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Verjährungsbeginn in den sog. Dieselfällen: Die Anzeichen für eine Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs und Haftung des Herstellers aus unerlaubter Handlung wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung können sich nach den Umständen des Einzelfalls so verdichten, dass sich das Unterlassen von sich aufdrängenden und zumutbaren Nachforschungsbemühungen des Fahrzeugkäufers als grob fahrlässig im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2, 2. Alt. BGB darstellt. Grundsätzlich besteht aber keine Nachforschungsobliegenheit (Anschluss an BGH, Urteil vom 10. Mai 2023 – VII ZR 534/21). Einzelne Veröffentlichungen über vom Dieselskandal betroffene Motoren allein genügen zur Begründung einer groben Fahrlässigkeit nicht.
Auch ein auf Ausgleich eines Minderwerts gerichteter „kleiner“ Schadensersatz kann sich im Falle eingetretener Verjährung im sog. Restschadensersatz gemäß § 852 S. 1 BGB fortsetzen.
Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung das am 05.05.2023 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bochum (Az. 4 O 355/22) abgeändert und wie folgt neu gefasst.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.855,78 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.12.2022 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des I. und II. Rechtszuges tragen der Kläger 73 % und der Beklagte 27 %.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e:
2I.
3(ohne Tatbestand gem. § 540 Abs. 2, § 313 a Abs. 1 ZPO)
4II.
5Die zulässige Berufung des Klägers ist lediglich i.H.v. 3.855,78 € nebst Verzugszinsen begründet (1.). Der erstmals in der Berufungsinstanz gestellte Feststellungsantrag ist bereits unzulässig (2.).
61.
7Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 3.855,78 € nebst Verzugszinsen aus §§ 826, 852, 31 BGB. Ein etwaig darüber hinausgehender Anspruch bis zur geltend gemachten Höhe von 14.540,00 € ist jedenfalls aufgrund der erhobenen Verjährungseinrede nicht mehr durchsetzbar.
8a)
9Die Beklagte ist aufgrund der Implementierung der sog. schnellen Motoraufwärmfunktion nach ständiger Rechtsprechung des Senats dem Kläger gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet. Sie hat – durch ihre Repräsentanten i.S. von § 31 BGB – dem Kläger in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise zumindest bedingt vorsätzlich einen Schaden zugefügt, indem sie das streitgegenständliche Fahrzeug, welches mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, hergestellt und in Verkehr gebracht hat.
10aa)
11Das Verhalten der Beklagten verstößt gegen die guten Sitten.
12Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 –, Rn. 15).
13Die Beklagte hat das streitgegenständliche Fahrzeug und insbesondere den verbauten Motor entwickelt und hergestellt. In diesem Fahrzeug war eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20.07.2007 verbaut. Nach dieser Vorschrift ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Gemäß Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20.07.2007 ist eine Abschalteinrichtung ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl, den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei einem normalen Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
14Genau eine solche unzulässige Abschalteinrichtung war bei Kauf des Wagens durch den Kläger in dem streitgegenständlichen Fahrzeug vorhanden. Denn das Fahrzeug verfügte über eine schadstoffmindernde, sogenannte schnelle Motoraufwärmfunktion. Diese war vor dem Softwareupdate so programmiert, dass diese nahezu nur im Prüfzyklus NEFZ ansprang, während im realen Verkehr diese NOx–Schadstoffminderung unterblieb. Es ist nicht ersichtlich und wird von der Beklagten auch nicht geltend gemacht, dass einer der in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20.07.2007 normierten Ausnahmetatbestände greift. Damit ist diese Abschalteinrichtung unzulässig. Der Senat folgt insoweit der aus der eingeholten Auskunft ersichtlichen Einschätzung des KBA (ebenso OLG Oldenburg, Urteil vom 14. Januar 2021 – 1 U 160/20 –, juris Rn. 53; OLG Hamm, Urteil vom 23. November 2020 – I-8 U 43/20 –, juris Rn. 58 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 05. Juni 2020 – 8 U 1803/19 –, Rn. 34, juris; Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18. September 2020 – 8 U 39/20 –, Rn. 57, juris).
15Der Senat ist der Überzeugung, dass der Einsatz der Abschalteinrichtung auf der Grundlage einer strategischen unternehmerischen Entscheidung stattgefunden hat, um die Abgasrückführung beeinflussen zu können und die Typengenehmigung zu erhalten. Die Täuschung des KBA und der Käufer der PKW erfolgte aufgrund eines Gewinnstrebens der Beklagten. Weshalb sie zur Erlangung der Typengenehmigung auf eine unzulässige Abschalteinrichtung hätte zurückgreifen sollen, wenn dies ohne wirtschaftliche Auswirkungen auf andere Weise möglich gewesen wäre, ist nicht ersichtlich. Dies lässt den Schluss darauf zu, dass der Beklagten die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte jedenfalls nicht ohne finanzielle Einbußen möglich gewesen ist. Dass sie die betroffenen Fahrzeuge gleichwohl hergestellt und auf den Markt gebracht hat, zeigt, dass sie sich diese Geschäfte gleichwohl nicht hat entgehen lassen wollen, und sei es um den Preis, im Zulassungsverfahren auf unlautere Mittel zurückgreifen zu müssen (vgl. OLG Oldenburg a.a.O. – Rn. 56 ff.).
16Dieses rechtswidrige und übersteigerte Gewinnstreben ist sittenwidrig. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass diese Abschalteinrichtung in Deutschland und weltweit in einer Vielzahl von Fahrzeugen eingesetzt wurde. Die Beklagte hat mithin im großen Stil bewusst zumindest bei den in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen das KBA und in der Folge die Käufer der Wagen getäuscht. Dieses Verhalten verstößt gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden und ist mithin sittenwidrig (vgl. OLG Oldenburg, a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.; OLG Koblenz a.a.O.; OLG des Landes Sachsen-Anhalt, a.a.O.).
