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1. Bei der Prüfung der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit des Spielkonzepts einesVideospiels ist zu beachten, dass die bloße Idee nicht geschützt ist. Eine individuellegeistige Schöpfung kann aber in der Sammlung, Auswahl, Einteilung und Anordnungder einzelnen Elemente des Konzeptes zum Ausdruck kommen. Füreigenschöpferische Tätigkeit ist jedoch kein Raum bei einem in sich geschlossenenSystem von Spielregeln und der Abfolge von Inhalten, die in weiten Teilen durchLogik vorgegeben sind.2. Im Streitfall liegt (jedenfalls) keine Urheberrechtsverletzung durch das angegriffeneVideospiel dar. Angesichts diverser vorbekannter Elemente des Spielkonzepts sowieerheblicher Unterschiede innerhalb einzelner Elemente besteht ein unterschiedlicherGesamteindruck zwischen den beiden Videospielen.3. Es liegt auch keine Rechtsverletzung gegen Normen des UWG unter dem Aspektdes wettbewerblichen Leistungsschutzes oder der gezielten Mitbewerberbehinderungvor.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Verfügungsklägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Verfügungsklägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T A T B E S T A N D:
2Die Verfügungsklägerin hat als Unternehmensgegenstand die Entwicklung von Videospielen, welche die Verfügungsklägerin sodann in sogenannten "AppStore" für Nutzer des Apple-Betriebssystems bzw. unter "Google Play" für Nutzer eines Android-Betriebssystems zum Herunterladen auf Smartphones, Tablets und ähnliche Geräte anbietet.
3Eines der bislang erfolgreichsten Videospiele der Antragstellerin trägt den Titel "Titel entf.". " Titel entf " wurde von der Antragstellerin in "Google Play" am 0. 00. 2021 und im "AppStore" am 00.00.2021 zur Verfügung gestellt. Nach eineinhalb Jahren Vorbereitungszeit, Spielentwicklung und Testläufen wurden " Titel entf " sodann weltweit im August 2022 auf den beiden Plattformen Google Play und AppStore zur Verfügung gestellt und ist derzeit auf beiden Plattformen weltweit herunterladbar. Das Spiel wurde erstmals in Deutschland im "App Store" am 00.00. 2022 und auf "Google Play" am 00.00. 2022 zur Verfügung gestellt.
4„Titel entf“ war sowohl bei Google Play als auch im AppStore mehrfach auf der Bestenliste genannt, es war das "Spiel des Tages" im AppStore und wurde auch mehrfach in der redaktionellen Auswahl beider Plattformen gelistet. „Titel entf“ wurde bislang allein auf Google Play etwa 10 Millionen mal heruntergeladen.
5Das Spiel rangierte bei Antragseingang auf dem 8. Platz (von 200 gelisteten) aller frei erhältlicher Rennsport-Spiele, die derzeit im AppStore angeboten wurden. Stand September 2023 hatte die Antragstellerin US-$ 27,5 Mio. für Marketing für „Titel entf“ aufgewendet.
6Bei „Titel entf“ handelt es sich um ein Genre von Rennspiel, welches in der Videospiel-Szene als "Idle Game", "Incremental Game" oder "Clicker Game" bezeichnet wird. Bei dieser Art von Spielen ist es nicht die Aufgabe der Spieler, ihre Spielfigur dirigierend in den Spielverlauf einzugreifen, sondern sie haben die Aufgabe, im Vorfeld jedes Rennens ihre Figur anzupassen und zu trainieren, ihre Fähigkeiten zu entwickeln, die bestmögliche Ausrüstung für jedes Rennen auszuwählen, bestimmte Ausrüstungsgegenstände zu sammeln und die Erscheinung der Spielfigur zu individualisieren, um so jedes einzelne Rennen zu gewinnen. Bei dem eigentlichen Rennen nimmt die Spielfigur autonom und ohne Einfluss des Spielers teil.
7Die Verfügungsklägerin ist der Ansicht, dass „Titel entf“ diese Grundelemente des Spiels zu einem einzigartigen Spielkonzept verbinde, mit einer unterhaltsamen und allgemein ansprechenden Spielgestaltung, welche urheberrechtlich geschützt sei. Die Grundelemente des Spiels und das daraus resultierende besondere Spielkonzept beinhalteten folgende Spielelemente:
8• ein sogenanntes "Idle Game" Rennspiel, bei dem die Spielfigur automatisch und nicht beeinflussbar vom Spieler gegen andere Figuren ein Rennen durchführt. In jedem Rennen stehen dabei mehrere Figuren zueinander im Wettbewerb, jede läuft auf ihrer eigenen Bahn ins Ziel, eine dieser Figuren ist die des Spielers;
9• die derzeitige Platzierung der Spielfigur wird hervorgehoben mittig am oberen Rand des Bildschirms wiedergegeben, und das Rennen wird im Verlauf aus verschiedenen Kamerapositionen wiedergegeben;
10• es gibt eine bestimmte Rennstrecke, die aus verschiedenen Oberflächen besteht, wobei die sich auf der Rennstrecke vorhandenen Oberflächen je nach Rennen verändern. Der Hintergrund der Rennstrecke zeigt oft Naturelemente. Insgesamt gibt es vier Arten von Oberflächen (fester Untergrund, vertikale Wand, Wasserbecken, Luftraum) welche die Figur zu bewältigen hat, und abhängig vom Training und der Ausrüstung kann die Spielfigur dabei schneller werden;
11• ein System von Ausrüstungsgegenständen, welche es der Spielfigur erlaubt, bestimmte Herausforderungen zu bewältigen, etwa indem die neue Ausrüstung eine Geschwindigkeitsverbesserung bei der Überwindung der unterschiedlichen Geländearten ermöglicht, wobei die Dauer der Nutzung und die Zahl der Nutzung dieser Geschwindigkeitsverbesserung begrenzt ist. Der Spieler kann die Ausrüstung seiner Figur verbessern, indem Ausrüstungskarten gesammelt und für verbesserte Ausrüstung eingelöst werden;
12• der Spieler hat die Möglichkeit, eine für das Rennen relevante Eigenschaft seiner Figur zu beeinflussen, indem diese Eigenschaft durch Trainings verbessert wird, welche nach einer bestimmten Zeit des Spiels zur Verfügung gestellt werden;
13• verschiedene Individualisierungsmöglichkeiten, welche es dem Spieler erlauben, die Erscheinung seiner Figur zu verändern, ohne seine Fähigkeiten zu beeinflussen; • ein Spielverlauf mit der Möglichkeit einer fortschreitenden Verbesserung, in dem die Spielfigur mit anderen Figuren mit stets vergleichbaren Fähigkeiten im Wettbewerb steht, und in dem ein Sieg in einem Spiel es dem Spieler erlaubt, an neuen Rennen mit erschwertem Inhalt und anderer Ausrüstung teilzunehmen;
14• ein zusätzliches System von Verbesserungsmöglichkeiten in der Form von besonderen Ereignissen, welche der Spielfigur einzigartige Rennbedingungen und sonstige Preise ermöglichen;
15• ein Shop, in dem die Spieler gegen Geld sich eine schnellere Verbesserungsmöglichkeit ihrer Figur in den Rennen erkaufen können.
16Maßgeblich sei der Gesamteindruck. Dieser werde geprägt zunächst dadurch, dass „Titel entf“ ein sogenanntes "idle game" darstelle, welches schon hinsichtlich seines Spielkonzepts im Erscheinungszeitpunkt einzigartig gewesen sei. Der Verfügungsbeklagten sei es nicht gelungen, trotz der unüberschaubaren Anzahl am Markt erhältlicher Videospiele Drittspiele zu zitieren, bei denen ein Countdown vorhanden ist, welche Trainings- und Verbesserungsmöglichkeiten aufweisen, Spiele, welche zumindest ein oder zwei der Disziplinen "Laufen, Schwimmen, bzw. Steine zerschlagen, Klettern und Fliegen" beinhalten, Spiele, welche ebenso eine bestimmte Kameraperspektive und -führung wiedergeben, die Ziel- und Ranglisten beinhalten, oder bei denen Truhen geöffnet werden und Ressourcen dargestellt werden.
17Auch wenn jedes Rennspiel einen Countdown zu Beginn habe, gehe es darum, wie dieser Countdown im Spielekonzept konkret eingesetzt werde. Selbiges gelte für die besonderen Kameraperspektiven für die einzelnen Disziplinen. Die Kameraperspektiven und die Kameraführung für die jeweiligen 4 Disziplinen bei „Titel entf“ erachtet die Verfügungsklägerin als ein besonderes Merkmal bei der Umsetzung ihrer Spielidee.
