringung in die Gesellschaft erfolgt, um die Gewerbeerwartungslandflächen zum Gewerbe- und Industriegebiet C (I N) zu entwickeln.“ (Hervorhebung durch den Senat). Soweit der Beklagte die mangelnde Gegenleistung auf Teil II § 2 des Einbringungsvertrages stützt, bezieht sich der dort verwendete Begriff der „Gegenleistung“ nach Auffassung des Senats in Übereinstimmung mit dem Verständnis der Klägerin nur auf eine Gegenleistung in Geld, die nicht fließen sollte und tatsächlich auch nicht geflossen ist.
84Vor dem Hintergrund des Vorstehenden kann die Klägerin bereits deshalb die Vorsteuern aus den Kosten sämtlicher Erschließungsmaßnahmen abziehen, da sie im Zusammenhang mit dem steuerbaren und – mangels einschlägiger Steuerbefreiung – steuerpflichtigen Ausgangsumsatz (Ausführung der Erschließung gegen Übertragung der Grundstücke) stehen.
85e) Es bedarf keiner Entscheidung durch den Senat, in welcher Höhe der vorstehend beschriebene tauschähnliche Umsatz bei der Klägerin Umsatzsteuer ausgelöst hat, da die Umsatzsteuer nicht in den in diesem Verfahren anhängigen Streitjahren entstanden ist und es daher auch nicht zu einer Saldierung mit der begehrten Vorsteuer kommt.
86Der tauschähnliche Umsatz ist gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) Satz 4 UStG im Zeitpunkt des Erhalts der Gegenleistung (Übertragung der Grundstücke) zu besteuern, da dieser Zeitpunkt vor der Erbringung der eigenen Leistung (Erschließungsmaßnahmen) liegt (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 19.12.2012 C-549/11, HFR 2013, 188). Die Gegenleistung (die Grundstücke) sind mit notariell beurkundeter Auflassung vom 3.3.2010 und vom 20.4.2010 auf die Klägerin übertragen worden. Die grundbuchrechtliche Eintragung des Eigentumswechsels auf die Klägerin erfolgte in beiden Fällen mit Datum vom 13.4.2010. Die Umsatzsteuer ist daher im Besteuerungszeitraum 2010 und nicht in den Streitzeiträumen 2014 bis 2016 entstanden.
87f) Der Höhe nach sind weitere Vorsteuerbeträge in 2014 i.H. von … €, in 2015 weitere Vorsteuern i. H. von … € und in 2016 weitere Vorsteuern i.H. von … € zum Abzug zuzulassen. Insoweit wird auf die nachvollziehbaren Ausführungen der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 28.10.2022, denen der Beklagte nicht widersprochen und an deren Richtigkeit der erkennende Senat keine Zweifel hat, verwiesen.
883. Sollten die Kosten der Erschließung, wovon der erkennende Senat – wie unter II. 2. ausgeführt – nicht ausgeht, in keinem unmittelbaren Zusammenhang zu einem konkreten steuerbaren und steuerpflichtigen Ausgangsumsatz stehen, so gehört gleichwohl ein Großteil dieser Kosten (mit Ausnahme der Kosten die auf die Erschließung der A-Str. entfallen) zu den allgemeinen Aufwendungen der Klägerin und sind als allgemeine Kostenelemente ihrer Ausgangsumsätze, d.h. der von ihr an die Gewerbetreibenden des I N steuerpflichtig gelieferten Grundstücke, gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG abziehbar.
89a) Der EuGH hat zu einem vergleichbaren Sachverhalt entschieden (EuGH-Urteil vom 16.9.2020 C-528/19, Mitteldeutsche Hartstein-Industrie, HFR 2020, 1085), dass ein „Steuerpflichtiger […] ein Recht auf Abzug der Vorsteuer für die zugunsten einer Gemeinde durchgeführten Arbeiten zum Ausbau einer Gemeindestraße [hat], wenn diese Straße sowohl von diesem Steuerpflichtigen im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit als auch von der Öffentlichkeit benutzt wird, soweit diese Ausbauarbeiten nicht über das hinausgingen, was erforderlich war, um diesem Steuerpflichtigen zu ermöglichen, seine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben, und ihre Kosten im Preis der von diesem Steuerpflichtigen getätigten Ausgangsumsätze enthalten sind.“
90Bezogen auf den Streitfall stellt der erkennende Senat fest, dass die Erschließung des Gewerbegebietes I N für die wirtschaftliche Tätigkeit der Klägerin unerlässlich war, die in dem steuerpflichtigen Verkauf erschlossener Grundstücke an die Gewerbetreibenden des I N bestand, und dass die Klägerin ihre wirtschaftliche Tätigkeit nicht hätte ausüben können, wenn die Erschließung nicht durchgeführt worden wäre.