17bb)
18Der sittenwidrige Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung zur Täuschung des KBA und der Käufer der PKW erfolgte durch Personen, deren Verhalten der Beklagten gem. § 31 BGB zuzurechnen ist.
19Der Vortrag des Klägers, dass der Vorstand der Beklagten Kenntnis von der im Motor des Fahrzeugs verwendeten unzulässigen Abschalteinrichtung gehabt hat, gilt gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden, da die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen ist. Der Kläger hat hinreichende Ansatzpunkte für eine Kenntnis des Vorstandes vorgetragen. Für eine Kenntnis des Vorstands spricht Folgendes: Bei der Beklagten handelt es sich um einen großen, international tätigen und renommierten Autohersteller. Vor diesem Hintergrund erscheint es als ausgeschlossen, dass der Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung, die zur Täuschung des KBA installiert wurde, von nachgeordneten Mitarbeitern der Beklagten angeordnet und durchgeführt worden sein könnte. Hiergegen spricht bereits der Umstand, dass es sich um eine grundlegende, weltweit zahlreiche Fahrzeuge betreffende Strategieentscheidung handelt, die mit erheblichen Risiken für das gesamte Unternehmen und auch mit persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen verbunden gewesen ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, juris Rn. 39, zum VW-Motor EA 189). Entgegenstehende Anhaltspunkte lassen sich dem Vortrag der Beklagten nicht entnehmen.
20cc)
21Der Kläger hätte ohne die Täuschung des Beklagten das streitgegenständliche Fahrzeug nicht gekauft. Die vom BGH im Urteil vom 25. Mai 2020 (IV ZR 252/19) angeführte allgemeine Lebenserfahrung, dass der Kläger den streitgegenständlichen PKW nicht gekauft hätte, wenn er um die unzulässige Abgassoftware und die davon ausgehende Gefahr der nicht ordnungsgemäßen Betriebserlaubnis gewusst hätte, greift aus Sicht des Senats auch vorliegend (ebenso OLG Oldenburg, a.a.O., Rn. 63; OLG Hamm, Urteil vom 23. November 2020 – I-8 U 43/20 –, juris Rn. 78). Zum Zeitpunkt des Kaufs bestand für den Kläger die ungewollte Gefahr einer Stilllegung des Fahrzeugs oder anderweitiger Maßnahmen des KBA.
22Die Anhörung des Klägers im Senatstermin hat diese allgemeine Lebenserfahrung nicht erschüttert, sondern bestätigt.
23Das durchgeführte Softwareupdate lässt die Kausalität nicht entfallen. Der im Februar/September 2015 unter Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Klägers sittenwidrig herbeigeführte ungewollte Vertragsschluss wird durch das - zumal angesichts einer anderenfalls drohenden Betriebsuntersagung - durchgeführte Softwareupdate auch nicht rückwirkend zu einem gewollten Vertragsschluss (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 Rn. 58, BGHZ 225, 316; BGH, Urteil vom 16. Dezember 2021 – VII ZR 389/21 –, Rn. 15, juris).
24dd)
25Der Kläger hat durch den Erwerb des Fahrzeugs einen Schaden erlitten.
26Liegt die Schädigung in dem Abschluss eines Kaufvertrags über ein bemakeltes Kraftfahrzeug, ist nach der vom Senat geteilten höchstrichterlichen Rechtsprechung der Geschädigte nicht darauf beschränkt, gegen die Erstattung des Kaufpreises unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung und sonstiger Vorteile die Kaufsache herauszugeben. Er kann die Kaufsache behalten. Als Schaden kann er dann – wie hier der Kläger – den Betrag ersetzt verlangen, um den er den Kaufgegenstand – gemessen an dem objektiven Wert von Leistung und Gegenleistung – zu teuer erworben hat. Der Geschädigte wird damit so behandelt, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Vertrag zu einem niedrigeren Preis abzuschließen. Da es sich hierbei nur um die Bemessung des verbliebenen Vertrauensschadens und nicht um die Frage einer Anpassung des Vertrags handelt, braucht der Kläger auch nicht nachzuweisen, dass sich der Vertragspartner auf einen Vertragsschluss zu einem niedrigeren Preis eingelassen hätte (BGH, Urteil vom 24. Januar 2022 – VIa ZR 100/21 –, Rn. 9, juris, mwN).
27b)
28Die Beklagte ist aufgrund der von ihr erhobenen Verjährungseinrede gem. § 214 Abs. 1 BGB berechtigt, die Leistung zu verweigern, soweit dem Kläger nicht ein Anspruch auf Herausgabe des Erlangten nach Eintritt der Verjährung gem. § 852 BGB gegen die Beklagte zusteht. An dieser Stelle kann die Höhe des Anspruchs noch offenbleiben. Entsprechendes gilt aufgrund der insoweit einheitlichen Verjährungsfrist auch für Ansprüche aus anderen deliktischen Anspruchsgrundlagen wie etwa § 823 Abs. 2 BGB, vgl. OLG München, Beschluss vom 1. März 2024 – 13 U 2432/23 e –, Rn. 16, juris.
29Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).
30Nach der Überzeugung des Senats ist in der Person des Klägers unter Zugrundelegung aller Umstände des Falls die erforderliche Tatsachenkenntnis bereits im Laufe des Jahres 2018 anzunehmen und nicht erst - wie von ihm durchgehend geltend gemacht - frühestens im Jahr 2019.
