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1. Die aufschiebende Wirkung der Klage 5 K 6174/24 wird gegen die in Ziffer 1 des Bescheides vom 21.09.2024 verfügte Ausweisung wiederhergestellt und gegen die in den Ziffern 2 bis 5, 7 und 8 des Bescheides vom 21.09.2024 verfügte Abschiebungsandrohung, Einreise- und Aufenthaltsverbote, Ablehnung der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis, tägliche Meldepflicht und Zwangsgeldandrohung angeordnet. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
2. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
2Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage 5 K 6174/24,
31. gegen die Anordnung zu Ziffer 1 (Ausweisung) aus der Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 21.09.2024 wiederherzustellen,
42. gegen die Anordnungen zu Ziffer 2, (Abschiebungsandrohung), 3 und 4 (Einreise- und Aufenthaltsverbote), 5 (Ablehnung des Verlängerungsantrags), 7 (tägliche Meldepflicht) und 8 (Zwangsgeldandrohung) aus der Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 21.09.2024 anzuordnen,
5hat in der Sache Erfolg.
6I. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist hinsichtlich Ziffer 1 des Bescheids vom 21.09.2024 als Antrag auf Wiederherstellung und im Übrigen als Antrag auf Anordnung (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 7 AufenthG, § 112 JustG NRW) der aufschiebenden Wirkung der Klage zulässig.
7II. Der Antrag ist auch begründet.
81. Zwar ist das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Ausweisung in einer den Formerfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise damit begründet worden, dass verhindert werden soll, dass der Antragsteller weiter in seinem räumlichen und sozialen Umfeld – also nicht nur in den sozialen Medien – agieren und auch weiterhin kämpferisch-aggressiv direkten und persönlichen Einfluss im salafistischen Sinne auf andere Personen nehmen kann. Damit hat die Antragsgegnerin in hinreichender Weise einzelfallbezogen zum Ausdruck gebracht, dass sie das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Ausweisung damit begründet, dass Gefahren für die Allgemeinheit noch vor Rechtskraft im Hauptsacheverfahren verhindert werden sollen.
9Vgl. BayVGH, Beschluss vom 25.10.2022 – 19 CS 22.1755 – juris Rn. 10.
10Die Frage, ob die gegebene Begründung inhaltlich trägt, ist nicht Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung der Einhaltung des Formerfordernisses des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
11Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 15.05.2021 – 13 ME 243/21 – juris Rn. 23.
122. Ist mithin das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug (hier) der Ausweisung in einer den Formerfordernissen nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise begründet worden, setzt die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung voraus. Da die Ausweisung eine schwerwiegende und mit schwer zu behebenden Folgen für den Ausländer verbundene Maßnahme darstellt, deren Gewicht durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung noch erheblich verschärft wird, setzt das Interesse an der sofortigen Vollziehung des Weiteren die aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls zu treffende Feststellung voraus, dass der Sofortvollzug schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr der mit der Ausweisungsverfügung zu bekämpfenden Gefahren erforderlich ist.
13Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.06.2005 – 2 BvR 485/05 – NJW 2005, 3275; OVG NRW, Beschluss vom 15.05.2007 – 18 B 2067/06 – juris.
14Bei der im Übrigen vorzunehmenden Folgenabwägung sind die konkreten Nachteile für die gefährdeten Rechtsgüter bei einem Aufschub des Vollzugs, wenn sich die Ausweisung nachträglich als rechtmäßig erweist, den konkreten Folgen des Sofortvollzugs für den Ausländer, wenn sich die Ausweisungsverfügung nachträglich als rechtswidrig erweisen sollte, gegenüberzustellen.
15BVerfG, Beschluss vom 04.10.2006 – 1 BvR 2403/06 – juris.
16Für das Vorliegen des besonderen Vollziehungsinteresses im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO kommt es auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an.
17OVG NRW, Beschluss vom 05.08.2009 – 18 B 331/09 – juris; BayVGH, Beschluss vom 25.10.2022 – 19 CS 22.1755 – juris Rn. 11.
18Im vorliegenden Fall ergibt diese Prüfung, dass die Erfolgsaussichten der Klage hinsichtlich der Ausweisungsentscheidung und damit auch für die sich daran anschließenden Verfügungspunkte jedenfalls als offen anzusehen sind. Die offensichtliche Rechtmäßigkeit der Verfügung lässt sich nach Lage der von der Antragsgegnerin ihrer Entscheidung zu Grunde gelegten und dem Gericht übersandten Akten und den Videodateien nach der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht feststellen. Der vorliegende Sachverhalt ist für eine abschließende Prüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung gegebenenfalls weiterhin aufklärungsbedürftig (a.) Die danach zur Entscheidung des vorliegenden Verfahrens erforderliche sogenannte allgemeine Interessenabwägung fällt zu Gunsten des Antragstellers aus (b.). Dies gilt auch für die übrigen an die Rechtmäßigkeit der Ausweisung anknüpfenden Verfügungspunkte der streitgegenständlichen Verfügung, die Abschiebungsandrohung in Ziffer 2, das ausweisungsbedingte Einreise- und Aufenthaltsverbot Ziffer 3, das abschiebungsbedingte Einreise- und Aufenthaltsverbot Ziffer 4, die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in Ziffer 5, die Meldepflicht in Ziffer 7 und die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 8 (c.).
19a. Derzeit ist aus Sicht der Kammer offen, ob die Ausweisung des Antragstellers an den erhöhten Anforderungen des § 53 Abs. 3 AufenthG zu messen ist (aa.), ob er durch seine Tätigkeiten als Prediger, „zuführender Akteur“ und im Hinblick auf seine Kontakte zu „führenden salafistischen Predigern“, MMA-Kämpfern und in die sog. Clan-Szene ein Ausweisungsinteresse im Sinne der §§ 53, 54 AufenthG verwirklicht (bb.) und die Ausweisungsinteressen bei der Abwägung mit den Bleibeinteressen (cc.) des Antragstellers überwiegen (dd.).
20aa. Aus Sicht der Kammer ist derzeit nicht hinreichend aufgeklärt, ob der Antragsteller einen besonderen Ausweisungsschutz genießt und die Ausweisung daher an § 53 Abs. 3 AufenthG zu messen ist.
21Danach darf ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Derselbe Maßstab gilt nach der Rechtsprechung des EuGH für die Ausweisung von Personen, denen ein Aufenthaltsrecht nach Art. 20 AEUV zusteht.