91Der erkennende Senat sieht die Unerlässlichkeit der Erschließung für die wirtschaftliche Tätigkeit nicht durch hypothetische Überlegungen, wie der Beklagte sie vornimmt, widerlegt. Ob die Stadt N die Erschließung selbst hätte durchführen können, ist irrelevant. Die Klägerin war nach dem Einbringungsvertrag und dem städtebaulichen Vertrag verpflichtet, die Grundstücke zu erschließen und als erschlossene Grundstücke zu verkaufen. Für diese konkrete wirtschaftliche Tätigkeit – steuerpflichtiger Verkauf erschlossener Grundstücke – war die vorherige Erschließung unerlässlich.
92Des Weiteren sind die Kosten der erhaltenen Eingangsleistungen (Kosten der Erschließung), Kostenelemente der steuerpflichtigen Ausgangsumsätze der Klägerin. Die Kosten der Erschließung sind in die m²-Preise beim Verkauf der Grundstücke eingegangen. Wären die Grundstücke nicht erschlossen gewesen und hätten die erwerbenden Unternehmer selbst noch für die Erschließung sorgen müssen, hätten sie einen entsprechend geringeren Kaufpreis für die Grundstücke gezahlt.
93Aufgrund dieser Umstände sieht der erkennende Senat jedenfalls, sollte ein tauschähnlicher Umsatz nicht vorliegen, einen direkten und unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Erschließung des I N und dem steuerpflichtigen Verkauf der erschlossenen Grundstücke durch die Klägerin.
94b) Dem steht nicht entgegen, dass die Erschließungsmaßnahmen, insbesondere die Straßen, mit Ausnahme der Kosten für die Erschließung der A-Str., der Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung stehen. In der unentgeltlichen Übertragung der Erschließungsmaßnahmen an die Stadt N und deren Widmung der Anlagen zur Nutzung durch die Allgemeinheit liegt keine unentgeltliche Zuwendung i.S. des § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG oder § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG vor.
95aa) Nach § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG wird einer Lieferung gegen Entgelt jede andere unentgeltliche Zuwendung eines Gegenstands, ausgenommen Geschenke von geringem Wert und Warenmuster für Zwecke des Unternehmens, gleichgestellt. Voraussetzung ist, dass der Gegenstand oder seine Bestandteile zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben (§ 3 Abs. 1b Satz 2 UStG). Nach § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG gilt das Gleiche für unentgeltliche Leistungen durch den Unternehmer für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, oder für den privaten Bedarf des Personals, sofern keine Aufmerksamkeiten vorliegen.
96bb) § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG und § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG entsprechen Art. 16 MwStSystRL (vgl. BFH-Urteil vom 12.12.2012 XI R 36/10, BFHE 239, 534, BStBl II 2013, 412).
97Durch Art. 16 Satz 1 MwStSystRL wird einer Lieferung gegen Entgelt gleichgestellt die Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen für seinen privaten Bedarf, für den Bedarf seines Personals oder als unentgeltliche Zuwendung oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke, wenn dieser Gegenstand oder seine Bestandteile zu einem vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt haben. Jedoch fallen Entnahmen für Geschenke von geringem Wert und für Warenmuster zu Zwecken des leistenden Unternehmens nicht darunter (Art. 16 Satz 2 MwStSystRL).
98cc) Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 16.12.2020 XI R 26/20 (XI R 28/17), BFHE 272, 240), der sich der erkennende Senat anschließt, sollen§ 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG und § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG die Gefahr eines unversteuerten Endverbrauchs verhindern. Nach Auffassung des erkennenden Senats liegt bereits deshalb kein unversteuerter Endverbrauch vor, da die Klägerin – wie vorstehend unter II. 2. ausgeführt – sämtliche Erschließungsmaßnahmen gegen Entgelt im Rahmen des tauschähnlichen Umsatzes auf die Stadt N übertragen hat. Sollte entgegen der Auffassung des Senats ein tauschähnlicher Umsatz indes nicht angenommen werden können, sind die Voraussetzungen einer unentgeltlichen Wertabgabe gleichwohl nicht erfüllt. Ein unversteuerter Endverbrauch droht nämlich bei Erfüllung der folgenden Bedingungen nicht: Die Eingangsleistung wird vor allem für Bedürfnisse des Steuerpflichtigen genutzt, sie ist für das Unternehmen erforderlich und geht darüber nicht hinaus, die Kosten der Eingangsleistung sind (kalkulatorisch) im Preis der getätigten Ausgangsumsätze enthalten und der Vorteil des Dritten – hier der Allgemeinheit – ist allenfalls nebensächlich. Eine Besteuerung nach § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG und § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG kommt unter diesen Voraussetzungen infolge einer unionsrechtskonformen Reduktion des § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG nicht in Betracht.