31aa)
32Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorhanden, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 – VI ZR 739/20 –, juris Rn. 8 m.w.N.). § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB stellt nur auf die Kenntnis der tatsächlichen Umstände ab, mithin des Lebenssachverhalts, der die Grundlage des Anspruchs bildet (BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2015 - XII ZB 516/14, BGHZ 208, 210 Rn. 39 m.w.N). Dabei ist weder notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 – VI ZR 739/20, juris Rn. 8 m.w.N.). Aus der Regelung des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, die nur auf die Kenntnis der den Anspruch begründenden tatsächlichen Umstände abstellt, ergibt sich, dass das Risiko der fehlerhaften rechtlichen Bewertung eines Sachverhalts vom Gesetz grundsätzlich dem Anspruchsinhaber auferlegt wird. Die erforderliche Kenntnis ist bereits vorhanden, wenn die dem Geschädigten bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners als naheliegend erscheinen zu lassen. Es muss dem Geschädigten lediglich zumutbar sein, aufgrund dessen, was ihm hinsichtlich des tatsächlichen Geschehensablaufs bekannt ist, Klage zu erheben, wenn auch mit dem verbleibenden Prozessrisiko, insbesondere hinsichtlich der Nachweisbarkeit von Schadensersatz auslösenden Umständen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 – VI ZR 739/20, juris Rn. 8 m.w.N.).
33Eine der Tatsachenkenntnis gleichgestellte grob fahrlässige Unkenntnis setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB liegt dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder dasjenige nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können. Dabei trifft den Geschädigten keine allgemeine Informationspflicht. Auch die – zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits unstreitige und vom Kläger nach eigenen Angaben wahrgenommene – mediale Verarbeitung des „Audi-Dieselskandals“ reicht isoliert nicht für einen Verjährungsbeginn. Denn die Verbreitung und Zugänglichkeit medial veröffentlichter Informationen auch zur Frage der Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs geht – worauf es hier entscheidend ankommt – nicht zwingend mit einer tatsächlichen Wahrnehmung derselben auf Seiten des Geschädigten einher (BGH, Urteil vom 25. August 2022 - VII ZR 23/21 juris Rn. 14). Für den Geschädigten besteht auch keine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Initiative zur Klärung von Schadenshergang oder Person des Schädigers zu entfalten. Inwieweit der Gläubiger zur Vermeidung der groben Fahrlässigkeit zu einer aktiven Ermittlung gehalten ist, hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalls ab. Das Unterlassen einer solchen Ermittlung ist nur dann als grob fahrlässig einzustufen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Unterlassen aus der Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Gläubigers als unverständlich erscheinen lassen. Für den Gläubiger müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein, so dass er aus verständiger Sicht gehalten ist, die Voraussetzungen des Anspruchs aufzuklären, soweit sie ihm nicht ohnehin bekannt sind (BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 396/21, MDR 2022, 558 Rn. 25; Urteil vom 25. August 2022 - VII ZR 23/21, juris Rn. 19; Urteil vom 10. Mai 2023 - VII ZR 534/21, juris Rn. 20, jeweils mwN).
34bb)
35Nach den vorstehend dargestellten Maßgaben lagen die subjektiven Voraussetzungen des Verjährungsbeginns bereits im Laufe des Jahres 2018 beim Kläger vor. Dabei verkennt der Senat nicht, dass der Tatbestand aus § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB insbesondere die Variante der grob fahrlässigen Unkenntnis - zu Recht an strenge Voraussetzungen geknüpft ist.
36Allerdings geht der Senat unter Zugrundelegung aller Umstände gerade dieses Falles und insbesondere der eigenen Angaben des Klägers im Rahmen der ergänzenden persönlichen Anhörung davon aus, dass sich neben der vom Kläger wahrgenommenen medialen Berichterstattung die Anzeichen für eine Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs vom Diesel-Abgasskandal im Laufe des Jahres 2018 aufgrund einer Vielzahl von speziellen sich zusammenfügenden Gesichtspunkten derart verdichtet hatten, dass sich eine Haftung der Beklagten infolge Manipulation der Motorsteuerung für den Kläger geradezu aufdrängte. Im Lichte dieser besonderen Erkenntnislage war der Kläger noch im Jahr 2018 zu weiteren für ihn naheliegenden Nachforschungen gehalten und stellt sich deren Unterlassen als in der Situation völlig unverständlich - den Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis erfüllend - und damit verjährungsschädlich dar. Hätte der Kläger die gebotenen Aufklärungsbemühungen unternommen, wäre er nach Überzeugung des Senats noch vor Abschluss des Jahres 2018 ohne große Mühewaltung zu der Erkenntnis gelangt, dass sein Fahrzeug von einem amtlichen Rückruf infolge Einsatzes einer in Bezug auf die Abgasreinigung manipulativen Motorsteuerungssoftware betroffen war.
37(1)
38Dabei misst der Senat zunächst als gleichsam verbindendem Element dem Umstand ein besonderes Gewicht bei, dass der Kläger als promovierter und regelmäßig Fachzeitschriften studierender Chemieingenieur – anders als etwa der „durchschnittliche“ und im Regelfall lediglich mit laienhaften Kenntnissen ausgestattete Dieselkunde aus anderen dem Senat bekannten Verfahren – kraft Ausbildung und Berufsausübung über eine besondere Sachkunde der vornehmlich chemischen Prozesse im Zuge der technisch komplexen Abgasreinigung bei Dieselfahrzeugen verfügte. Dieses Fachwissen hat der Kläger dem Senat auch anschaulich im Zuge seiner mündlichen Anhörung demonstriert.