22Vgl. EuGH, Urteil vom 08.05.2018 – C-82/16 –, K.A. u.a., juris Rn. 91 ff.; OVG Bremen, Urteil vom 13.06.2022 – 2 B 106/22 – juris Rn. 15.
23Derzeit kann die Kammer nicht feststellen, ob dem Antragsteller auf Grund des Zusammenlebens mit den deutschen Kindern (insbesondere den Söhnen) grundsätzlich ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nach dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zusteht.
24Einem Drittstaatsangehörigen wie dem Antragsteller kann ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht sui generis zustehen, das aus dem Recht seiner Kinder, die Unionsbürger sind, nach Art. 20, 21 AEUV abgeleitet wird. Dieses setzt voraus, dass ein vom Drittstaatsangehörigen abhängiger Unionsbürger ohne den gesicherten Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen faktisch gezwungen wäre, das Unionsgebiet zu verlassen und ihm dadurch der tatsächliche Genuss des Kernbestands seiner Rechte als Unionsbürger verwehrt wird.
25Vgl. EuGH, Urteil vom 08.05.2018 – C-82/16 –, K.A. u.a., juris Rn. 51 f; 74 m.w.N.; OVG Bremen, Beschluss vom 09.09.2021 – 2 LA 118/21 – juris Rn. 25.
26Dabei obliegt es grundsätzlich dem Drittstaatsangehörigen, die Informationen beizubringen, anhand deren sich beurteilen lässt, ob die Voraussetzungen für die Anwendung des Art. 20 AEUV erfüllt sind.
27Für das Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses besteht aus Sicht des EuGH aber immer schon dann eine Vermutung, wenn Eltern mit ihrem Unionsbürgerkind zusammenleben, selbst wenn der andere Elternteil ebenfalls mit dem Kind zusammenlebt. Der EuGH verlangt also – anders als die Antragsgegnerin meint – ausdrücklich keine über das „Übliche“ hinausgehende, „besondere“ Intensität der Beziehung.
28EuGH, Urteil vom 05.05.2022 – C-451/19 – u. – C-532/19 –, ECLI:EU:C:2022:354 (Subdelegación del Gobierno en Toledo ./. XU und QP; so auch VG Bremen, Beschluss vom 04.06.2024 – 4 V 76/24 – juris Rn. 38.
29In der Hauptsache wäre diesbezüglich aufzuklären, wie stark zumindest das affektive Abhängigkeitsverhältnis der Kinder zum Antragsteller auch vor dem Hintergrund der aus den Verwaltungsvorgängen ersichtlichen polizeilichen Einsätze wegen häuslicher Gewalt, des familiengerichtlichen Verfahrens und der Berichte des Jugendamtes tatsächlich ist und ob sich die Kinder tatsächlich gezwungen sähen, ihren Vater im Fall einer Ausreise in den Kosovo zu begleiten.
30Sollte sich im Hauptsacheverfahren bestätigen, dass der Antragsteller ein Daueraufenthaltsrecht nach Art. 20 AEUV besitzt, wäre die Ausweisung nur dann rechtmäßig, wenn das persönliche Verhalten des Antragstellers gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
31§ 53 Abs. 3 AufenthG schränkt die in Betracht kommenden Schutzgüter auf diese der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ein. Danach umfasst der Begriff „öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der „zwingenden Gründe“ auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin. Den Begriff der „öffentlichen Ordnung“ hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
32BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 51, mit Verweis auf EuGH Urteil vom 24.06.2015 – C-373/13 –.
33Mit dem Erfordernis der Berührung eines „Grundinteresses der Gesellschaft“ ist zudem ein spezifischer Rechtsgüterschutz verbunden, der nur hochrangige Rechtsgüter erfasst.
34Vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 – 1 C 2/09 – juris Rn. 16; OVG NRW, Urteil vom 12.07.2017 – 18 A 2735/15 – juris Rn. 33.
35Ob die Aktivitäten des Antragstellers tatsächlich eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen, ist nach Ansicht der Kammer offen.
36bb. Denn derzeit ist aus Sicht der Kammer (noch) nicht (einmal) hinreichend feststellbar, dass der Antragsteller ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne der §§ 53, 54 AufenthG erfüllt.
37Die Antragsgegnerin hat die Ausweisungsverfügung vorrangig auf die Tatbestände der §§ 53, 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gestützt.
38Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausweisung überwiegt. Es handelt sich hierbei nicht um eine Ermessensentscheidung, sondern eine gerichtlich voll überprüfbare Abwägung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Einzubeziehen sind hierbei die in den §§ 54 und 55 AufenthG typisierend, aber nicht abschließend angeführten besonders schwerwiegenden und schwerwiegenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen. Hat ein danach typisches Interesse nach der gesetzgeberischen Wertung stärkeres Gewicht als die gegenläufigen Belange, müssen besondere Umstände vorliegen, die eine abweichende Abwägung rechtfertigen können.
39VG Köln, Urteil vom 19.07.2022 – 5 K 4089/20 – juris Rn. 47; BT-Drs. 18/4097, S. 49 f.
40Die Abwägung erfolgt dabei nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar. Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54 und 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder „besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als „schwerwiegend" (Absatz 2). Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.
41Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist anzunehmen, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.
42Die Antragsgegnerin geht vornehmlich davon aus, dass der Antragsteller die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 1 AufenthG durch Zugehörigkeit zum politischen Salafismus sowie politisch- (und daraus folgende jihadistisch-)salafistische Aktivitäten gefährdet. Zudem ist sie der Auffassung, dass er damit auch die öffentliche Sicherheit gefährdet und zudem Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus oder eine derartige Vereinigung unterstützt.
43(1) Dass der Antragsteller selbst den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt (§ 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG), vermag die Kammer anhand der vorgelegten Erkenntnisse nicht festzustellen. Zwar sind grundsätzlich auch Zwischenstufen lose verkoppelter Netzwerke, (virtuelle oder reale) Kommunikationszusammenhänge oder „Szeneeinbindungen“, die auf die Realitätswahrnehmung einwirken, geeignet, die Bereitschaft zu terroristischen Aktivitäten im Einzelfall zu wecken oder zu fördern.