18Die Verfügungsklägerin ist der Auffassung, dass das Videospiel „Titel entf“ ein weiter Schutzbereich zukomme. Unter Verweis auf den Beschluss der Kammer in Sachen 14 O 90/20 (Anlage AST 8) ist die Verfügungsklägerin der Auffassung, es seien die in das Spiel integrierten grafischen Elemente im Sinne von § 2 Abs. I Nr. 4 UrhG wie auch als filmähnliches Werk im Sinne von § 2 Abs. I Nr. 6 UrhG geschützt. Überdies verfüge nicht jedes Werk der angewandten Kunst nur über einen eingeschränkten Schutzbereich. Bei dem der seinerzeitigen Entscheidung der Kammer zugrunde liegenden Videospiel habe es sich überdies nur um ein sogenanntes "hyper casual game" gehandelt, welches sich durch einen einfachen Spielverlauf und schlichte grafische Elemente auszeichne. Für„Titel entf“ hingegen habe die Antragstellerin über eineinhalb Jahre Entwicklungszeit aufwenden müssen, um eine erste Version vorstellen zu können, die im Laufe der Zeit noch einmal weiterentwickelt worden sei. Zuvor habe es ein solches Videospiel nicht gegeben, auch die Antragsgegnerin trage hierzu nichts Substantielles vor. All diese Aspekte sprächen dafür, dem komplexen Videospiel „Titel entf“ einen deutlich weiteren Schutzbereich zuzuerkennen.
19In diesen richtig definierten Schutzbereich von „Titel entf“ greife "F. V." nach Auffassung der Antragstellerin ein, so dass eine Urheberrechtsverletzung gegeben sei.
20Zwar sei die Idee eines Videospiels grundsätzlich schutzlos. Doch im vorliegenden Fall übernehme "F. V." im maßgeblichen Gesamteindruck gerade jene eigenschöpferischen und individuellen Aspekte von „Titel entf“ welche dem urheberrechtlichen Schutz von „Titel entf“ zugrunde lägen und verletze diese damit. Es sei nicht nur so, dass "F. V." die Spielidee von „Titel entf“ in seinem gesamten Ablauf einschließlich aller Sonderereignisse übernehme, sondern es würden im maßgeblichen Gesamteindruck alle wesentlichen Grundelemente in ihrer konkreten grafischen Ausgestaltung kopiert, ohne dass dies in irgendeiner Weise erforderlich wäre. Das Konzept eines Videospiels sei mehr als nur die Idee zu dem Spiel; das gesamte Konzept ist die Umsetzung der Idee in ihrer konkreten grafischen Ausgestaltung, und hierum gehe es im vorliegenden Fall.
21Darüber hinaus würden durch "F. V." weitestgehend in ihrer Farbe, Größe und Ausgestaltung die jeweiligen Schaltflächen von „Titel entf“ übernommen. Auch der Hintergrund der einzelnen Benutzeroberflächen sei nicht nur stets in der Farbe identisch und wechsele an den gleichen Stellen, es werde sogar der Eindruck einer Art durchlaufenden "Tapete" mit kleinen Elementen so übernommen.
22Ein Vergleich der Truhen in Aussehen und Bezeichnung zeige, dass man diese nur dann so darstellt und bezeichnet, wenn man zuvor „Titel entf“ gesehen habe. Bei beiden Spielen mache die Spielfigur nach einer Belohnung einen identischen Helikopter-Sprung, die Teilnehmer des nächsten Rennens würden bei beiden Spielen gleich von oben kommend eingeblendet.
23Bei beiden Spielen identisch gebe es eine Vorschau auf das jeweils nächste Rennen an der gleichen Stelle des Bildschirms und sogar die jeweilige Kameraperspektive unterschiedlich für die jeweiligen Disziplinen — wird für die Rennen so übernommen. Bei allen Rennen werden jeweils unten rechts Emojis eingeblendet, und es gibt bei beiden Spielen zum Zieleinlauf einen Konfettiregen.
24Jeweils fordere ein weißer Daumen die Spieler dazu auf, die Schaltflächen zu betätigen und der Fortschritt für den Spieler in den Levels "Bronze, Silber und Gold" wird auf identische Weise dargestellt. Doch nicht einmal damit sei es genug, sogar die Emblems für die Level "Bronze, Silber und Gold" würden bei "F. V." „Titel entf“ klar nachgebildet.
25Für die möglichen Erscheinungsformen der Spielfigur fänden sich vollkommen übereinstimmend teilweise Schlösser, und das Ergebnis beim Öffnen einer Truhe werde durch einen Lichtstrahl und die weiße Karte gleichsam übereinstimmend dargestellt. Ob man nun "F. V." als Vervielfältigung oder Umgestaltung „Titel entf“ ansehe, jedenfalls verblieben bei "F. V." die dargestellten und herausgearbeiteten eigenschöpferischen Züge des Originals klar erkennbar, und dies sähen die Internetnutzer ebenso, welche übereinstimmend "F. V." als Kopie von „Titel entf“ ansähen.
26Die Verfügungsklägerin verweist dazu zunächst auf eine Gegenüberstellung in Rn. 26 der Antragsschrift (Bl. 379 ff. der Akte) sowie auf eine Gegenüberstellung von Videosequenzen in der Anlage AST 11 zum Schriftsatz vom 01.12.2023 (Bl. 815 der Akte).
27Dieser direkte Vergleich belege, wie stark und ohne jede Not die Anordnung bei den verschiedenen im Spiel gezeigten Benutzeroberflächen identisch seien.
28Demgegenüber habe das Spiel „Titel entf“ nicht das Spielkonzept vorbekannter Videospiele übernommen. So habe „Titel entf““ mit dem allgemein bekannten Klassiker „Super Mario Kart“ nichts gemeinsam, wozu die Verfügungsklägerin auf die als Anlage AST 14 (Bl. 768 ff. der Akte) zum Schriftsatz vom 22.11.2023 und die dort von ihr vorgenommene Gegenüberstellung verweist.
29Die Verfügungsklägerin behauptet, dass Spieler das Spiel „F. V.“ als eine Übernahme des Spieles der Verfügungsklägerin „Titel entf“ ansähen. Dazu legt die Verfügungsklägerin unter anderem die Anlage AST 14 (Bl. 832 ff. der Akte) zum Schriftsatz vom 01.12.2023 sowie die Anlage AST 15 (Bl. 943 der Akte) zum Schriftsatz vom 10.01.2024 vor.
30In der mündlichen Verhandlung hat die Verfügungsklägerin diese Ausführungen vertieft und dazu Folien und Videos vorgelegt, die sie im Nachgang zur mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 18.01.2024 (Bl. 1115 ff. der Akte) zur Akte gereicht hat, worauf Bezug genommen wird.
31Die Verfügungsklägerin sieht die folgenden Spielelemente als das Spielkonzept von „Titel entf“ als maßgeblich prägend an:
32 33Diese, insbesondere den Urheberrechtsschutz prägenden Merkmale seien vollständig durch die Verfügungsbeklagte in dem Spiel „F. V.“ übernommen worden, während sämtliche anderen Spiele allenfalls einzelne Elemente enthielten. Wie bereits ausgeführt, hat die Verfügungsklägerin dies in der mündlichen Verhandlung erläutert sowie durch Folien und Filmmaterial illustriert; dies ist mit Schriftsatz vom 18.01.2024 vorgelegt worden.
34Dazu legt die Verfügungsklägerin eine Zusammenfassung auf der Folie „22/24“ (Bl. 1180 der Akte) wie folgt vor:
35„Bilddarstellung wurde entfernt“
36Die Verfügungsklägerin ist der Auffassung, der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ergebe sich aus §§ 97 Abs. I Satz 1, 2 Abs. I Nr. 6, 19a UrhG in Verbindung mit § 120 Abs. II Nr. 2 UrhG. Zum einen sei das den Spielablauf steuernde Programm als Computerprogramm gemäß § 69a UrhG geschützt. Die audiovisuelle Darstellung des Computerspiels und der Spielablauf sei entweder als Filmwerk bzw. filmähnliches Werk gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 6 Abs. 2 UrhG bzw. jedenfalls als Laufbild gemäß §§ 95, 95 a UrhG geschützt. Der Urheberrechtsschutz bestehe dementsprechend an der Gesamtkonzeption und den besonderen Ablaufmöglichkeiten des Videospiels.
37Die Verfügungsklägerin ist ferner der Auffassung, dass subsidiär ein Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1, 3 Nr. 1 UWG in Verbindung mit §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 3 und 4 UWG unter dem Gesichtspunkt des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes und dem Verbot der Behinderung der Verfügungsklägerin gegen die Verfügungsbeklagte bestehe. Aufgrund der erheblichen Übereinstimmungen zwischen „Titel entf“ und „F. V.“ würden, da sich die Verfügungsklägerin für „Titel entf“ einer erheblichen Bekanntheit am Markt erfreue, die Nutzer zum einen über die betriebliche Herkunft eines derart ähnlichen Spiels getäuscht bzw. die den Spielen der Verfügungsklägerin entgegengebrachte Wertschätzung werde unangemessen ausgenutzt; zum anderen behindere die Verfügungsbeklagte die Verfügungsklägerin gezielt und systematisch mit ihrem Geschäftsgebaren, was zu erheblichen finanziellen Verlusten führen werde, für den Fall, dass „F. V.“ in dieser Form weiterhin von der Verfügungsbeklagten am deutschen Markt zugänglich gemacht werde. Die Behinderung sei auch dann gegeben, wenn ein planmäßiges und zielgerichtetes Anhängen an die fremde Leistung vorliege, obwohl andere Gestaltungselemente frei wählbar seien, vor allem dann, wenn das Anhängen kostspielige eigene Entwicklungsarbeit spare, so wie es die Verfügungsbeklagte im vorliegenden Fall getan habe.