39(2)
40Im Lichte dieses besonderen Fachwissens hat der Kläger nach eigenen Angaben nicht nur die mediale Berichterstattung im Zusammenhang mit dem im Jahr 2015 publik gewordenen Abgasskandal rund um den Volkswagenkonzern (EA189) zur Kenntnis genommen, sondern spätestens im Laufe des Jahres 2018 auch die ab 2017 aufgekommene Berichterstattung über Manipulationen an von der Beklagten entwickelten 3,0 l - Aggregaten. Letzteres geschah in dem Wissen – zumindest im Sinne eines „sachgedanklichen Mitbewusstseins“ –, dass auch sein Fahrzeug mit einem von der Beklagten entwickelten 3,0 l TDI-Motor ausgestattet war.
41(3)
42Der Umstand, dass der Kläger die von ihm zumindest in Form eines kleinen Artikels in der Tageszeitung zur Kenntnis genommene Berichterstattung über 3,0 l - Motoren im Jahr 2018 trotz seiner besonderen Sachkunde nach eigenen Angaben deshalb nicht mit seinem eigenen Fahrzeug in Verbindung zu verbringen vermochte, weil dieses ein Sondermodell sei, ist ihm zumindest von dem Zeitpunkt an als wider die eigenen Interessen und somit subjektiv nicht entschuldbar anzulasten, als ihn - ebenfalls fachkundige - Arbeitskollegen aus der Chemiebranche initiativ darauf ansprachen, ob nicht auch der in seinem Fahrzeug verbaute 3,0 l - Motor von einer Abgasmanipulation und den medial verbreiteten Rückrufen des KBA betroffen war. Spätestens diese nach eigenen Angaben des Klägers ebenfalls im Laufe des Jahres 2018 geführten Gespräche mit fachkundigen Arbeitskollegen hätten ihn als fachkundigen Dieselkunden veranlassen müssen, hinsichtlich der bis dahin nicht in Erwägung gezogenen Schlussfolgerung, sein eigenes Fahrzeug könnte betroffen sein, misstrauisch zu werden und sich näher über die Sachlage zu informieren. Gerade die Tatsache, dass im fachkundigen Kollegenkreis Unterhaltungen über die Thematik geführt wurden, zeigt, dass sich die Möglichkeit einer Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs für den Kläger immer weiter aufdrängte. Dabei kann nach Auffassung des Senats auch nicht ausschlaggebend sein, dass der Kläger ebenso wie seine Arbeitskollegen nach dessen Angaben keine Kenntnis über das Vorhandensein der amtlichen Rückrufdatenbank des KBA hatten. Hier hätten sich durch wenige Eingaben in Internet-Suchmaschinen für den Kläger die von der Beklagten schriftsätzlich hinlänglich dargestellten einschlägigen Informationsquellen ergeben. Der Senat geht auch nicht davon aus, dass der Kläger nicht internetaffin ist. Dies zeigt sich bereits daran, dass er nach eigenen Angaben in der Folgezeit Werbeanzeigen einschlägiger Verbraucherkanzleien wahrgenommen hat und sich auf diese Weise aktiv Kontakt zu seinen vormaligen außergerichtlichen Bevollmächtigten zu verschaffen vermochte.
43(4)
44In keiner Weise mehr nachvollziehbar und obliegenheitswidrig ist vor dem Hintergrund der vorstehend dargestellten Gesichtspunkte das Verhalten des Klägers spätestens im Zusammenhang mit dem Werkstatttermin kurz vor Weihnachten 2018, in welchem das mittlerweile zur Verfügung stehende Softwareupdate der Beklagten am Fahrzeug des Klägers installiert worden ist. Denn selbst wenn man entgegen den vorstehenden Ausführungen sich aufdrängende und für eine Nachforschung Anlass gebende Umstände aufgrund der Berichterstattung, der im fachkundigen Kollegenkreis geführten Gespräche und der in diesem Zusammenhang gezielt geäußerten Verdachtsmomente der Kollegen bis zu diesem Zeitpunkt nicht annähme, so lagen diese Umstände spätestens nach Rückerhalt des Fahrzeugs und Aushändigung der Bescheinigung am 21.12.2018 auf der Hand; dies in einer solchen Weise, dass das weitere Untätigbleiben des Klägers in der Folgezeit nur als ein „bewusstes Verschließen der Augen“ bezeichnet werden kann.
45(a)
46Die dem Kläger ausgehändigte Bescheinigung über das durchgeführte Softwareupdate vom 24.12.2018 (Bl. 784 d.A., nach Angaben des Klägers falsch datiert), die er wahrgenommen hat, enthielt den expliziten Hinweis auf einen Rückruf des KBA gerade in Bezug auf das Fahrzeug des Klägers. Dass dieser im Zusammenhang mit den Abgasemissionen stand, ergab sich – für den Kläger als Chemieingenieur ohne weiteres erkennbar – aus der Überschrift unter dem Punkt „Feldaktion“. Des Weiteren war auch die Kennziffer der Rückrufaktion ausdrücklich angegeben. Aus diesen Erkenntnissen in Verbindung mit der eigenen Sachkunde und den von Kollegen bereits Monate vorher geäußerten Verdachtsmomenten im Angesicht der medialen Berichterstattung musste der Kläger zwingend den Schluss ziehen, dass auch sein Fahrzeug mit einer manipulativen Software des Emissionskontrollsystems ausgestattet war. Vor diesem Hintergrund ist es absolut unverständlich, dass er in der Folge weiter untätig geblieben ist.