44Vgl. zur sog. Sympathiewerbung in sozialen Netzwerken vgl. Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 14. Aufl. 2022, § 54 AufenthG Rn. 33 und VG München, Beschluss vom 14.12.2016 – M 12 S 16.5400 – juris Rn. 43.
45Als sicherheitsgefährdende Unterstützungshandlung ist – in Anlehnung an die vom Bundesgerichtshof zum strafrechtlichen Unterstützungsbegriff nach §§ 129, 129 a Strafgesetzbuch (StGB) entwickelten Kriterien – jede Tätigkeit anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung auswirkt, die den internationalen Terrorismus unterstützt. Dazu zählt jedes Tätigwerden, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung fördert, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichteten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotenzial stärkt. Eine von der Person ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr ist nicht erforderlich. Maßgeblich ist dabei, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell als gefährlich erscheint. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es dabei nicht an. Diese weite Auslegung des Unterstützerbegriffs ist auch aufgrund der unions- und völkerrechtlich begründeten Zwecksetzung des Gesetzes geboten, um dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen.
46Vgl. zum gesamten Vorstehenden – auch zur Übertragbarkeit auf das aktuelle Ausweisungsrecht – BVerwG, Urteil vom 22.02.2017, a.a.O., Rn. 31-35; VG Berlin, Urteil vom 23.08.2023 – 24 K 7/23 – juris Rn. 50.
47Den vorgelegten Erkenntnismitteln sind jedoch keine direkten bzw. indirekten Bezüge des Antragstellers, auch keine Kommunikationszusammenhänge oder „Szeneeinbindungen“, zu einer islamistischen Terrororganisation zu entnehmen. Weder die Videos noch Fotos oder Beiträge in den sozialen Medien lassen Sympathien des Antragstellers mit der Terrororganisation Islamischer Staat oder vergleichbaren Vereinigungen erkennen.
48Zum gegenwärtigen Zeitpunkt lässt sich zudem in Übereinstimmung mit den Annahmen der Antragsgegnerin nicht feststellen, dass der Antragsteller selbst öffentlich zu Gewalt oder Hass im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 4 oder 5 AufenthG aufgerufen haben könnte.
49(2) Soweit die Antragsgegnerin unter Berufung auf die bayerische Staatsregierung davon ausgeht, dass Anhänger des politischen Salafismus, zu denen grundsätzlich auch der Antragsteller gehören dürfte, eine Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung darstellen und als solche bereits den Grundtatbestand der §§ 53, § 54 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 1 Var. 1 AufenthG erfüllen, vermag die Kammer diese Auffassung nicht zu teilen.
50Die freiheitliche demokratische Grundordnung umfasst die für den freiheitlich demokratischen Rechtsstaat schlechthin unverzichtbaren Grundsätze, mithin die Verfassungsordnung. Diese stellt unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit dar; zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung zählt unter anderem die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten.
51OVG Bremen, Urteil vom 15.01.2013 – 1 A 202/06 – juris Rn. 35.
52Sie wird durch den Betroffenen gefährdet, wenn er sich an Aktionen beteiligt, die auf deren Beseitigung respektive grundlegende Umformung gerichtet sind, wofür das Ziel der Abschaffung einzelner Menschenrechte (z. B. Menschenwürde, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Religionsfreiheit) genügt.
53Vgl. Bergmann/Dienelt/Bauer, AufenthG § 54 Rn. 26.
54Dies kann schon durch Vorbereitungshandlungen (nicht aber durch die bloße Absicht) eintreten; Versuch und Vollendung brauchen nicht abgewartet zu werden.
55Vgl. Bergmann/Dienelt/Bauer, AufenthG § 54 Rn. 30.
56Die salafistische Ideologie steht zu diesen zentralen Grundprinzipien grundsätzlich im Widerspruch.
57BVerwG, Urteil vom 14.05.2014 – 6 A 3.13, Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 62, juris Rn. 38 m.w.N.; OVG NRW Urteil vom 14.01.2016 – 19 A 1214/11 – juris Rn. 43.
58Der Salafismus ist seinem Ursprung nach eine religiös-fundamentalistische Strömung innerhalb des sunnitischen Islam, die sich am Vorbild der muslimischen „Gründerväter", der sogenannten „frommen Altvorderen“ (arabisch "as-salaf as-salih") orientiert. Unter den „Salaf“ versteht sie die drei ersten Generationen von Muslimen, die nach dem Tod des Religionsbegründers und Propheten Muhammad im 7. Jahrhundert n. Chr. auf der arabischen Halbinsel, insbesondere in den Urgemeinden von Mekka und Medina, lebten und der islamischen Geschichtsschreibung zufolge entweder Muhammad persönlich kannten oder mit seinen Anhängern in direktem Kontakt standen. Nach deren Vorbild will der Salafismus das soziale, kulturelle und ökonomische Leben schriftgetreu und kompromisslos sowie in scharfer Abgrenzung zu andersdenkenden Muslimen und neueren Koraninterpretationen rückwärtsgewandt verändern. Spätere Anpassungen seiner Auslegung an veränderte gesellschaftliche und politische Umstände lehnt der Salafismus als „unislamische Neuerungen“ (arabisch „bid'a“) oder als Verfremdungen kategorisch ab. Sie führten ebenso wie jede Zusammenarbeit mit Nicht-Muslimen zwangsläufig zum „Unglauben“ (arabisch „kufr“). Die Spaltung und der Niedergang der islamischen Welt, den die islamische Gemeinschaft (arabisch „umma“) seither erlebt habe, seien nur durch die Rückbesinnung auf die ursprünglichen Wurzeln des eigenen Glaubens zu verhindern. Salafisten verstehen die islamische Religion hiernach als Ideologie und die Scharia als gottgegebenes Ordnungs- und Herrschaftssystem. Demokratie ist in ihren Augen eine falsche "Religion". Gesetze können der salafistischen Ideologie zufolge nur von Gott kommen (Prinzip der göttlichen Souveränität) und niemals vom Volk.
59OVG NRW, Urteil vom 14.01.2016 – 19 A 1214/11 – juris Rn. 39 – 45; OVG Hamburg, Beschluss vom 23.11.2023 – 6 Bs 111/23 – juris Rn. 25, m.w.N.
60Dieses Grundprinzip der salafistischen Ideologie steht nach herrschenden Rechtsprechung in einem fundamentalen Widerspruch zum Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 2 GG.