38Dem Spiel „Titel entf“ komme auch wettbewerbliche Eigenart zu. Es gebe kein anderes Drittspiel, welches das Design, die wesentlichen Spielelemente und eben das Spielkonzept in seinem maßgeblichen Gesamteindruck so wiedergebe wie „Titel entf“, und wie es nun von "F. V." kopiert werde. Einzig auf diesen Gesamteindruck komme es an und nicht darauf, ob es irgendwelche Drittspiele gebe, welche ebenfalls einzelne Element beinhalteten.
39Die Verfügungsklägerin beantragt,
40es der Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung, und zwar wegen der besonderen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung und durch den Vorsitzenden der Kammer allein, unter Androhung eines vom Gericht für jeden Einzelfall der schuldhaften Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu Euro 250.000,00, ersatzweise für den Fall dass dieses nicht beigetrieben werden kann, von Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, letztere zu vollziehen am vertretungsberechtigten Geschäftsführer der Antragsgegnerin,
41zu verbieten,
42in der Bundesrepublik Deutschland das Videospiel "F. V." öffentlich zugänglich zu machen und/oder zugänglich machen zu lassen, wenn und soweit die Version des Videospiels "F. V." das Spielkonzept enthält, dass ein sogenanntes "idle game" Rennspiel vorliegt, bei dem die Spielfigur in vier verschiedenen Disziplinen ein bestimmtes Terrain autonom zu überwinden hat, der Spieler dabei die Aufgabe hat, vor jedem Rennen seine Figur durch Trainings und bestimmte Ausrüstung bestmöglich vorzubereiten, damit die Spielfigur sodann autonom das jeweilige Rennen bestreitet, und durch das Gewinnen von Rennen, bestimmte Ereignisse oder den Erwerb im Shop die Ausrüstungsgegenstände erlangt werden können, und dieses Videospiel durch folgende Spielelemente ausgeführt wird:
43(1) Vor jedem Rennen wird eine bestimmte Benutzeroberfläche ("user interface") gezeigt, welche die erlangten Fähigkeiten und weiteren Verbesserungsmöglichkeiten für die Spielfigur zeigt;
44(2) beim Countdown vibriert das Smartphone oder Tablet zu den Zahlen 3 bis 1, und es wird aus der Vogelperspektive im leichten Schwenk auf die Starter herangezoomt;
45(3) jede der vier Disziplinen zur Überwindung des Terrains wird in einer bestimmten Kameraperspektive gezeigt, wobei im Hintergrund natürliche Elemente zu erkennen sind;
46(4) nach Überqueren der Ziellinie wird wieder eine bestimmte Benutzeroberfläche gezeigt, welche die Position der Spielfigur wiedergibt;
47(5) nach dem Rennen wird eine neue Benutzeroberfläche gezeigt, welche die Möglichkeiten der Verbesserung durch Trainings- und Ausrüstungsgegenstände darstellt, wie in der als Anlage zum Antrag auf einem USB-Stick abgespeicherten und zur Akte gereichten Videodatei ersichtlich.
48Die Verfügungsbeklagte beantragt,
49den Antrag auf Erlass einer einseitigen Verfügung zurückzuweisen.
50Die Verfügungsbeklagte ist der Auffassung, dass die von der Verfügungsklägerin herangezogenen Entscheidungen des Kammergerichts vom 27.11.2019 (Az. 24 O 83/19) und des Landgerichts Köln vom 26.03.2020 (Az. 14 O 90/20) vom Sachverhalt her nicht mit dem vorliegenden Fall und den beiden hier streitgegenständlichen Computerspielen vergleichbar seien, was sie näher ausführt. Dazu wird insbesondere auf den Schriftsatz vom 01.12.2023 (Bl. 788 ff. der Akte) Bezug genommen.
51Die Verfügungsbeklagte verweist zunächst auf das Videospiel „Mario Kart“ und führt dazu aus, dass hier die wesentlichen Animationen und Kamerafahrten in allen Varianten vom Renn- Start bis zum Renn-Ziel bereits verwendet worden seien. Etliche darin enthaltenen Kamerafahrten und Animationen entsprechender Beschreibung der Verfügungsklägerin, seien aber auch in etlichen anderen Videospielen enthalten.
52Auch die Idee, im Spiel die Spielfigur zunächst ein Training durchlaufen zu lassen und so Verbesserungsmöglichkeiten zu eröffnen, sei seit langem bekannt, etwa im weltbekannten Spiel Fifa Mobile.
53Auch die Kombination von 4 Disziplinen sei vorbekannt.
54Die Verfügungsbeklagte ist der Auffassung, dass bereits das Spiel „Sonic Adventures 2 – Battle“, dass – insoweit unstreitig – im Jahr 2001 erschienen ist, über dieselben Disziplinen verfüge wie das Spiel der Verfügungsklägerin.
55Die Verfügungsbeklagte legt als Anlage AG 1 (Bl. 958 ff. der Akte) eine PowerPoint-Präsentation vor, die sie in der mündlichen Verhandlung vom 11.01.2024 präsentiert und vorgetragen hat, einschließlich der enthaltenden Videodateien, die sie mit Schriftsatz vom 15.01.2024 nochmals zur Akte gereicht hat. Auf diesen Schriftsatz und die entsprechende Anlage (Bl. 1077 ff. der Akte) wird Bezug genommen.
56Insbesondere behauptet die Verfügungsbeklagte dazu, dass es sich bei dem Spiel “SEGA Chao Races” ebenfalls um ein „idle Racing Game“ in Form eines Minispiels handele, dass – unstreitig – bereits 2001 erst veröffentlicht wurde. Chao Races beinhalte bereits zahlreiche der Kernmechaniken von „Titel entf“ insbesondere in Form von idle racing auf verschieden anspruchsvollen Terrains. Es seien identische Terrains und Hindernisse insbesondere mit Wasser, Steinwänden und Flugabschnitten vorhanden. Chao Races enthalte ebenfalls bereits Training-Statistiken für Schwimmen, Fliegen und Laufen. Identisch seien auch die verniedlichten, Blob-artigen Charaktere. Die Disziplinen Laufen, Fliegen und Klettern seien auch im Spiel „Chao Races“ enthalten. Die Disziplin Schwimmen fehle indes bei „F. V.“, während sie bei „Chao Racing“ enthalten sei.
57Auch das Spiel Duck Life aus dem Jahr 1999 sei ein Idle Racing-Game, in dem Spieler Laufen, Schwimmen und Fliegen trainierten.
58Auch bei dem Spiel Animal Raceway aus dem Jahr 2011 handele es sich um ein Idle Racing Game mit Trainings-Elementen.
59Auch das user interface sei vorbekannt, etwa aus dem Spiel Clash Royale aus dem Jahr 2016.
60Ferner werde die Visualisierung der Freischaltung von erspielten Belohnungen in Form eines Leiter-Designs in unzähligen Spielen verwendet, sehr ähnlich etwa wiederum im Spiel Clash Royale. Gleiches gelte für die Verwendung von Truhen.
61Auch die einzelnen Elemente seien ähnlich. So zeige ein Vergleich von „Titel entf“ mit „Super Mario 3D Land“ aus dem Jahr 2011, das ähnliche Bäume, ähnliche gräserne Kanten, ähnliche Felswände und insgesamt ähnliche Farben genutzt würden.
62Insgesamt hätten sowohl „Titel entf“ als auch „F. V.“ einen allseits bekannten „Look and Feel“. Dies liege maßgeblich daran, dass beide Spiele bei dem selben Anbieter, dem Unity Asset Store, die einzelnen Spielelemente erworben hätten und beide das „GUI Pro – Caual“ asset pack aus diesem Unity Asset Store nutzen würden, wobei letzteres unstreitig ist.
63Dazu trägt die Verfügungsbeklagte vor, dass zu dem Vortrag der Verfügungsklägerin, „F. V.“ werde als „rip off“ von „Titel entf“ bezeichnet, darauf hinzuweisen sei, dass „Titel entf.“ seinerzeit selbst als „Knock Off“ (Kopie) von SEGAs Minispiel „Chao Racing“ bezeichnet worden sei, wozu die Verfügungsbeklagte auf ihre Präsentation und dort Seite 14 Bezug nimmt.
64Sie legt ferner die Anlage AG 2 (Bl. 990 der Akte) vor und ist der Auffassung, dass sich aus den dortigen Zitaten und Quellen ergebe, dass „Titel entf“ von der Gaming Community als stark von dem vorausgegangenen Videospiel „Fall Guys“ (2020) inspiriert angesehen werde.
65Sie ist der Auffassung, dass damit zusätzlich zu den in der Präsentation in der Anlage AG 1 enthaltenen Beispielen (insbesondere SEGAs Spiel „Chao Racing“) veranschaulicht werde, dass es sich bei „Titel entf“ um eine bereits vorbekannte Spielidee handele, die als solche nicht nach dem UrhG schutzfähig sei.