47(b)
48Dabei entlastet den Kläger einerseits nicht, dass man ihm nach eigenen Angaben im Telefonat seitens der Werkstatt im Vorfeld lediglich mitgeteilt hatte, der NoX-Sensor müsse getauscht werden und dass diese Maßnahme auch im Abholschein vom 21.12.2018 (Bl. 179 d.A.) aufgeführt ist. Angesichts seines speziellen Fachwissens durfte der Kläger die Bescheinigung über das Softwareupdate nicht lediglich unreflektiert auf den Austausch eines beschädigten Sensors beziehen und die Bescheinigung nicht in Verbindung mit einem amtlichen Rückruf des KBA setzen. Dies ergibt sich daraus, dass der ausgetauschte NoX-Sensor auch im Abholschein separat unter Pos. 7 aufgeführt ist und das Softwareupdate, auf welche sich die separate Bescheinigung bezieht, demgegenüber in einer eigenen Pos. 6 - und dies wiederum in Verbindung mit der erneuten expliziten Benennung des Rückrufcodes mit der Beschreibung „A-Diesel Emissionsminderung“. Aufgrund seiner Sachkunde und der Aufführung des identischen Rückrufcodes musste der Kläger die separat ausgestellte Bescheinigung über das Softwareupdate vielmehr mit Pos. 6 des Abholscheins in Verbindung bringen. Auf die Wichtigkeit der Bescheinigung wurde der Kläger nach seinen eigenen Angaben von der Werkstatt hingewiesen. Er sollte sie gut aufbewahren und stets mitführen. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger aufgrund seiner Sachkunde durchaus zu differenzieren weiß, ob sich eine Maßnahme am Fahrzeug auf ein beschädigtes Bauteil bezieht, das im Zusammenhang mit der Abgasreinigung eine Rolle spielen kann, oder aber auf einen amtlichen Rückruf in Betreff der für die Abgasreinigung verwendeten Software.
49(c)
50Andererseits spielt es für die Bewertung des Zeitpunktes, zu welchem verjährungsschädliches Verhalten im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB anzunehmen ist, keine Rolle, ob die letzten Erkenntnisse für den Kläger erst wenige Tage vor Ablauf des Jahres 2018 zutage getreten sind und ob er auch unter Berücksichtigung der Weihnachtsfeiertage bereits verjährungshemmend eine Klage vor Ablauf des Jahres hätte erheben müssen. Hierauf hatten bereits die Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung zu Recht hingewiesen. Denn es kommt für den Verjährungsbeginn gem. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB lediglich darauf an, dass noch im Jahr 2018 für den Kläger eine solche Sachlage offenbar wurde, welche in diesem Zeitpunkt zwingend zur Anstellung naheliegender Überlegungen und Nachforschungen hätte veranlassen müssen, welche – wären sie unternommen worden - ohne weiteres zu solchen Erkenntnissen geführt hätten, die ab diesem Zeitpunkt eine Klageerhebung gegenüber der Beklagten innerhalb von drei Jahren zumutbar gemacht hätten. Das ist hier nach den vorangegangenen Ausführungen indes der Fall.
51c)
52Der ursprüngliche Anspruch besteht indes gem. § 852 S. 1 BGB in Höhe von 3.855,78 € in abgewandelter Form und dies nach S. 2 unverjährt weiter.
53aa)
54§ 852 BGB ist keine eigenständige Anspruchsgrundlage, sondern führt dazu, dass der ursprüngliche Schadensersatzanspruch durch die Rechtsfolgenverweisung des § 852 BGB auf die §§ 812 ff. BGB trotz der Verjährung des ursprünglichen Schadensersatzanspruchs weiter fortbesteht, sog. Restschadensersatzanspruch. Der Bereicherungsanspruch des § 852 BGB behält die Rechtsnatur als Schadensersatzanspruch und erfordert dieselben Voraussetzungen wie der weitergehende verjährte Schadensersatzanspruch. Er hat den Charakter einer Rechtsverteidigung gegenüber der Einrede der Verjährung. Der verjährte Deliktsanspruch bleibt als solcher bestehen, wird aber in seinem Umfang auf das durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Geschädigten Erlangte beschränkt, vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 1978 – X ZR 19/76, juris Rn. 61; OLG Stuttgart, Urteil vom 09. März 2021 – 10 U 339/20, juris Rn. 41. Die Rechtsfolgen richten sich nicht mehr nach §§ 249 ff. BGB, sondern nach §§ 812 ff. BGB.
55bb)
56§ 852 Satz 1 BGB setzt voraus, dass "der Ersatzpflichtige durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt" hat. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt, da die Neuwagenbestellung des Klägers eine entsprechende Bestellung des Händlers bei der Beklagten auslöste, wodurch die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung des Händlereinkaufspreises erlangte. Nach Erfüllung dieser Forderung durch den Händler setzt sich die Bereicherung der Beklagten gemäß § 818 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB an dem vom Händler erlangten Entgelt fort (dazu BGH, Urteil vom 21. März 2022 – VIa ZR 275/21 –, Rn. 27 f., juris). Dass der Händler – eine unmittelbare Vermögensverschiebung ausschließend - das Fahrzeug zuvor unabhängig von der Bestellung des Klägers auf eigene Kosten und eigenes Absatzrisiko erworben hätte, ist weder vorgetragen, noch anhand der vorgelegten Bestellunterlagen ersichtlich.