61OVG NRW, Urteil vom 14.01.2016 – 19 A 1214/11 – juris Rn. 39 – 45; ebenso VG Aachen, Urteile vom 19.11.2015 – 5 K 480/14 – juris Rn. 72, und vom 26.02.2015 – 1 K 1395/14 – juris Rn. 46; VG Minden, Urteil vom 27.10.2015 – 8 K 1220/15 – juris Rn. 29; VG Düsseldorf, Urteil vom 13.08.2015 – 8 K 8778/15 – S. 13 des Urteilsabdrucks, vgl. auch BVerwG, Urteil vom 14.05.2014 – 6 A 3.13 – juris Rn. 37.
62Danach geht alle Staatsgewalt vom Volke aus und wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Das Demokratieprinzip ist nach § 4 Abs. 2 a) BVerfSchG zugleich Kernbestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.
63OVG NRW, Urteil vom 14.01.2016 – 19 A 1214/11 –juris Rn. 39 - 45.
64Innerhalb des Salafismus existieren jedoch diverse konkurrierende Strömungen. Die Hauptrichtungen werden als puristischer, politischer und jihadistischer Salafismus bezeichnet. Während Puristen die Demokratie aus einer fundamentalistischen Haltung heraus ablehnen, sie aber nicht aktiv bekämpfen, propagieren politische und jihadistische Salafisten aktiv die Ablehnung wesentlicher Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und treten für die Etablierung eines Staates ein, in dem vermeintlich göttlich gegebene Gesetze gelten sollen. Während die politischen Salafisten ihr Ziel mit Mitteln der Mission und fortwährender Überzeugungsarbeit zu verwirklichen suchen, befürworten Jihadisten die Anwendung von Gewalt, dies insbesondere in Gebieten, die als „Jihad-Gebiete“ gelten.
65OVG Hamburg, Urteil vom 02.12.2021 – 5 Bf 294/19 – juris Rn. 39 ff. m.w.N.
66Zwar spricht Vieles dafür, dass auch die Tätigkeit von Personen, die vornehmlich dem politischen Salafismus als einer zwar grundsätzlich friedlich agierenden Ausrichtung zugeordnet werden können, die aber der Weiterverbreitung der Ideologie des politischen Salafismus dienen, „Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ entfalten.
67Vgl. zu § 10 Abs. 1 S 1 Nr. 1 RuStAG Sächs. OVG, Beschluss vom 19.07.2016 – 5 B 141/15 – juris Rn. 12; VG Weimar, Urteil vom 04.12.2018 – 1 K 1129/16 – juris Rn. 25 ff.; zu § 3 VerfSchG NRW VG Düsseldorf, Urteil vom 23.10.2019 – 20 K 13111/17 – juris Rn. 119.
68Die bloße Zugehörigkeit zum politischen Salafismus wird im Allgemeinen aber noch nicht als hinreichend konkret angesehen werden können, um eine Gefahr i. S. d. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu begründen.
69OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18.05.2022 – 4 EO 161/22 – juris Rn. 88; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.01.2015 – OVG 3 B 16.09 – juris Rn. 60.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Dezember 2021, § 54 Rn. 44.
70Dass die Vorschrift in ihrer gegenwärtigen Fassung eine derartige Auslegung nicht abbildet, lässt sich im Übrigen der aktuellen politischen Diskussion um die „Bekämpfung des politischen Islam als Gefahr für unsere freiheitliche Demokratie“ entnehmen. Ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU, wonach der Bundestag beschließen wolle, ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse in dem Fall anzunehmen, in dem der Betroffene öffentlich zur Abschaffung der freiheitlich demokratischen Grundordnung aufruft, z. B. im Wege der Forderung eines islamistischen Gottesstaates,
71vgl. BT- Drucksache 20/11393,
72ist mit den Stimmen der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP sowie der Gruppe Die Linke u.a. mit der Begründung abgelehnt worden, die Forderungen könnten am Ende nicht standhalten, eine Verschärfung des Strafrechts mit Auswirkung auf das Einbürgerungs-, Ausweisungs- oder Aufenthaltsrecht lehne man ab, denn rechtliche Möglichkeiten gebe es genügend und der Antrag enthalte verfassungswidrige Vorschläge und ersinne sich neuer Straftatbestände.
73BT-Drucksache 20/11663.
74(3) Aus Sicht der Kammer steht nach Auswertung der zur Verfügung gestellten Erkenntnismittel derzeit schließlich auch nicht hinreichend fest, dass der Antragsteller über die bloße Zugehörigkeit zum politischen Salafismus hinaus durch seine eigenen Aktivitäten die für den freiheitlich demokratischen Rechtsstaat unverzichtbaren Grundsätze angreift und dadurch ein (besonderes) Ausweisungsinteresse im Sinne des §§ 53, 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verwirklicht.
75Grundsätzlich kann ein solches auch dann bestehen, wenn der Ausländer eine Gefahr im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG verursacht, obwohl keines der in § 54 Abs. 1 Nr. 2 aufgezählten Regelbeispiele erfüllt ist.
76VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.06.2021 – 11 S 19/21 – juris Rn. 8.
77Für die Feststellung eines Ausweisungsinteresses gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG sowie mit Blick auf die in § 54 AufenthG vorgenommene Typisierung und Gewichtung kann dabei von Bedeutung sein, ob das jeweilige Verhalten des Ausländers im Einzelfall einem der Tatbestände des § 54 AufenthG nahekommt.
78VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.06.2021 – 11 S 19/21 – juris Rn. 13.
79Vor diesem Hintergrund kann eine Gefahr im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG vorliegen, wenn zur Erreichung religiöser Ziele zu Hass und Gewalt auf einzelne Bevölkerungsgruppen oder auch unterschiedslos aufgerufen wird. Dergleichen Verhaltensweisen werden teilweise von § 54 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 AufenthG erfasst und können Strafvorschriften und damit die öffentliche Sicherheit verletzen. Auch die Ablehnung staatlicher Normen zugunsten religiöser Gebote sowie die Herabwürdigung etwa von Frauen oder von Menschen, die sich aus Sicht der Anhänger extremistisch-religiöser Ideologien nicht an dergleichen Gebote halten, gefährden regelmäßig die freiheitliche demokratische Grundordnung.
80VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.06.2021 – 11 S 19/21 – juris Rn. 15.