66Die Verfügungsbeklagte legt ferner als Anlage AG 3 (Bl. 992 ff. der Akte) eine Gegenüberstellung vor, zu der sie der Auffassung ist, dass darin zu sämtlichen in dem von der Verfügungsklägerin als Anlage AST 11 eingereichten Vergleichsvideos erhobenen Plagiatsvorwürfen andere Videospiele samt Screenshots gegenüberstünden, welche ebenfalls die jeweilige Spielidee bzw. das jeweilige Spieldesign nutzten. Damit werde veranschaulicht, dass sämtliche der von der Verfügungsklägerin als kopiert bezeichneten Elemente tatsächlich bereits seit langem vorbekannt sein.
67Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze und die von den Parteien vorgelegten Unterlagen und Schriftstücke Bezug genommen.
68E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
69Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig, aber unbegründet.
70I. Der Antrag ist zulässig.
71Das Landgericht Köln ist international, örtlich und sachlich zuständig.
72Das Landgericht Köln ist gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO international und örtlich zuständig. Art. 7 EuGVVO bestimmt auch die örtliche Zuständigkeit, so dass in diesen Fällen ein Rückgriff auf die §§ 12–35 a ZPO ausgeschlossen ist.
73Nach der Rechtsprechung des auch für das Urheberrecht zuständigen I. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs ist eine unerlaubte Handlung gemäß § 32 ZPO respektive Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, zu der auch Urheberrechtsverletzungen zählen, sowohl am Handlungsort als auch am Erfolgsort begangen, so eine Zuständigkeit wahlweise dort gegeben ist, wo die Verletzungshandlung begangen oder in das Rechtsgut eingegriffen worden ist. Zur Begründung der Zuständigkeit reicht die schlüssige Behauptung von Tatsachen aus, auf deren Grundlage sich eine im Gerichtsbezirk begangene unerlaubte Handlung ergibt. Der Erfolgsort einer unerlaubten Handlung im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ist bei einer behaupteten Verletzung des Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte ist bei einer behaupteten Verletzung des Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte durch ein öffentliches Zugänglichmachen des Schutzgegenstands über eine Internetseite im Inland belegen, wenn die geltend gemachten Rechte im Inland geschützt sind und die Internetseite (auch) im Inland öffentlich zugänglich ist (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Januar 2015 – C-441/13 – Hejduk ./. Energie Agentur NRW GmbH, Rn. 34, juris; diese Grundsätze für § 32 ZPO übernehmend: BGH, Urteil vom 21. April 2016 – I ZR 43/14 – An Evening with Marlene Dietrich, Rn. 18, juris).
74Die Verfügungsklägerin stützt ihre Ansprüche darauf, dass die Verfügungsbeklagte das streitgegenständliche Videospiel (über Google Play und den App Store) öffentlich zugänglich gemacht hat, ohne dazu berechtigt zu sein, und das Spiel in der Bundesrepublik Deutschland abrufbar war. Erfolgsort für das öffentliche Zugänglichmachen des angegriffenen Videospiels ist damit jedenfalls auch der Bezirk des Landgerichts Köln. Insbesondere kommt es bei Streitigkeiten über Urheberrechtsverletzungen auf eine wie auch immer geartete „bestimmungsgemäße Abrufbarkeit“ bzw. eine Ausrichtung der Webseite, über die das Werk abrufbar war, auf Deutschland bzw. auf deutsche Internetnutzer (vgl. BGH, Urteil v. 2.3.2010, VI ZR 23/09), nicht an (EuGH, Urteil v. 03.10.2013, C-170/12 - Pinckney, Rn. 42; BGH, Urteil vom 21.04.2016, Az. I ZR 43/14 - An Evening with Marlene Dietrich) nicht an. Es reicht stattdessen aus, dass ein urheberrechtlich geschützter Inhalt am Ort des angerufenen Gerichts abrufbar war (vgl. EuGH ‚ Urteil vom 22.1.2015, C-441/13, Rn. 32 – 34 – Hejduk ./. Energie Agentur NRW GmbH).
75Dies war unstreitig der Fall. Im Übrigen ist das Spiel „F. V.“ von der Verfügungsbeklagten über Google Play sowie den App Store auch bewusst für deutsche Kunden öffentlich zugänglich gemacht worden.
76II.
77Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit dem die Verfügungsklägerin die Unterlassung der öffentlichen Zugänglichmachung begehrt, ist jedoch nicht begründet.
781. Allerdings ist deutsches Recht vorliegend anwendbar.
79Nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom-II-VO) ist auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus einer Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums das Recht des Staates anzuwenden, für den der Schutz beansprucht wird. Nach diesem Recht sind insbesondere das Bestehen des Rechts, die Rechtsinhaberschaft des Verletzten, Inhalt und Umfang des Schutzes sowie der Tatbestand und die Rechts folgen einer Rechtsverletzung zu beurteilen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 24. September 2014 - I ZR 35/11, GRUR 2015, 264 [juris Rn. 24] = WRP 2015, 347 - Hi Hotel II; BGH, GRUR 2016, 1048 [juris Rn. 24] - An Evening with Marlene Dietrich, jeweils mwN). Da Gegenstand des Antrags allein Ansprüche wegen einer Verletzung der Rechte der Verfügungsklägerin als Inhaber der ausschließlichen Nutzungsrechte an dem urheberrechtlich geschützten Werk „Titel entf“ sind, für die die Verfügungsklägerin im Inland Schutz beansprucht, ist im Streitfall deutsches Urheberrecht anzuwenden (so für den Fall der Tonträgerherstellerrechte nach § 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG: BGH, Urteil vom 2. Juni 2022 – I ZR 135/18 – uploaded III, Rn. 21, juris).
80Die Verfügungsklägerin kann sich als Gesellschaft nach französischem Recht auf die Verletzung deutschen Urheberrechts berufen. Nach § 120 Abs. 1 UrhG genießen deutsche Staatsangehörige den urheberrechtlichen Schutz für alle ihre Werke, gleichviel, ob und wo die Werke erschienen sind. Gemäß § 120 Abs. 2 Nr. 2 UrhG stehen Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union – und damit auch Staatsangehörige aus Frankreich – den deutschen Staatsangehörigen gleich, wobei mit dieser Vorschrift das bereits unmittelbar aus Art. 18 AEUV folgende Diskriminierungsverbot, dem auch Urheber- und verwandte Schutzrechte unterfallen, im deutschen Recht klargestellt wird (vergleiche etwa: Dreier/Schulze/Dreier, 7. Aufl. 2022, UrhG § 120 Rn. 8).
812. Der Verfügungsklägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen die Verfügungsbeklagte allerdings nicht wegen einer Verletzung urheberrechtlich geschützter Rechtspositionen zu.
82Die Voraussetzungen aus §§ 97 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1, 19 a UrhG liegen nach dem Sach- und Streitstand nicht vor.
83Denn auch wenn Urheberrechtsschutz angenommen wird (dazu unter a), greift das öffentliche Zugänglichmachen des Videospiels „F. V.“ nicht in das der Verfügungsklägerin vorbehaltene Recht nach § 19a UrhG an dem Videospiel „Titel entf“ ein (dazu unter b).
84a) Eine Verletzung des Urheberrechts gemäß § 97 UrhG liegt nicht nur bei einer identischen widerrechtlichen Nachbildung eines Werks vor. Aus der Bestimmung des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG, nach der Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen eines Werks nur mit Zustimmung des Urhebers veröffentlicht oder verwertet werden dürfen, ergibt sich, dass der Schutzbereich des Veröffentlichungsrechts im Sinne von § 12 UrhG und der Verwertungsrechte gemäß § 15 UrhG sich - bis zu einer gewissen Grenze - auch auf vom Original abweichende Gestaltungen erstreckt (BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 55] - Porsche 911, mwN; BGH, Urteil vom 15.12.2022 – I ZR 173/21 – Rn. 27 – Vitrinenleuchte).
85Bei der Prüfung, ob eine Veränderung eines Werks in den Schutzbereich des Urheberrechts fällt, ist zu berücksichtigen, dass jede Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG, soweit sie körperlich festgelegt ist, zugleich eine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG darstellt. Zu den Vervielfältigungen zählen nicht nur Nachbildungen, die mit dem Original identisch sind; vom Vervielfältigungsrecht des Urhebers werden vielmehr auch - sogar in einem weiteren Abstand vom Original liegende - Werkumgestaltungen erfasst, wenn die Eigenart des Originals in der Nachbildung erhalten bleibt und ein übereinstimmender Gesamteindruck besteht (vgl. BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 56] - Porsche 911, mwN). Allerdings führt nicht jede Veränderung eines Werks zu einer Bearbeitung oder anderen Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG. In einer nur unwesentlichen Veränderung einer benutzten Vorlage ist nicht mehr als eine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG zu sehen. Eine Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG setzt daher eine wesentliche Veränderung der benutzten Vorlage voraus. Ist die Veränderung der benutzten Vorlage indessen so weitreichend, dass die Nachbildung über eine eigene schöpferische Ausdruckskraft verfügt und die entlehnten eigenpersönlichen Züge des Originals angesichts der Eigenart der Nachbildung verblassen, liegt keine Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG und keine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG, sondern ein selbständiges Werk vor, das in freier Benutzung des Werks eines anderen geschaffen worden ist und das nach § 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werks veröffentlicht und verwertet werden darf (vgl. BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 56] - Porsche 911, mwN).