57cc)
58Entgegen der Auffassung der Beklagten setzt sich auch der lediglich auf einen sog. kleinen Schadensersatz (Ausgleich eines Minderwerts) gerichtete Anspruch in § 852 S. 1 BGB fort. Soweit obergerichtlich teilweise anderes vertreten wird (z. B. OLG Düsseldorf Urt. v. 27. Oktober 2022 – 6 U 236/21, BeckRS 2022, 32281 Rn. 57, beck-online; OLG München Endurteil v. 7. Februar 2024 – 27 U 3512/23, BeckRS 2024, 2741 Rn. 31, beck-online; OLG München, Endurteil vom 27. Juni 2022 – 17 U 8117/21 –, Rn. 38, juris), kann der Senat keine überzeugenden dogmatischen Erwägungen erkennen, welche diese Auffassung stützen könnten. Die hierbei angeführte Überlegung, der aufgrund des dahingehend ausgeübten Wahlrechts des Geschädigten begehrte Minderwertschaden sei nicht auf den Ausgleich des negativen Interesses, sondern eines dem Erfüllungsinteresse zumindest nahekommenden Minus im Vermögen des Geschädigten gerichtet und dieses wiederum nicht vom Regelungsgegenstand des § 852 S. 1 BGB erfasst, weil das Begehren des Geschädigten nichts mit dem zu tun habe, was der Schädiger erlangt habe, greift zu kurz. Die hierin zum Ausdruck kommende Befürchtung, das von der Norm geforderte Kriterium einer unmittelbaren Vermögensverschiebung zwischen Schädiger und Geschädigtem sei nicht erfüllt, ist unbegründet und trifft aus Sicht des Senats aufgrund einer allzu künstlichen Betrachtung in der Sache nicht zu. An der Unmittelbarkeit der Vermögensverschiebung bestehen keine Zweifel. Es ist zwar rein begrifflich zutreffend und sachlich logisch, dass der Hersteller den Kaufpreis erlangt hat und nicht den Minderwert. Bei wirtschaftlicher und lebensnaher Betrachtung hat der Schädiger aber gerade durch das haftungsbegründende Geschehen den „zu hohen“ Kaufpreisanteil erlangt, den der Geschädigte im Wege des kleinen Schadensersatzes begehrt; das, was er als Minderwert ersetzt verlangt, ist dem Vermögen des schädigenden Herstellers in Form des überhöhten Kaufpreises zugeflossen. Solange eine solche unmittelbare Vermögensverschiebung – wie hier – stattgefunden hat, besteht kein rechtlicher oder tatsächlicher Grund, den Geschädigten auf eine der beiden (gleichwertigen) Arten der Schadensberechnung festzulegen (OLG Hamm, Urteil vom 10. August 2023 – I-18 U 168/22 –, Rn. 11, juris; OLG Köln, Urteil vom 17. August 2022 – I-22 U 30/22 –, Rn. 20, juris; so iE auch OLG Frankfurt, Urteil vom 6. März 2023 – 26 U 65/22 –, Rn. 22, juris).
59dd)
60Der Höhe nach besteht lediglich ein Restschadensersatzanspruch im Umfang der zuerkannten 3.855,78 €. Dies entspricht der nach Anwendung der Grundsätze der Vorteilsausgleichung noch bestehenden Vermögensmehrung auf Seiten der Beklagten (1). Angesichts der in dieser Höhe begründeten Deckelung des Restschadens muss der Senat nicht entscheiden, ob der vom Kläger geltend gemachte kleine Schadensersatz unter Zugrundelegung der maßgeblichen Bemessungskriterien unverjährt höher als 5,303 % des Bruttokaufpreises – dies entspräche ca. einen Betrag von 3.855,78 € – zu bewerten ist (2).
61(1)
62Die auf Seiten der Beklagten im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung durch den Erwerbsvorgang vorhandene Vermögensmehrung besteht in Höhe von 3.855,78 €, so dass ein Restschadensersatzanspruch von vornherein auf diesen Betrag beschränkt ist.
63Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, welcher der Senat sich anschließt, unterliegt der Restschadensersatzanspruch aus § 852 S. 1 BGB einer dreifachen Limitierung: Zunächst ist der seitens des Fahrzeughändlers vom Geschädigten vereinnahmte Kaufpreis um die Händlermarge zu reduzieren. Anschließend ist von dem so ermittelten Händlereinkaufspreis der Wert der vom Geschädigten gezogenen Nutzungen in Abzug zu bringen. Und schließlich schuldet der Fahrzeughersteller als Schädiger Restschadensersatz nur Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs (BGH, Urteil vom 25. Juli 2022 – VIa ZR 601/21 –, Rn. 15, juris, mwN), wobei die letztgenannte Limitierung im vorliegenden Falle des lediglich geltend gemachten kleinen Schadensersatzes naturgemäß keine Bedeutung hat. Stattdessen ist der Restwert des noch im Vermögen des Geschädigten vorhandenen Fahrzeugs als Vorteil einzustellen (OLG Köln, Urteil vom 23. August 2022 – I-3 U 190/21 –, Rn. 37, juris).
64Danach ergibt sich folgende Berechnung:
65(a)
66Der Bruttokaufpreis i.H.v. 72.700,00 € als Ausgangspunkt ist um eine Händlermarge von 15 % zu bereinigen (72.700,00 € x 0,85 = 61.795,00 €). Dieser Wert entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats und beruht auf Erfahrungswerten aus zahlreichen Verfahren. Der Kläger, der ursprünglich noch vorgetragen hatte, mangels konkreter gegenteiliger Erkenntnisse davon auszugehen, dass die Beklagte den gesamten Kaufpreis vereinnahmt hätte (die Händlermarge also 0 % betrüge), hat sich letztlich auf den Hinweis des Senats in der mündlichen Verhandlung auch auf diesen Wert bezogen. Dass die Händlermarge im Falle des streitgegenständlichen Fahrzeugs tatsächlich höher als 15 % lag, hat die insoweit sekundär darlegungsbelastete Beklagte nicht behauptet.
67(b)
68Der Senat schätzt gem. § 287 ZPO die als Vorteil abzuziehende Nutzungsentschädigung auf 31.450,22 €.