81Eine Gefahr kann auch dadurch entstehen, dass der Ausländer Personen oder Personenvereinigungen unterstützt, die selbst die Schutzgüter des § 53 Abs. 1 AufenthG gefährden. Die Unterstützung Anderer als gefahrbegründendes Verhalten ist in den Fällen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausdrücklich als mögliches Ausweisungsinteresse normiert. Dies ist aber auch in anderen Konstellationen denkbar. Ein Unterstützen einer terroristischen Vereinigung im Sinne dieser Vorschrift erfasst nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts alle Verhaltensweisen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken.
82BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 31.
83Inwiefern diese Definition allerdings überhaupt auf andere Fälle des § 53 Abs. 1 AufenthG zu übertragen ist, ist derzeit offen.
84So auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.06.2021 – 11 S 19/21 – juris Rn. 16.
85Es muss aber nach Auffassung der Kammer zumindest festzustellen sein, dass sich die Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in der Person des Ausgewiesenen konkretisiert hat und es zu zurechenbaren, individualisierbaren (Unterstützungs-)Handlungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gekommen ist.
86Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18.05.2022 – 4 EO 161/22 – juris Rn. 88.
87Aus Sicht der Kammer bestehen zwar gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller als zuführender Akteur ein fester Bestandteil des Radikalisierungszirkels ist, der wegen seiner Verwurzelung und Sympathiebekundungen dem radikalen Salafismus nahesteht und damit gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung eintritt. Die Gefahren, die aus dem unkontrollierten Kreislauf von Rekrutierung und Radikalisierung auch ohne direkte Bezüge zu einer terroristischen Vereinigung auf Grund der dahinter stehenden Ideologie entstehen, hat das Polizeipräsidium E. im Gutachten „Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung durch H. A.“ vom 00.00.2024 eindringlich und anschaulich beschrieben (Ziffer 1.2 „Salafismus als demokratiefeindliche Ideologie“ und Ziffer 1.3 „Rekrutierung für den Jihad im Zeitalter von Multi Media“). Allerdings kann das Gericht die Einschätzung der Sicherheitsbehörden nicht ungeprüft übernehmen. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 AufenthG unterliegen der vollen gerichtlichen Kontrolle. Insoweit verkennt die Kammer nicht, dass die Einschätzungen der Sicherheitsbehörden zwar besondere Kenntnisse und Erfahrungswissen erfordern. Ihnen kommt aber insoweit keine Einschätzungsprärogative zu.
88Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.03.2017 – 1 VR 1/17 – juris Rn. 22.
89Aus den dem Gericht bis zum Zeitpunkt der Entscheidung vorgelegten zahlreichen Erkenntnissen – auf deren Inhalte exemplarisch nachfolgend noch eingegangen wird – in Form des o.g. Gutachtens, dem Bericht des Verfassungsschutzes und dem vorgelegtem Videomaterial lässt sich – auch in der Gesamtschau – derzeit nicht hinreichend feststellen, dass der Antragsteller mit seinen Aktivitäten die für den freiheitlich demokratischen Rechtsstaat unverzichtbaren Grundsätze angreift.
90Zwar lässt sich feststellen, dass der Antragsteller mit zahlreichen Protagonisten des politischen Salafismus vernetzt und in dieser Szene verankert ist. Auch verkennt die Kammer nicht, dass der Antragsteller, der sich selbst nicht als Salafist, sondern nur als Vertreter der traditionellen Leseart des Korans bezeichnet, damit aber jedenfalls auch die Aktivitäten anderer Salafisten relativiert und verharmlost. In dem dem Gericht vorgelegten Material finden sich aber keine Hinweise auf radikale Äußerungen, verfassungsfeindliche Bestrebungen zur Gründung einer Parallelgesellschaft oder die Aufforderung zu einer grundlegenden Abschottung gegenüber der deutschen Gesellschaft, die die Kammer derzeit in die Lage versetzen würden, bei dem Antragsteller persönlich die freiheitlich demokratische Grundordnung gefährdende Tendenzen festzustellen.
91Die von Seiten des Gerichts ausgewerteten Videosequenzen zeigen den Antragsteller überwiegend bei Predigten mit U. N. T. O., bei dem es sich laut dem Polizeipräsidium E. um einen der Begründer der deutschsprachigen salafistischen Szene in Deutschland handelt. Ungeachtet dessen, dass Teile der Predigten in arabischer Sprache gehalten werden und dem Gericht keine Übersetzungen vorgelegt wurden, zeichnen sich die Inhalte der Predigten des Antragstellers vor allem dadurch aus, dass der Antragsteller immer wieder betont, dass er gerade kein radikaler Imam sei. In der Videoaufzeichnung vom 00.00.2023 erklärt er: „Kein Muslim, der dem Propheten folgt, und zu diesen gehöre ich, ruft zu Gewalt auf, ruft zu Straftaten auf, ruft zu Selbstjustiz auf. Das sind Dinge, die wir entschieden ablehnen. Wir wünschen uns und beten dafür, dass wir ein friedliches Miteinander haben, hier als auch überall auf der Erde. Weder befürworten wir Kriege, noch Gewalt, noch Unterdrückung, noch Verfolgung, noch dies oder jenes. Wir sind eine gemäßigte Religion. Meine Mission und auch nicht die Mission eines Imams, den ich kenne, ist es, die Menschen unbedingt zu missionieren oder sonstiges. Wir sind keine Menschen, die in der Regel Missionierung betreiben. Wir sprechen zu unseren Mitmenschen, zu den Muslimen.“
92Auch dem Zitat aus dem Videostream mit V. F., einem früheren Al Quaida Funktionär und ehemaligen V-Mann, mit dem Titel „Ich weiß, es tut weh" vom 00.00.2023 ist für sich genommen keine verfassungsfeindliche Äußerung zu entnehmen. Soweit es darin heißt: „V. guck mal, eine Sache. Ich weiß es tut weh, wenn andere konvertieren, aber ich sag dir eins: Es wird euch noch mehr weh tun. Denn die Wahrheit wird weitergehen, die Wahrheit wird weiter verkündet, und die Wahrheit wird weiterhin angenommen und Deutschland wird islamisch und islamischer und islamischer. Ob ihr es wollt oder nicht. Ihr wisset die Ankündigung des Propheten“, kann daraus im Lichte des Artikels 5 Abs. 1 GG die Meinung entnommen werden, dass der Antragsteller davon ausgeht, dass sich in Zukunft mehr Menschen in Deutschland dem Islam zuwenden. Daraus geht aber nicht explizit hervor, dass der Antragsteller ausschließlich eine Religionsausübung, welche die deutsche Grundordnung nicht anerkennt, als einzig wahrhaftige Glaubensausübung anerkenne.