86Aus diesen Grundsätzen ergibt sich folgende Prüfungsfolge: Zunächst ist im Einzelnen festzustellen, welche objektiven Merkmale die schöpferische Eigentümlichkeit des benutzten Werks bestimmen. Sodann ist durch Vergleich der einander gegenüberstehenden Gestaltungen zu ermitteln, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang in der neuen Gestaltung eigenschöpferische Züge des älteren Werks übernommen worden sind. Maßgebend für die Entscheidung ist letztlich ein Vergleich des jeweiligen Gesamteindrucks der Gestaltungen, in dessen Rahmen sämtliche übernommenen schöpferischen Züge in einer Gesamtschau zu berücksichtigen sind. Stimmt danach der jeweilige Gesamteindruck überein, handelt es sich bei der neuen Gestaltung um eine Vervielfältigung des älteren Werks (vgl. BGH, GRUR 2022, 899, 906, Rn. 57 – Porsche 911, mwN). Weicht hingegen der Gesamteindruck der neuen Gestaltung vom Gesamteindruck des älteren Werks in der Weise ab, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen, also nicht mehr wiederzuerkennen sind, greift die neue Gestaltung nicht in den Schutzbereich des älteren Werks ein (vgl. BGH, GRUR 2022, 899, 906, Rn. 58 – Porsche 911, mwN). Bei der Feststellung des Gesamteindrucks sowie der Feststellung, in welchem Umfang eigenschöpferische Züge eines Werks übernommen worden sind, handelt es sich um Tatfragen (BGH, GRUR 2023, 571, 574, Rn. 31 – Vitrinenleuchte). Die Grundsätze, nach denen der Schutzbereich urheberrechtlicher Verwertungsrechte bestimmt wird, hat der Gerichtshof der Europäischen Union in seinen Entscheidungen “Infopaq International" (EuGH, Urteil vom 16. Juli 2009 - C-5/08, Slg. 2009, 6569 = GRUR 2009, 1041) sowie "Pelham u.a." (EuGH, Urteil vom 29. Juli 2019 - C-476/17, GRUR 36 37 - 19 - 2019, 929 = WRP 2019, 1156) geklärt (vgl. BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 100] - Porsche 911).
87Eine neue Gestaltung greift allerdings schon dann nicht in den Schutzbereich eines älteren Werks ein, wenn ihr Gesamteindruck vom Gesamteindruck des älteren Werks in der Weise abweicht, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen, also nicht mehr wiederzuerkennen sind. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht mehr darauf an, ob die neue Gestaltung die Anforderungen an ein urheberrechtlich geschütztes Werk erfüllt. Selbst wenn mit der neuen Gestaltung unter Benutzung des älteren Werks ein neues Werk geschaffen worden sein sollte, könnte dieser Umstand für sich genommen einen Eingriff in die Urheberrechte am älteren Werk nicht rechtfertigen. Auch nach der Rechtsprechung des EuGH kann eine Einschränkung des Schutzbereichs außerhalb der Schranken nicht allein damit gerechtfertigt werden, dass kulturelles Schaffen nicht ohne ein Aufbauen auf früheren Leistungen anderer Urheber denkbar ist (EuGH GRUR 2019, 929 Rn. 56–65 – Pelham ua).
88Zwar geht die Kammer davon aus, dass es sich bei dem Computerspiel der Verfügungsklägerin „Titel entf“ um ein urheberrechtlich geschütztes Werk handelt.
89So kann ein derartiges Computerspiel – bei entsprechenden Feststellungen – hinsichtlich der Client-Software ein Computerprogramm sein und darüber hinaus audiovisuelle Spieldaten, also Grafiken, Musik, Filmsequenzen, Texte und Modelle enthalten. Bei einer solchen Software für ein Computerspiel, die nicht nur aus einem Computerprogramm besteht, sondern auch audiovisuelle Daten enthält, kommt nicht nur dem Computerprogramm (§ 69a Abs. 1 UrhG), sondern auch den audiovisuellen Bestandteilen urheberrechtlicher Schutz zu, soweit sie einen eigenen schöpferischen Wert haben, der nicht auf die Kodierung in einer Computersprache beschränkt ist. Diese Bestandteile können für sich genommen als Sprachwerke (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG), Musikwerke (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 UrhG), Werke der bildenden Kunst (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG), Lichtbildwerke (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG), Filmwerke (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG), Lichtbilder (§ 72 UrhG) oder Laufbilder (§ 95 UrhG) urheberrechtlich geschützt sein oder an der Originalität des Gesamtwerks teilhaben und zusammen mit diesem Urheberrechtsschutz genießen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Oktober 2016 – I ZR 25/15 – World of Warcraft I, Rn. 34, juris).
90Dabei geht die Kammer grundsätzlich davon aus, dass die Software, mit der das Videospiel programmiert ist, insbesondere auch die Client-Software, als Computerprogramm im Sinne von §§ 69a ff. UrhG geschützt ist und auch einzelne Bestandteile des Spiels „Titel entf“ im vorstehenden Sinne als Sprachwerke, Musikwerke, Werke der bildenden Kunst, Lichtbilder etc. urheberrechtlich geschützt sind.
91Der Schutz des Spieles „Titel entf“ als Computerprogramm wird von der Verfügungsklägerin vorliegend für sich genommen nicht geltend gemacht. Auch der Schutz bestimmter audiovisueller Spieldaten, also Grafiken, Musik, Filmsequenzen, Texte und Modelle, wird von der Verfügungsklägerin nicht verlangt. Letzteres führt dazu, dass die Wertungen aus dem Beschluss der Kammer vom 26.03.2020 – 14 O 90/20 – vorliegend nicht eingreifen, weil für die Einordnung einer Urheberrechtsverletzung durch das dort streitgegenständliche Spiel die Übernahme der in das Spiel integrierten grafischen Elemente war.
92Vielmehr begehrt die Verfügungsklägerin Unterlassung hinsichtlich der öffentlichen Zugänglichmachung des Videospiels der Verfügungsbeklagten „F. V.“ insgesamt und zwar nur dann,
93„wenn und soweit die Version des Videospiels "F. V." das Spielkonzept enthält, dass ein sogenanntes "idle game" Rennspiel vorliegt, bei dem die Spielfigur in vier verschiedenen Disziplinen ein bestimmtes Terrain autonom zu überwinden hat, der Spieler dabei die Aufgabe hat, vor jedem Rennen seine Figur durch Trainings und bestimmte Ausrüstung bestmöglich vorzubereiten, damit die Spielfigur sodann autonom das jeweilige Rennen bestreitet, und durch das Gewinnen von Rennen, bestimmte Ereignisse oder den Erwerb im Shop die Ausrüstungsgegenstände erlangt werden können, und dieses Videospiel durch folgende Spielelemente ausgeführt wird:
94(1) Vor jedem Rennen wird eine bestimmte Benutzeroberfläche ("user interface") gezeigt, welche die erlangten Fähigkeiten und weiteren Verbesserungsmöglichkeiten für die Spielfigur zeigt;
95(2) beim Countdown vibriert das Smartphone oder Tablet zu den Zahlen 3 bis 1, und es wird aus der Vogelperspektive im leichten Schwenk auf die Starter herangezoomt;
96(3) jede der vier Disziplinen zur Überwindung des Terrains wird in einer bestimmten Kameraperspektive gezeigt, wobei im Hintergrund natürliche Elemente zu erkennen sind;
97(4) nach Überqueren der Ziellinie wird wieder eine bestimmte Benutzeroberfläche gezeigt, welche die Position der Spielfigur wiedergibt;
98(5) nach dem Rennen wird eine neue Benutzeroberfläche gezeigt, welche die Möglichkeiten der Verbesserung durch Trainings- und Ausrüstungsgegenstände darstellt.
99Die Verfügungsklägerin macht mithin ihren Urheberrechtsschutz an dem Spielkonzept fest, das nach ihrer Auffassung eine Konkretisierung der zugrunde liegenden Spielidee und damit ein schutzfähiges Werk sein soll.
100Es erscheint indes bereits fraglich, ob die Verfügungsklägerin ein urheberrechtlich geschütztes Spielkonzept in ihrem Spiel „Titel entf“ ausreichend vorgetragen hat.