69Im Rahmen der Schätzung der Nutzungsentschädigung gem. § 287 ZPO geht der Senat grundsätzlich von einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km aus. Grundlage für diese Schätzung ist, dass ein Wagen bei einer Laufleistung von 15.000 km/Jahr in 20 Jahren seine prognostizierte wirtschaftliche Gesamtleistungsdauer erreicht hat. Wenn aber – wie hier – eine atypisch geringe Laufleistung vorliegt, ist die Gesamtlaufleistung zu reduzieren, vgl. OLG München, Urteil vom 26. Januar 2021 – 5 U 2386/20 –, juris; OLG Koblenz, Urteil vom 30. August 2021 – 12 U 1835/19 – Rn. 51; OLG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2019 – 12 U 696/19 – MDR 2020, 409; OLG Schleswig, Urteil vom 20. März 2020 – 17 U 101/19 – BeckRs 2020, 22695; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 13. April 2021 – 2 U 108/20 –, juris Rn. 34. Bei unter 15.000 km Jahreskilometerleistung ist die tatsächliche durchschnittliche Jahreslaufleistung mit 20 zu multiplizieren. Das Ergebnis stellt die angesetzte Gesamtlaufleistung dar. Die Berechnung der Laufleistung beginnt mit dem Tag der Erstzulassung (hier: 30.09.2015).
70Dies führt hier zu einer im Rahmen der Schätzung anzusetzenden Gesamtlaufleistung von 267.839 km. Unter Zugrundelegung des unstreitigen aktuellen Kilometerstandes von 115.868 km ergibt dies eine jährliche Fahrleistung von 13.392 km. Multipliziert mit 20 Jahren ergibt dies die Gesamtlaufleistung von 267.839 km.
71Die Nutzungsentschädigung berechnet sich nach der Formel: Nutzungsentschädigung = Bruttokaufpreis X gefahrene Kilometer / Restlaufleistung bei Kauf). Dies ergibt 31.450,22 € (72.700 € Bruttokaufpreis X 115.868 gefahrene km / 267.839 Gesamtlaufleistung).
72(c)
73Den als weiteren Vorteil in Abzug zu bringenden Restwert schätzt der Senat auf 26.489,00 €, § 287 ZPO. Der Senat legt dabei den von der Beklagten mitgeteilten Händlereinkaufswert zugrunde (vgl. DAT-Abfrage v. 01.02.2023, Anl. B10, Bl. 658 d.A.).
74Der Händlereinkaufspreis ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats entscheidend, da dieser Preis den Wert darstellt, zu dem der Kläger den Wagen verkaufen kann (ebenso Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 29. September 2023 –, 3 U 20/22 –, juris Rn. 22; in anderem Zusammenhang auch BGH, Urteil vom 25. Oktober 2022 – XI ZR 44/22 –, BGHZ 235, 1-27 juris Rn 79; OLG Köln, Urteil vom 20. April 2023 – I-12 U 132/22 –, juris Rn. 51).
75Die von der Beklagten vorgelegte Ermittlung findet auch im Wesentlichen Bestätigung in dem vom Kläger im Schriftsatz vom 26.09.2023 mitgeteilten, nicht nennenswert darunter liegenden Restwert von 26.100,00 €.
76(d)
77Als maximal im Rahmen von § 852 S. 1 BGB auszukehrende Bereicherung ergeben sich:
7872.700,00 € x 0,85 = 61.795,00 €
79abzüglich 31.450,22 €
80abzüglich 26.489,00 €
81= 3.855,78 €.
82(2)
83Der Senat schätzt den durch die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung bedingten Minderwert des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Kaufs auf mindestens 5,303 % des Kaufpreises von 72.700,00 €, was einem Betrag von ca. 3.855,78 € entspricht. Ob der Minderwert höher anzusetzen ist, bedarf angesichts der Limitierung des Restschadens nach den vorstehenden Ausführungen keiner abschließenden Entscheidung.
84Da nach dem BGH sich der Anspruch auf Ersatz eines Differenzschadens gem. § 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV nicht von dem unter den Voraussetzungen der §§ 826, 31 BGB zu gewährenden „kleinen“ Schadensersatz unterscheidet (BGH NJW 2023, 2259 Rn. 40, beck-online), richtet sich die Feststellung eines Minderwertes nach denselben Grundsätzen und ist somit die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht erforderlich (so auch OLG Hamm, Urteil vom 10. August 2023 – I-18 U 168/22 –, Rn. 12 ff., juris).
85Dabei ist für die Bemessung des kleinen Schadensersatzes grundsätzlich zunächst der Vergleich der Werte von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich. Die Bemessung des kleinen Schadensersatzes hat vom objektiven Wert des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses auszugehen, bei dessen Bestimmung die mit der Prüfstanderkennungssoftware verbundenen Nachteile, insbesondere das Risiko dem Kläger nachteiliger behördlicher Anordnungen, zu berücksichtigen sind. Denn das Wertverhältnis der vertraglich geschuldeten Leistungen ändert sich nicht dadurch, dass eine der Leistungen nachträglich eine Auf- oder Abwertung erfährt; der Vertrag wird dadurch nicht günstiger oder ungünstiger (BGH, Urteil vom 24. Januar 2022 – VIa ZR 100/21 –, Rn. 15, juris, mwN). Eine etwaige Aufwertung des Fahrzeugs durch das Software-Update als nachträgliche Maßnahme der Beklagten, die gerade der Beseitigung der Prüfstanderkennungssoftware dienen sollte, ist als Vorteil zu berücksichtigen. Die Beweislast liegt insoweit bei der Beklagten (BGH, Urteil vom 6. Juli 2021 – VI ZR 40/20 –, BGHZ 230, 224-240, Rn. 24).
86(a)
87Der Senat setzt den Schaden des Klägers in Form des Minderwerts nach diesen Maßgaben nicht unter 5,303 % des Kaufpreises an.