93Auch die vom Verfassungsschutz im Bericht vom 20.08.20224 ausgewerteten Beiträge in sozialen Medien (Facebook, YouTube, Instagram) lassen zwar eine Nähe zur radikalen-salafistischen Szene erkennen und auch Rückschlüsse auf das Weltbild des Antragstellers zu. Die einzelnen Beiträge zum Beispiel zum Vorgehen der Polizei im Kosovo, zu den Olympischen Spielen oder zu TikTok sind jedoch – wie auch der Verfassungsschutzbericht selbst erkennt – als klassische islamische Auslegung bzw. gesellschaftspolitische Kritik angesichts von Art. 4 und 5 GG nicht unzulässig.
94Dies gilt auch für den in der Ausweisungsverfügung thematisierten Vorwurf antisemitischer Äußerungen. Soweit in den Predigten, die dem Gericht in Videomitschnitten unter der Überschrift „Antisemitismus“ zur Verfügung gestellt wurden, überhaupt eine ablehnende Haltung gegenüber dem israelischen Staat und den Anhängern des Judentums zum Ausdruck kommt, lassen sich die Äußerungen (noch) als zulässige Meinungsäußerungen qualifizieren. Der Antragsteller erklärt dort mehrfach, dass ein Jude der hier lebe, nicht verantwortlich dafür sei, was ein Jude In Tel Aviv mache. Kein Jude trage die Schuld des anderen. Zudem richte sich die Feindschaft nicht generell gegen Juden. Die Feindschaft betreffe die kriminellen Juden, die Übeltäter und die Tyrannen. Soweit der Antragsteller weiter die westlichen Medien, die sich seiner Ansicht nach in den Händen jüdischer Eigner befinden, und deren Berichterstattung zum Krieg im Nahen Osten kritisiert, sind auch diese Aussagen angesichts von Art. 5 GG nicht verwerflich.
95Allein die 3-jährige Tätigkeit als sogenannter Imam in der Moschee im D. in E. kann ebenfalls nicht als relevante verfassungsfeindliche Bestrebung qualifiziert werden, zumal nach Angaben der Antragsgegnerin nicht etwa der Verfassungsschutz die Moschee bzw. ihren Trägerverein als dem Salafismus zugehörig führt, sondern die Antragsgegnerin die Nähe des „D.“ zur Salafistenszene lediglich vereinzelten entsprechenden Wertungen in Zeitungsartikeln (W., hpd (Humanistischer Pressedienst)) entnommen hat.
96Anders zum Beispiel in den Verfahren des OVG Hamburg, Urteil vom 02.12.2021 – 5 Bf 294/19 – juris Rn. 45; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.06.2021 – 11 S 19/21 – juris Rn. 17.
97Verfassungsfeindliche Bestrebungen lassen sich auch nicht den Vorträgen des Antragstellers bei der „X.“ (X.) in M. entnehmen. Allein der Umstand, dass der Antragsteller dort Vorträge gehalten hat und die X. mit Verfügung vom 00.00.2024 verboten wurde, genügt nicht, eine zurechenbare Gefährdungshandlung anzunehmen. Zwar diente die X. nach der Verbotsverfügung des niedersächsischen Innenministeriums deutschsprachigen salafistischen Predigern als wichtige Plattform zur Verbreitung extremistischer Ideologien, die durch die Abwertung und Bekämpfung von vermeintlich Ungläubigen, Frauen oder Juden sowie der Gesellschaftsordnung im Gesamten geprägt ist. Bei einer Betätigung für eine Vereinigung muss sich aber der vereinsrechtliche Verbotsgrund der Gefährdung der inneren Sicherheit nach polizeirechtlichen Grundsätzen in der Person des Betroffenen konkretisiert haben.
98Vgl. Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, § 7 Aufenthaltsbeendigung, beck-online, Rn. 111, m.w.N.
99Dies ist mit den dem Gericht vorgelegten Erkenntnissen nicht dargetan.
100Aus der fehlenden Distanzierung des Antragstellers von der Vereinigung nach der Verbotsverfügung und den Sympathiebekundungen für die Menschen (die für den Antragsteller zu den „friedvollsten und liebsten überhaupt gehören“), lässt sich – anders als im Bereich der Unterstützung einer terroristischen bzw. den Terrorismus unterstützenden Vereinigung – im Hinblick auf die Niederschwelligkeit noch keine Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung ableiten. Gleiches gilt im Übrigen für die Äußerung des Antragstellers, dass vom sogenannten Lies! – Projekt keine Gefahr ausgegangen sei. Diese Verharmlosungen zeigen zwar eine Nähe bzw. Sympathien des Antragstellers zur salafistisch-extremistischen Szene, sind aber für sich genommen keine erheblichen Unterstützungshandlungen für diese Szene.
101Dies muss auch hinsichtlich des Spendensammelns für die S. gelten. Zwar wird diese im Verfassungsschutzbericht Hamburg für das Jahr 2023 aufgeführt. Nach den Erkenntnissen des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg handelte es sich dabei um eine Gruppe von Aktivisten, die in den sozialen Netzwerken und durch Veranstaltungen im Q. für eine salafistische Auslegung des Islams geworben habe. In der Spitze habe eine niedrige dreistellige Personenzahl diese Veranstaltungen besucht, die zum Großteil noch jung und bisher nicht in der salafistischen Szene verwurzelt gewesen seien. Es handelt sich aber bei der S. weder um eine verbotene Vereinigung noch um eine terroristische Vereinigung bzw. um eine solche, die ihrerseits den Terrorismus unterstützt.
102In dem der Ausweisungsverfügung zu Grunde liegenden Gutachten des Polizeipräsidiums E. finden sich auch keine Erkenntnisse dazu, dass der Antragsteller selbst Vorträge und Veranstaltungen mit bekannten radikalen Salafisten organisiert hätte oder zu derartigen Veranstaltungen eingeladen hätte, und somit den Multiplikatoren der salafistischen Ideologie die Möglichkeit gegeben hätte, diese weiter zu tragen. Es finden sich auch keine Hinweise darauf, dass der Antragsteller eine herausgehobene Stellung innerhalb der Szene hätte oder dass es sich bei ihm um eine geistige Führungspersönlichkeit handelte.