101Der Kläger trägt im urheberrechtlichen Verletzungsprozess die Darlegungslast für das Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung (BGH, Urteil vom 19. März 2008 - I ZR 166/05, GRUR 2008, 984 Rn. 19 = WRP 2008, 1440 - St. Gottfried, mwN). Er hat daher nicht nur das betreffende Werk vorzulegen, sondern grundsätzlich auch die konkreten Gestaltungselemente darzulegen, aus denen sich der urheberrechtliche Schutz ergeben soll (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 1973 - I ZR 93/72, GRUR 1974, 740, 741 - Sessel; Urteil vom 14. November 2002 - I ZR 199/00, GRUR 2003, 231, 233 = WRP 2003, 279 - Staatsbibliothek).
102Nähere Darlegungen sind zwar entbehrlich, wenn sich die maßgeblichen Umstände schon bei einem bloßen Augenschein erkennen lassen. In solchen einfach gelagerten Fällen kann der Kläger seiner Darlegungslast bereits durch Vorlage des Werkes oder von Fotografien des Werkes genügen (vgl. BGH, GRUR 2003, 231, 233 - Staatsbibliothek; GRUR 2008, 984 Rn. 19 - St. Gottfried, mwN; zitiert nach: BGH, Urteil vom 12. Mai 2011 – I ZR 53/10 – Seilzirkus, Rn. 24 - 25, juris).
103Ist das jedoch nicht der Fall und lassen sich die den Urheberrechtsschutz begründenden Umstände nicht ohne weiteres dem Werk entnehmen, muss genau und deutlich dargelegt werden, inwieweit eine künstlerische Gestaltung gemäß § 2 Abs. 2 UrhG gegeben ist (so ausdrücklich für die angewandte Kunst gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG von Gebrauchsgegenständen: BGH, Urteil vom 12. Mai 2011 – I ZR 53/10 – Seilzirkus, Rn. 25, juris).
104Diesen Anforderungen ist die Verfügungsklägerin im Ausgangspunkt gerecht geworden. Denn sie hat bereits in ihrer Antragsfassung und auch in der zugehörigen Begründung ausgeführt, dass es sich bei dem von ihr geschaffenen Spiel um die Konkretisierung eines Spielkonzepts handelt, das bestimmte Spielelemente enthält, nämlich
105 ein sogenanntes "idle game" Rennspiel vorliegt,
106 bei dem die Spielfigur in vier verschiedenen Disziplinen ein bestimmtes Terrain autonom zu überwinden hat,
107 der Spieler dabei die Aufgabe hat, vor jedem Rennen seine Figur durch Trainings und bestimmte Ausrüstung bestmöglich vorzubereiten,
108 damit die Spielfigur sodann autonom das jeweilige Rennen bestreitet,
109 und durch das Gewinnen von Rennen, bestimmte Ereignisse oder den Erwerb im Shop die Ausrüstungsgegenstände erlangt werden können,
110und dies durch folgende Spielelemente, die dabei ausgeführt werden müssen, gestaltet ist:
1111) Vor jedem Rennen wird eine bestimmte Benutzeroberfläche ("user interface") gezeigt, welche die erlangten Fähigkeiten und weiteren Verbesserungsmöglichkeiten für die Spielfigur zeigt;
112(2) beim Countdown vibriert das Smartphone oder Tablet zu den Zahlen 3 bis 1, und es wird aus der Vogelperspektive im leichten Schwenk auf die Starter herangezoomt;
113(3) jede der vier Disziplinen zur Überwindung des Terrains wird in einer bestimmten Kameraperspektive gezeigt, wobei im Hintergrund natürliche Elemente zu erkennen sind;
114(4) nach Überqueren der Ziellinie wird wieder eine bestimmte Benutzeroberfläche gezeigt, welche die Position der Spielfigur wiedergibt;
115(5) nach dem Rennen wird eine neue Benutzeroberfläche gezeigt, welche die Möglichkeiten der Verbesserung durch Trainings- und Ausrüstungsgegenstände darstellt,
116also zusammengefasst durch die folgenden Elemente geprägt ist:
117 118Dabei ist indes zu beachten, dass die bloße Idee, also bloße Vorstellungen von einem Werk, die noch keine konkrete Form gefunden haben, nicht geschützt ist. Erst wenn diese Ideen eine konkrete Gestalt angenommen haben, beginnt der Urheberrechtsschutz (vergleiche: Dreier/Schulze/Schulze, 7. Aufl. 2022, UrhG § 2 Rn. 37 mit weiteren Nachweisen).
119In Anlehnung an die Kriterien für die Beurteilung, ob ein urheberrechtlich geschütztes Sprachwerk gegeben ist, könnte auch das von der Verfügungsklägerin für sich reklamierte Spielkonzept bewertet werden.
120Bei einem solchen Schriftwerk kann nämlich die urheberrechtlich geschützte, individuelle geistige Schöpfung sowohl in der von der Gedankenführung geprägten Gestaltung der Sprache als auch in der Sammlung, Auswahl, Einteilung und Anordnung des Stoffes zum Ausdruck kommen (BGH, Urteil vom 16. Januar 1997 - I ZR 9/95, BGHZ 134, 250, 254 f. - CB-infobank I; Urteil vom 6. Mai 1999 - I ZR 199/96, BGHZ 141, 329, 333 f. - Tele-Info-CD). Soweit die schöpferische Kraft eines Schriftwerkes dagegen allein im innovativen Charakter seines Inhalts liegt, kommt ein Urheberrechtsschutz nicht in Betracht (BGH, Urteil vom 11. April 2002, GRUR 2002, 958, 959 = WRP 2002, 1177 - Technische Lieferbedingungen). Der gedankliche Inhalt eines Schriftwerkes muss einer freien geistigen Auseinandersetzung zugänglich sein (Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl., § 2 UrhG Rn. 59 und 84). Die einem Schriftwerk zugrunde liegende Idee ist daher urheberrechtlich grundsätzlich nicht geschützt (Schricker/Loewenheim aaO § 24 UrhG Rn. 19; Schulze in Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl., § 24 Rn. 22, jeweils mwN).
121Anders kann es sich verhalten, wenn diese Idee eine individuelle Gestalt angenommen hat, wie dies beispielsweise bei der eigenschöpferischen Gestaltung eines Romanstoffs der Fall ist. Dann kann die auf der individuellen Phantasie des Dichters beruhende Fabel wie etwa der Gang der Handlung, die Charakteristik der Personen oder die Ausgestaltung von Szenen urheberrechtlich geschützt sein (BGHZ 141, 267, 279 - Laras Tochter; zitiert nach: BGH, Urteil vom 1. Dezember 2010 – I ZR 12/08 – Perlentaucher, Rn. 36, juris)
122Eine Fabel im Sinne der Gestaltung eines Romanstoffs entnimmt die Kammer den von der Verfügungsklägerin vorgetragenen Merkmalen von „Titel entf“ indes nicht. Denn die Zusammenfügung der Merkmale
123 124erzählt keine Geschichte und beschreibt auch keinen (komplexen) Handlungsstrang im Sinne einer solchen Fabel. Vielmehr stellt sie ein in sich geschlossenes System von Spielregeln und die Abfolge von Inhalten dar, die überdies in weiten Teilen durch Logik vorgegeben sind. An dieser Stelle ist für eigenschöpferische Tätigkeit kein Raum.
125Damit verbleibt – angsichts des bewusst nicht gewählten Schutzes der Gestaltung der einzelnen Elemente – nur die Möglichkeit, dass eine individuelle geistige Schöpfung im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG in der Sammlung, Auswahl, Einteilung und Anordnung der Elemente zum Ausdruck gekommen ist. Allerdings erscheint es der Kammer ohne weiteres üblich zu sein, dass Rennspiele in aller Regel eine oder mehrere Disziplinen aufweisen, ein bestimmter Charakter am Rennen teilnimmt, eine Ausstattung gewählt werden kann, bestimmte strategische Entscheidungen vor dem Rennen getroffen werden können, nach dem Rennen ein Rangsystem gezeigt wird und zusätzliche Ereignisse im Spiel Fortschritt möglich sind, insbesondere auch ein Shop für In-Game-Käufe vorhanden ist. Allenfalls die Hinzunahme der Spieleelement „Idle Game“ und eines hierfür spezifischen Trainingssystems könnte eine Variante zu dem Konzept üblicher Rennspiele und deren Gestaltung darstellen. Insoweit erscheint aber gerade die Kombination des Trainingssystems und des „autonomen“ Rennens ohne Steuerung durch den Spieler in weitem Umfang von logischen Zwängen geprägt, etwa dass eine Spielfigur, die schneller laufen soll, durch Training oder sonstige Ausstattung an Schnelligkeit gewinnt. Dies ist im Ausgangspunkt weder individuell, noch schöpferisch.
126Ob die Sammlung, Auswahl, Einteilung und Anordnung der Elemente im Spiel der Verfügungsklägerin indes bereits für den Urheberrechtsschutz ausreicht, ob also in dieser Kombination geläufiger oder durch Sachzwänge gebotener Merkmale eines Rennspiels eine individuelle geistige Schöpfung liegt, erscheint durchaus zweifelhaft. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei diesen Kriterien um abstrakte Gestaltungselemente handelt, die für sich genommen keinen konkreten Bezug zu der tatsächlichen Ausgestaltung durch die Verfügungsklägerin in ihrem Spiel „Titel entf“ haben. Dies führt dazu, dass die Zuerkennung des urheberrechtlichen Schutzes, wie ihn die Verfügungsklägerin begehrt, bei Lichte betrachtet zu einer Monopolisierung eines „Idle Game“ Rennspiels mit Trainingsfunktion, mit Ausstattungsoptionen vor jedem Rennen und Progressionssystem unabhängig von der konkreten Ausgestaltung führen würde. Damit würde aber ein dem Urheberrecht fremder Ideenschutz bewirkt.