88(aa)
89Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestand – latent – die Gefahr einer Betriebsuntersagung oder –beschränkung für das streitgegenständliche Fahrzeug. Im Hinblick auf die schnelle Motoraufwärmfunktion wird dies durch den nach Entdeckung dieser Funktion ausgebrachten verbindlichen Rückruf des KBA belegt. Es bestand daher insgesamt ein deutliches Risiko von erheblichen behördlichen Maßnahmen. Dabei war im Kaufzeitpunkt unklar, ob ein schlichtes Softwareupdate ausreichend sein würde oder aber eine weitergehende konstruktive Umrüstung von Bauteilen des Motors erforderlich werden würde.
90Das Verschulden der Beklagten ist, was nach der Rechtsprechung des BGH zum der Höhe nach deckungsgleichen Differenzschaden (vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 –, juris Rn. 77) unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten in Kombination mit den europarechtlichen Vorgaben ebenfalls – auch beim sog. kleinen Schadensersatz - zu berücksichtigen ist, in Bezug auf die Implementierung der schnellen Motoraufwärmfunktion überdurchschnittlich. Dies folgt bereits daraus, dass diese evident rechtswidrige Funktion, wie oben dargelegt, letztlich auf Grundlage strategischer Entscheidung zur gezielten Manipulation unter Täuschung des KBA und des Marktes vergleichbar der sog. Umschaltlogik beim Volkswagenmotor EA189 entwickelt und eingesetzt worden ist (vgl. zur Minderwertbewertung der Umschaltlogik beim EA189 mit 10 %: OLG Hamm, Urteil vom 10. August 2023 – I-18 U 168/22 –, Rn. 15, juris).
91(bb)
92Ob das im streitgegenständlichen Fahrzeug implementierte Thermofenster ebenfalls eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt und dies im Zuge der Gesamtbewertung zu einem noch höheren Minderwert führen würde, kann angesichts der bereits mehrfach angesprochenen Limitierung des Restschadensersatzes auf maximal 3.855,78 € gleichfalls dahingestellt bleiben.
93(b)
94Eine weitergehende Anspruchskürzung nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung findet im vorliegenden Fall nicht statt, sodass der Restschadensersatz auch nicht weitergehend auf einen etwaig noch weiter reduzierten Betrag unterhalb von 3.855,78 € zu beschränken ist.
95(aa)
96Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs sind auf den Anspruch auf kleinen Schadensersatz erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags unter Berücksichtigung des Minderwerts übersteigen (BGH, Urteil vom 24. Januar 2022 – VIa ZR 100/21 –, Rn. 22, juris). Letzteres ist vorliegend aber nicht der Fall. Dies gilt rechnerisch unabhängig davon, ob man als Minderwert im Ausgangspunkt einen Wert von 5 %, 10 %, 15 % oder 20 % des Kaufpreises ansetzt. In keinem der vorgenannten Szenarien wird der um diesen Prozentsatz jeweils reduzierte Kaufpreis durch die Summe der anzurechnenden Vorteile im Umfang von 31.450,22 € (Nutzungsvorteile) sowie 26.489,00 € (Restwert), vgl. diesbezüglich Darstellung unter (1), rechnerisch erreicht oder gar überschritten.
97(bb)
98Das Softwareupdate lässt den Schaden nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung nicht entfallen. Soweit die schnelle Motoraufwärmfunktion hierdurch beseitigt worden ist, berücksichtigt dies der Markt bereits bei der Bestimmung des in die Vorteilsausgleichung eingestellten Restwertes. Eine Berücksichtigung beim Restwert und getrennt davon noch einmal würde zu einer unzulässigen Doppelberücksichtigung führen, vgl. hierzu Urteil OLG Hamm vom 20. November 2023 – 18 U 225/22.
99d)
100Die zugesprochene Forderung ist gemäß §§ 288 Abs. 1 S. 2, 286 Abs. 1 BGB antragsgemäß mit Ablauf der im vorgerichtlichen Schreiben vom 30.11.2022 gesetzten Frist zu verzinsen. Der Umstand, dass sich die Beklagte im Nachgang zu diesem Schreiben erstmals – im Ergebnis mit Erfolg – auf die Verjährungseinrede berufen hat, begründet in Bezug auf den nicht mehr durchsetzbaren Teil des Anspruchs keine den Verzug insgesamt ausschließende Zuvielforderung.
1012.
102Ungeachtet der Frage, ob der erst in zweiter Instanz nachgeschobene Feststellungsantrag gemäß § 533 ZPO zuzulassen ist, ist er jedenfalls mangels Feststellungsinteresses gemäß § 256 Abs. 1 ZPO unzulässig.
103Der Kläger bezieht sich zur Begründung der für das Feststellungsinteresse erforderlichen möglichen künftigen Schäden auf solche, die „aus einer vorübergehenden Nichtnutzbarkeit des Fahrzeuges über nötige Eigenaufwendungen zur Implementierung von vom Hersteller verweigerten, für die (fortbestehende) Zulassung aber notwendigen „Hardwarelösungen“ bis hin zu den vollständigen, längerfristigen Stilllegungen“, mithin aus dem Stilllegungsrisiko bezüglich des verwendeten Thermofensters resultieren. Derartige Folgeschäden sind aber bereits bei der Bemessung des Minderwerts eingepreist (vgl. BGH, Urteil vom 16. Oktober 2023 – VIa ZR 37/21 –, Rn. 19, juris, zum Differenzschaden, mwN auch zum „kleinen“ Schadensersatz), welcher vorliegend gem. § 852 S. 1 BGB der Höhe nach auf den zugesprochenen Betrag begrenzt ist. Eine gesonderte Erstattungsfähigkeit besteht nicht.
1043.
105Die Nebenentscheidungen ergehen im Hinblick auf die Kosten gem. §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO und im Hinblick auf die vorläufige Vollstreckbarkeit gem. §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
1064.
107Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.