103Vgl. zu einem Imam in einer salafistischen Moschee VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.06.2021 – 11 S 19/21 – juris Rn. 17; zu § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG VG Weimar, Urteil vom 04.12.2018 – 1 K 1129/16 – juris Rn. 30, wonach Hilfe in IT-Angelegenheiten und Veranstaltung von Vorträgen als Unterstützungshandlungen zu bewerten sind.
104Nicht zuletzt haben die vorgelegten Berichte und das Videomaterial zwar gezeigt, dass der Antragsteller auch vereinzelt junge Männer für den Islam gewonnen hat und diese auch in seinem Beisein konvertiert sind, so dass die Führung als „Akteur“ durch die Verfassungsschutzbehörden aus Sicht der Kammer nachvollziehbar ist. Es existiert allerdings keine Auswertung von Radikalisierungsverläufen dahingehend, dass Personen, die später im islamistisch-terroristischen Spektrum auffielen, zuvor seine Vorträge besuchten oder mit ihm in Kontakt standen.
105Der Umstand, dass der Antragsteller zahlreiche persönliche Kontakte zu Vertretern der salafistischen Szene und auch des Clan-Milieus pflegt und bestimmte Personen dieses Milieus als (religiöse) Autoritäten anerkennt, lässt aus Sicht der Kammer ebenfalls zwar den Schluss auf eine bedenkliche Nähe des Antragstellers zur radikal-salafistischen Ideologie zu. Allerdings begründen die Kontakte noch keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen des Antragstellers selbst und stellen allein auch keine Unterstützungshandlung i. S. d. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG dar.
106Zu § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG VG Weimar, Urteil vom 04.12.2018 – 1 K 1129/16 – juris Rn. 30; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23.03.2021 – 3 ZKO 384/19 – juris Rn. 14.
107Ist aus Sicht der Kammer nach dem aus dem umfangreichen Aktenmaterial und den zahlreichen Videosequenzen gewonnenen Gesamteindruck derzeit (noch) nicht nachgewiesen, dass der Antragsteller im aufenthaltsrechtlichen Sinne maßgebliche Handlungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung entfaltet, kann dies auch nicht mit der erforderlichen Gewissheit der erstmals mit der Antragserwiderung vom 01.10.2024 vorgelegten Quellenvernehmung „Gefahrenlage Nahost“ vom 25.10.2023 entnommen werden. Nach den dortigen Feststellungen, die weder Gegenstand der Ausweisungsverfügung noch der dieser zu Grunde liegenden Erkenntnislage waren, hat der Antragsteller an einem Treffen mit anderen Imamen in einer Moschee in B. teilgenommen. Dort wurde über eine Aktion abgestimmt, wonach alle Araber, die in amerikanischen oder israelischen Geschäften – insbesondere bei C. – arbeiteten, sofort dort kündigen sollten und Muslime auch keine amerikanischen oder israelischen Produkte mehr kaufen sollten. Des Weiteren sollten „junge Männer mit Herz“ zu einem späteren Zeitpunkt (am nächsten Wochenende) dann C.-Läden und andere „kaputt' machen, so wie es in der Türkei bereits geschehen sei. Über diese Aktion sollen der Antragsteller und ein Imam aus E. gesprochen haben. Dabei sollte jeder Imam dies für seinen Bereich besprechen und „junge Männer mit Herz“, sofern noch nicht geschehen, rekrutieren und die Aktionen regional durchführen. Es sollte aber gewartet werden bis der Antragsteller aus Hamburg zurückkehre. Dorthin fahre er, weil er „am besten vernetzt“ sei und in „ganz Deutschland Kontakte“ habe. Die Kammer verkennt nicht, dass der Antragsteller in diesem Treffen offenbar eine tragende Rolle eingenommen hat und dass mit einer Verabredung zum Anstiften junger Männer zur Sachbeschädigung durchaus Bestrebungen gegen die deutsche Rechtsordnung gezeigt werden. Allerdings haben diese Überlegungen offensichtlich das Versuchsstadium nicht erreicht. Für die Kammer ist zudem nicht zu ermitteln, welche vergleichbaren – gewalttätigen – Aktionen in der Türkei zuvor stattgefunden haben sollen, die aus Sicht des Antragstellers nachgeahmt werden sollten. Dem Gericht ist lediglich bekannt, dass nach Solidaritätsbekundungen und kostenloser Verteilung von Gerichten an israelische Soldaten, Krankenschwestern und Ärzte durch C. in muslimisch geprägten Ländern in sozialen Netzwerken zum Boykott von C. aufgerufen worden ist.
108„Internetquelle wurde entfernt“.
109Schließlich ist allein mit diesem singulär nachgewiesenen Ereignis eine gegenwärtige Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung nicht nachgewiesen. Soweit die Antragsgegnerin meint, bei dem Treffen wäre thematisiert worden, junge Männer mit Herz für den Jihad zu begeistern, ist dies dem Bericht im Übrigen nicht zu entnehmen. Dort heißt es vielmehr: „Vorige Woche wurden in einigen Moscheen bereits junge Männer gesucht, die mit Herz an den noch zu planenden Aktionen teilnehmen wollen. Junge Männer die bereit sind, die Aktionen – auch mit Gewalt – durchzuführen. Man will die jungen Männer für den Jihad begeistern, damit sie kämpfen gehen.“ Dass der Antragsteller an den Aufrufen in der vorangegangenen Woche beteiligt gewesen wäre, lässt sich dem Vernehmungsprotokoll nicht entnehmen.
110(4) Wie die Antragsgegnerin in der Antragserwiderung zu Recht annimmt kann die Ausweisung jedenfalls auch nicht auf § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gestützt werden. Zwar ist der Antragsteller durch das Urteil des Amtsgerichts M. vom 01.03.2011 (53 Ls 800 Js 47719/10) wegen gemeinschaftlicher Geldfälscherei in Tateinheit mit Betrug in 13 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden war, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden. Der Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 18.09.2024 (Bl. 2545 d.A.) enthält auch noch eine entsprechende Eintragung. Allerdings kann dem Antragsteller diese Tat, die bereits 2010 begangen wurde, mit Blick auf die fehlende Wiederholungsgefahr nicht mehr entgegengehalten werden.