127Ähnlich stellt sich der Befund dar, wenn man den urheberrechtlichen Schutz des klägerischen Spiels auf den Gedanken eines Sammelwerks nach § 4 Abs. 1 UrhG stützen wollte. Denn auch insoweit müssten Auswahl oder Anordnung der Elemente eine persönliche geistige Schöpfung darstellen. Dies kann nach den obigen Ausführungen hingegen nicht ohne Zweifel angenommen werden.
128b) Selbst wenn ein Urheberschutz insofern unterstellt wird, greift das Anbieten des Spieles „F. V.“ in dem App Store und bei Google Play nicht in das Recht der Verfügungsklägerin zur öffentlichen Zugänglichmachung des Spiels „Titel entf“ gemäß § 19a UrhG ein. Es handelt sich bei der angegriffenen Gestaltung vielmehr um eine freie Bearbeitung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG, da sie einen hinreichenden Abstand zum (unterstellten) Originalwerk wahrt und damit auch keine Vervielfältigung im Sinne von § 16 UrhG ist.
129Der Gesamteindruck des angegriffenen Videospiels „F. V.“ stimmt nicht in einem die Annahme einer Urheberrechtsverletzung tragenden Maße mit dem Spiel „Titel entf““ überein.
130Bei der Würdigung ist der Schutzumfang bei Übernahme der vorstehend für den Urheberrechtsschutz von der Verfügungsklägerin geltend gemachten Elemente zu beachten. Dieser ist umso enger, je abstrakter die übernommenen Gestaltungselemente sind (Loewenheim UrhR-HdB, § 7 Schutzgegenstand Rn. 8, beck-online). Wie bereits dargelegt, bleiben die insgesamt nur 10 Merkmale, an denen die Verfügungsklägerin den urheberrechtlichen Schutz festmachen will, sehr abstrakt und allgemein, sodass – wenn überhaupt – nur von einem sehr engen Schutzbereich auszugehen ist. In der Verletzungsprüfung ist besonders sorgsam darauf zu achten, dass in diesen Fällen auch nur die Nutzung der über die Idee hinausgehenden, bereits individualisierten Gestaltungselemente des Werks einen Eingriff in das in seinem Schutzumfang entsprechend beschränkte Urheberrecht begründen kann, während der bloße Rückgriff auf die zugrundeliegende allgemeine Idee frei bleibt (Loewenheim UrhR-HdB, § 7 Schutzgegenstand Rn. 6, beck-online).
131Nach diesen Maßstäben sieht die Kammer keine Urheberrechtsverletzung der Verfügungsklägerin an ihrem Spiel „Titel entf“ durch eine Übernahme des Spielekonzepts durch die Verfügungsbeklagte in deren Spiel „F. V.“. Dies gilt auch bei Zugrundelegung der Präsentationen aus der Anlage AST 11 und der von der Verfügungsklägerin in der mündlichen Verhandlung vorgeführten und erläuterten Präsentation, eingereicht mit Schriftsatz vom 18.01.2024.
132Die konkrete Ausgestaltung der von der Verfügungsklägerin angeführten abstrakten 10 Merkmale erfolgt in beiden Spielen – zum Teil, etwa in grafischer Hinsicht, erheblich – unterschiedlich. Zwar ist erkennbar, dass das Spiel „F. V.“ Inspirationen von dem Videospiel der Verfügungsklägerin „Titel entf“ enthält.
133Allerdings sind die einzelnen Elemente nach dem Sach- und Streitstand sämtlich vorbekannt. Dies ergibt sich zum einen aus der Präsentation der Verfügungsbeklagten in der Anlage AG 1 zum Schriftsatz vom 10.01.2024, um die in der mündlichen Verhandlung vorgeführten Videos ergänzt im Schriftsatz vom 15.01.2024. Auch wenn grundsätzlich der Verletzer durch Vorlage von konkreten Entgegenhaltungen darlegen und beweisen muss, dass der Urheber bei der Erschaffung seines Werkes auf Vorbekanntes zurückgegriffen habe (vergleiche: Dreier/Schulze/Schulze, 7. Aufl. 2022, UrhG § 2 Rn. 73 mit weiteren Nachweisen), ist der Inhalt der zwischen den Parteien diskutierten (vorbekannten) Spiele letztlich nicht im Streit.
134Danach steht fest, dass es sich bereits bei dem erstmals im Jahr 2001 veröffentlichten Spiel SEGA Chao Races um ein Racing Game handelt. Auch in diesem Spiel sind verschiedene Disziplinen zu absolvieren, zu denen auch Schwimmen, Fliegen und Laufen sowie Klettern gehören. Demnach ist jedenfalls die Auswahl dieser vier Disziplinen in „Titel entf“ nicht exklusiv der Verfügungsklägerin zuzuordnen.
135Auch das aus dem Jahr 1999 stammende Spiel Duck Life ist ein Idle Racing-Game, bei dem Spieler Laufen, Schwimmen und Fliegen trainieren, um ihre Spieler für das Rennen zu verbessern.
136Ebenfalls ein Idle Racing Game ist das aus dem Jahr 2011 stammende Spiel Animal Raceway, das auch eine Trainings-Funktionalität zur Verbesserung der Renn-Leistung aufweist. Deshalb drängt sich der Kammer auf, dass dieses Konzept des Trainings der autonomen Spielfiguren letztlich für dieses Spielgenre zwingend ist, da andernfalls kein sinnvolles Gameplay denkbar ist.
137Dass eine Rangliste aufgestellt wird, weitere Möglichkeiten des Fortschritts durch Ereignisse im Spiel angeboten werden und ein Shop für In-App-Käufe in Videospielen vorhanden sind, ist allgemein bekannt und üblich, sodass eine Übernahme dieser Elemente möglich ist, ohne dass dadurch eine Urheberrechtsverletzung erfolgen würde.
138Gewichtig für den maßgeblichen Gesamteindruck erscheint der Kammer nicht zuletzt auch die in der mündlichen Verhandlung unstreitig gebliebene Tatsache, dass beide Parteien für ihr jeweiliges Spiel bei demselben Anbieter Unity Asset Store das gleiche Gestaltungsmaterial (d.h. Grafiken, Buttons etc.) erworben haben, nämlich das „GUI Pro - Casual“ asset pack wie dies aus der Präsentation der Verfügungsbeklagten ersichtlich ist. Da somit in beiden Spielen die gleichen Einzelelemente bei den Schaltflächen, Symbolen etc. des Anbieters Unity Asset Store Verwendung gefunden haben, ergibt sich schon von daher eine ähnliche Anmutung in Menüdarstellungen und Übersichten außerhalb des Renngeschehens, oder wie die Verfügungsbeklagte dies ausdrückt, ein ähnlicher „Look and Feel“, wobei die Verfügungsbeklagte unwidersprochen vorgetragen hat, dass es sich dabei um einen allseits bekannten und weitverbreiteten „Look and Feel“ von Mobile Games handelt. Daran ändert letztlich auch nichts, wenn die Verfügungsklägerin darauf verweist, dass mehrere tausend Einzelelemente („Assets“) von dem Unity Asset Store zur Verfügung gestellt werden. Deshalb ist dieser Umstand nicht geeignet, eine Übernahme im Sinne einer unfreien Bearbeitung zu begründen, zumal die Verfügungsklägerin hier auch keine schöpferische Handlung neben der bloßen Auswahl aus dieser Vielfalt von Assets vorträgt.
139Damit bleibt es dabei, dass die Verfügungsbeklagte zwar die Spielidee, die „Titel entf“ zugrunde liegt, für ihr Spiel „F. V.“ aufgegriffen hat, in die urheberrechtlich geschützte Position der Verfügungsklägerin an ihrem Spiel „Titel entf“ indes nicht eingegriffen hat. Sie hat ein Konkurrenzprodukt entwickelt, dass sich in der Auswahl und Anordnung von Spielelementen an das klägerische Spiel annähert, dabei aber auch Abweichungen enthält, zuvörderst in der andersartigen Renndisziplin „Steine zerschlagen“ statt Schwimmen. Im Übrigen folgt das mit Blick auf die Spielfiguren, Rennstrecken und Ausstattungsgegenständen grafisch erheblich andersartige Spiel „F. V.“ dem logisch zwingenden Ablauf eines „Idle Game“ Rennspiels. Denn es drängt sich auf, dass der Computerspieler seine Rennfigur, die er im Rennen nicht durch eigenes Geschick, nur durch strategische Entscheidungen zum Sieg führen kann. Dass dies durch Training geschehen kann, zeigen bereits die oben dargestellten vorbekannten Spiele auf. Dass dies durch die Auswahl von Hilfsmitteln, z.B. eines Fluggeräts bei der Disziplin Fliegen, geschehen kann, erscheint bei einer Gesamtbetrachtung von bekannten Videospielen ebenfalls als generelles Prinzip. So stellt die Suche nach „Items“ verschiedener Güte bei vielen Videospielen einen zentralen Spielinhalt dar, um dann in Kampf- oder Rennsituationen siegen zu können. Ebenso ist das von der Verfügungsbeklagten genutzte Progressionssystem mit Levels und freischaltbaren Funktionalitäten bei fortlaufender Spieldauer integraler Teil von nahezu allen Videospielen, die sich nicht binnen kurzer Zeit „durchspielen“ lassen.