99Die Eingangsleistungen werden, wie vorstehend unter II. 2. a) dargelegt, für Bedürfnisse der Klägerin genutzt, sind für das Unternehmen erforderlich und gehen nicht über das hierfür Erforderliche hinaus und sind zudem (kalkulatorisch) im Preis der getätigten Ausgangsumsätze enthalten. Der Vorteil des Dritten – hier der Allgemeinheit – ist nach Auffassung des erkennenden Senats allenfalls nebensächlich. Bei den Erschließungsmaßnahmen handelt es sich um solche, die zuvorderst und nahezu ausschließlich den im Gewerbegebiet des I N ansässigen Unternehmen zugutekommen. In Übereinstimmung mit der Auffassung der Klägerin wird die An- und Abfahrt der Arbeitnehmer und die Nutzung der Straßen durch die die dort ansässigen Unternehmen ansteuernden Privatpersonen jeweils den Unternehmen zugeordnet. Im Übrigen handelt es sich um ein abgeschlossenes Gebiet, durch das kein Durchgangsverkehr stattfindet. Soweit ein Fahrraddurchgangsverkehr zum kanalseitigen Radweg denkbar ist, hält der erkennende Senat diese Nutzung – auch in Anbetracht des Umstands, dass durch das Gewerbegebiet kein eigenständiger Radweg gebaut wurde – für unbedeutend und damit nebensächlich. Einzig die Erschließungsmaßnahmen für die A-Str. werden nicht nur nebensächlich durch die Allgemeinheit genutzt. Da diese Straße Teil des Autobahnzubringers zur Bundesautobahn […] darstellt und im nicht unerheblichen Umfang auch durch Privatpersonen für nichtunternehmerische Zwecke genutzt wird, käme eine unentgeltliche Wertabgabe in Betracht. Dem hat die Klägerin durch die hilfsweise reduzierte Geltendmachung des Vorsteuerabzugs bei Ablehnung eines tauschähnlichen Umsatzes Rechnung getragen. Im Falle der Ablehnung eines tauschähnlichen Umsatzes, wovon der Senat nicht ausgeht, sind zu Gunsten der Klägerin daher jedenfalls weitere Vorsteuern i. H. von … € in 2014, i. H. von … € in 2015 und i.H.v. … € in 2016 zu berücksichtigen.
100c) Der Umstand, dass im Besteuerungszeitraum 2020 ein Grundstück umsatzsteuerfrei an das Land NRW veräußert wurde, führt – unter der Annahme, dass kein täuschähnlicher Umsatz vorliegt – in den in diesem Verfahren anhängigen Besteuerungszeiträumen 2014 bis 2016 zu keinen Vorsteuerkorrekturen, da die Klägerin nach ihrem nachvollziehbaren Bekunden bei Bezug der Erschließungsleistungen die Absicht hatte, die Grundstücke ausschließlich steuerpflichtig an Unternehmer zu veräußern, die zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sind. Eine Vorsteuerkorrektur nach § 15a UStG kann nicht in den anhängigen Besteuerungszeiträumen, sondern allenfalls im Besteuerungszeitraum 2020 greifen.
1014. Der erkennende Senat hat von einer Beiladung der Stadt N abgesehen.
102Das Gericht muss einem Antrag des Finanzamts auf Beiladung eines Dritten entsprechen, wenn bei einem Erfolg der Klage eine Steuerfestsetzung gegenüber dem Dritten wegen der nunmehr anderen rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts möglicherweise zu ändern ist (vgl. BFH-Urteil vom 22.9.1993 X R 20/91, BFH/NV 1994, 523) Die Beiladung dient (lediglich) der frühzeitigen Beteiligung aller Betroffenen und damit der richtigen Besteuerung. Eine Beiladung kommt nur dann nicht in Betracht, wenn rechtliche Interessen des Dritten durch die Entscheidung des FG über die Klage des Steuerpflichtigen eindeutig nicht berührt sein können, z.B. wenn dem Erlass oder der Änderung eines gegen den Dritten gerichteten Steuerbescheids der Ablauf der Festsetzungsverjährungsfrist entgegensteht (vgl. BFH-Beschluss vom 22.9.1993 II B 67/93, BFH/NV 1994, 216).
103Hiernach war dem Beiladungsantrag nicht zu entsprechen. Der Beklagte hat weder seinen Antrag dahingehend substantiiert, welche Steuerart bei der Stadt N durch eine Entscheidung betroffen sein soll, noch – obwohl es ihm möglich gewesen wäre – in Anbetracht des mittlerweile 13 Jahre zurückliegenden Zeitraums der Übertragung der Grundstücke auf die Klägerin Ausführungen zum Eintritt der Festsetzungsverjährung gemacht. Ohne nähere Substantiierung, ob betreffend einer in Betracht kommenden Steuerart eine Hemmung der Verjährung vorliegt, bedarf es keiner Beiladung. Nach den dem Gericht erkennbaren Umstände, können die rechtlichen Interessen des Dritten, hier der Stadt N, eindeutig nicht berührt sein.
104III. Die Kostenentscheidung ergeht gem. § 135 Abs. 1 FGO.
105IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
106V. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.