111(5) Schließlich findet die Ausweisungsverfügung (jedenfalls nach der noch vorzunehmenden Abwägung) auch keine Grundlage in § 54 Abs. 1 Nr. 10 AufenthG.
112cc. Nach dem derzeit aus den Akten ersichtlichen Sachstand geht die Kammer davon aus, dass für den Antragsteller jedenfalls ein besonders starkes Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG streitet. Die Voraussetzungen sind mit Blick auf die in der Vergangenheit geführte familiären Lebensgemeinschaft mit den drei deutschen minderjährigen Kindern, für die er auch das Personensorgerecht wahrnimmt, gegeben. Auch hierzu wären aber ggf. weitere Ermittlungen durchzuführen. Insbesondere die in der Vergangenheit offenbarte Einstellung des Antragstellers zu seiner Tochter, die sich durch den vorliegenden Bericht des Jungendamtes bestätigt, und der Umstand, dass sich der Antragsteller und seine Frau trotz anderslautender Beteuerungen vor dem Familiengericht seither jeglicher Hilfe durch das Jugendamt entziehen, bieten im Bereich der ausländerrechtlichen Gefahrenabwehr Veranlassung zu klären, ob der Antragsteller tatsächlich eine schützenswerte Beziehung zu seiner Tochter und den beiden Söhnen unterhält.
113dd. Angesichts der vorstehenden Ausführungen ist schließlich als offen anzusehen, wie die im Rahmen des § 53 Abs. 1 AufenthG vorzunehmende Abwägung zwischen dem möglichen besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse und einem besonders schwerwiegenden Bleibeinteresse des Antragstellers ausfällt.
114Bei prinzipiell gleichgewichtigem Ausweisungs- und Bleibeinteresse kann das gefahrbegründende Verhalten des Ausländers näherer Aufklärung und Feststellung bedürfen, als dies für die Erfüllung des gesetzlich vertypten Ausweisungsinteresses grundsätzlich erforderlich ist. Denn im Rahmen der (ergebnisoffenen) Abwägung macht es einen Unterschied, ob dem Betroffenen etwa lediglich die Mitgliedschaft in einer den Terrorismus unterstützenden Vereinigung oder aber wesentliche Unterstützungshandlungen, womöglich gar in herausgehobener Position, zur Last gelegt werden können.
115BVerwG, Urteil vom 27.07.2017 – 1 C 28/16 – juris Rn. 39; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18.05.2022 – 4 EO 161/22 – juris Rn. 92.
116Dies vorangestellt ist nach Ansicht der Kammer gegenwärtig offen, wie die im Hauptsacheverfahren vorzunehmende Abwägung ausfällt.
117b. Die danach zur Entscheidung des vorliegenden Verfahrens erforderliche sogenannte allgemeine Interessenabwägung fällt zu Gunsten des Antragstellers aus. Maßgeblich ist insoweit darauf abzustellen, ob öffentliche Belange das Interesse des Antragstellers daran überwiegen, vor Eintritt der Bestandskraft der angefochtenen Ordnungsverfügung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen verschont zu bleiben. In diesem Zusammenhang ist der Rechtsschutzanspruch eines ausgewiesenen Ausländers umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Verwaltung Unabänderliches bewirkt.
118Für den Antragsteller sprechen hier die besonders schwerwiegenden, aus der Wahrnehmung der elterlichen Sorge für seine Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG) folgenden Bleibeinteressen. Kann die – in der angegriffenen Entscheidung zwar bezweifelte – aber letztlich als gegeben unterstellte Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und einem von ihm als Vater anerkannten deutschen Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, weil dem deutschen Kind wegen dessen Beziehung zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück.
119BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.1994 – 2 BvR 1542/94 – juris Rn. 11 m.w.N.
120Die Kammer geht im derzeitigen Verfahrensstadium davon aus, dass eine Trennung des Antragstellers von den minderjährigen Kindern im Alter von 8, 6 und 3 Jahren infolge der Vollziehung der Ausweisung die Beziehung nicht nur beeinträchtigen, sondern erheblich stören, wenn nicht – angesichts der verfügten Einreisesperre von 20 Jahren – sogar beenden und damit vollendete Tatsachen schaffen würde.
121Im Gegensatz dazu hat die Antragsgegnerin eine aktuelle vom Antragsteller ausgehende Gefährdung nicht hinreichend aufgezeigt. Im Gegenteil ist hier entscheidungserheblich zu berücksichtigen, dass das dem Antragsteller vorgeworfene und bislang dem Gericht gegenüber nachgewiesene Verhalten derzeit nicht die Feststellung einer Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung rechtfertigt. Es sind auch keine Anhaltspunkte für die Annahme gegeben, dass der Antragsteller nunmehr bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens sein jetziges Verhalten ändern und sich (weiter) radikalisieren könnte. In seinem Interesse liegt es vielmehr, sich rechtstreu zu verhalten. Denn eine aktuelle Auffälligkeit im Sinne der gegen ihn mit der Ausweisungsverfügung erhobenen Vorwürfe dürfte in eindrucksvoller Weise die Rechtsansicht der Antragsgegnerin bestätigen. Zudem könnte diese sodann in einem Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO eine Änderung der vorliegenden Entscheidung herbeiführen.
122Vgl. in diesem Sinne OVG NRW, Beschluss vom 15.05.2007 – 18 B 2067/06 – juris.
123c. Fällt bezüglich der Ausweisung die Interessenabwägung zu Gunsten des Antragstellers aus muss das auch für die übrigen an die Rechtmäßigkeit der Ausweisung anknüpfenden Verfügungspunkte der Ausweisungsverfügung, die Abschiebungsandrohung in Ziffer 2, das ausweisungsbedingte Einreise- und Aufenthaltsverbot Ziffer 3, das abschiebungsbedingte Einreise- und Aufenthaltsverbot Ziffer 4, die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in Ziffer 5, die Meldepflicht in Ziffer 7. und die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 8 gelten. Im Hinblick auf die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG wäre neben der derzeit offenen Frage der Titelerteilungssperre (§ 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG) in der Hauptsache zu klären, ob Ausweisungsinteressen bestehen, über deren Ausschlusswirkung die Antragsgegnerin ermessensfehlerfrei entschieden hat (§ 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG).
124Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
125Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG.
126Rechtsmittelbelehrung
127Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
128Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.
129Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
130Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
131Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
132Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
133Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.
134Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
135Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.