1403. Soweit die Verfügungsklägerin sich in zweiter Linie auf Lauterkeitsrecht stützt, steht ihr weder ein Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 3 a) UWG noch ein solcher nach § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 3 b) UWG noch wegen gezielter Behinderung nach § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 4 UWG zu.
141a) Die Aktivlegitimation der Verfügungsklägerin folgt aus § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG. Die Anwendungsvoraussetzungen des UWG liegen vor. Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis ist zwischen den Parteien gegeben. Die Videospiele zählen zum gleichen Marktsegment und sind substituierbar.
142b) Das von der Verfügungsbeklagten angebotene Spiel „F. V.“ stellt im Ergebnis keine unlautere Nachahmung des klägerischen „Titel entf“ dar und verletzt daher nicht § 4 Nr. 3 UWG.
143aa) Das Spiel „Titel entf“ der Klägerin verfügt dabei nach Ansicht der Kammer zwar wohl über die notwendige wettbewerbliche Eigenart.
144(1) Wettbewerbliche Eigenart setzt voraus, dass die konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale geeignet sind, die interessierten Verkehrskreise auf die betriebliche Herkunft oder die Besonderheiten eines Produktes hinzuweisen. Dabei geht es um die Frage, ob die Gestaltung des Produktes vom Verkehr auf eine gleichbleibende Herkunftsquelle zurückgeführt wird, was unabhängig davon ist, ob die Herkunftsquelle auch namentlich benannt werden kann (BGH GRUR 2018, 311 R. 14 - Handfugenpistole).
145Entscheidend ist der Gesamteindruck beim angesprochenen Verkehr (BGH GRUR 2010, 80 Tz. 34 - LIKEaBIKE; GRUR 2013, 951 Tz. 19 - Regalsystem, GRUR 2013, 1052 Tz. 20 - Einkaufswagen III), der auch aus dem Zusammenwirken besonders gestalteter Elemente resultieren kann (vgl. BGH GRUR 2006, 79 Tz. 26 - Jeans I; GRUR 2008, 1115 Tz. 20 - ICON). Übliche Gestaltungsmerkmale, die für die betreffende Produktkategorie üblich sind, spielen dabei schon deswegen keine Rolle, weil der Verkehr ihre Verwendung nicht auf die Herkunft aus einem bestimmten Betrieb bezieht, sondern allen Produkten der betreffenden Gattung unabhängig von ihrem Hersteller zuschreibt.
146(2) Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann die Kammer aus eigener Sachkunde beurteilen, da sie als auf Urheberrechtsstreitsachen spezialisierter Spruchkörper auch über hinreichende Erfahrung mit in diesem Zusammenhang ebenfalls regelmäßig geltend gemachten Ansprüchen aus unlauterer Nachahmung verfügt. Dies gilt zumal als vorliegend nur der Gesamteindruck des Spielkonzepts zu berücksichtigen ist und sich die Spiele an ein allgemeines Publikum richten (vgl. BGH GRUR 2017, 1135 Rn. 19 – Leuchtballon). Zwar mag es ein besonderes Publikum geben, das für Mobile Games besonders empfänglich ist und solche Spiele in überdurchschnittlichem Maß nutzen. Insoweit lässt sich der Klägervortrag verstehen, der aus Kommentaren von Internetusern Rückschlüsse auf das Verkehrsverständnis herzuleiten versucht. Gleichwohl ist angesprochenes Publikum hier jeder Nutzer eines aktuellen Smartphones, da auf jedem solchen Gerät die hier gegenständlichen Spiele gespielt werden können und diese zudem im Ausgangspunkt kostenlos sind. Angesichts der Kurzweiligkeit des Spielkonzepts, das auch mit wenig Zeitaufwand regelmäßig gespielt werden kann, kommen auch Personen jedes Alters und unabhängig von ihren Vorlieben der Freizeitbetätigung als potentielle Abnehmer in Betracht.
147Die Ausstattung von „Titel entf“ der Verfügungsklägerin soll vor allem durch die Kombination der oben im urheberrechtlichen Teil aufgelisteten 10 Merkmale geprägt sein, die dem Spiel als sogenanntes Idle Racing Game einen sich von anderen Spielen der auf dem bundesdeutschen Markt präsenten Wettbewerber abhebenden Gesamteindruck verleihen soll.
148Die wettbewerbliche Eigenart von „Titel entf“ der Verfügungsklägerin ist dabei von Hause aus als durchschnittlich zu bewerten. Eine Steigerung der wettbewerblichen Eigenart der Erzeugnisse aufgrund tatsächlicher Bekanntheit im Verkehr (vgl. BGH, GRUR 2010, 80 Rn. 37 – LIKEaBIKE; BGH, GRUR 2010, 1125 Rn. 24 – Femur-Teil; BGH, GRUR 2013, 1052 Rn. 24 – Einkaufswagen III) liegt nicht vor.
149Die von der Verfügungsklägerin vorgetragenen Tatsachen reichen für eine solche Annahme nicht aus. Die wettbewerbliche Eigenart ist trotz der Darstellung der Verfügungsklägerin, am Markt der Videospiele habe es bei Einführung kein zu „Titel entf“ vergleichbare Spiel gegeben, dass das Element eines „Idle Games“ mit einem Rennspiel kombiniert, nicht als erhöht anzusehen. Auch eine aktuell hohe Platzierung in Download-Charts genügt dabei nicht. Dass das Spiel der Verfügungsklägerin eine hohe Bekanntheit im maßgeblichen Markt erlangt habe, ist nicht feststellbar. Zwar mag es in dem Bereich derartiger Spiele erfolgreich sein. Dass aber „Titel entf“ von dem oben charakterisierten angesprochenen Publikum mehr als andere (Renn-)Spiele besonders zur Kenntnis genommen würde, ergibt sich nicht. Die Verfügungsklägerin hat auch nicht zu besonderen Werbetätigkeiten oder sonstiger PR-Arbeit vorgetragen. Insbesondere handelt es sich bei dem Spiel der Verfügungsklägerin nicht um einen Videospielklassiker oder ein auf Anhieb allgemein bekanntes Spiel, der bei weiten Teilen der Smartphonenutzer bekannt und beliebt ist. Man wird es insbesondere nicht mit besonders bekannten und deshalb mit besonders hoher wettbewerblicher Eigenart ausgestatteten Rennspielen, wie etwa „Mario Kart“, gleichsetzen können.
150bb) Die Ausgestaltung des Videospiels „F. V.“ der Verfügungsbeklagten stellen sich als nachschaffende Nachahmung dar.
151Bei der Beurteilung der Übereinstimmung oder Ähnlichkeit von Produkten ist auf den Gesamteindruck abzustellen, den Original und Nachahmung bei ihrer bestimmungsgemäßen Benutzung dem Betrachter vermitteln. Zu berücksichtigen ist der Erfahrungssatz, dass der Verkehr die fraglichen Produkte regelmäßig nicht gleichzeitig wahrnimmt und miteinander vergleicht, sondern seine Auffassung aufgrund eines Erinnerungseindrucks gewinnt. Dabei treten regelmäßig die übereinstimmenden Merkmale mehr hervor, so dass es mehr auf die Übereinstimmungen als die Unterschiede ankommt (BGH, GRUR 2007, 795 Rn. 34 – Handtaschen; BGH, GRUR 2010, 80 Rn. 41 – LIKEaBIKE). Dabei kommt es darauf an, ob gerade die übernommenen Gestaltungsmittel die wettbewerbliche Eigenart des nachgeahmten Produktes begründen (BGH GRUR 2017, 1135 Rn. 29 – Leuchtballon). Entscheidend hierfür ist der Gesamteindruck beider Produkte aus Sicht eines durchschnittlich informierten Verbrauchers.
152Übernommen hat die Verfügungsbeklagte bei „F. V.“ die als solche (auch) lauterkeitsrechtlich nicht schutzfähige Grundidee eines Idle Racing Games mit vier Disziplinen und mit dem Konzept des Trainings der Spielfiguren, der Ausstattung dieser mit Gegenständen sowie eines Shops. Sie hat sich damit der Gestaltung der Verfügungsklägerin zwar angenähert. Dennoch weicht die Gestaltung von „F. V.“ der Verfügungsbeklagten von derjenigen von „Titel entf“ im maßgeblichen Gesamteindruck erheblich ab. Insoweit wird auf die obigen urheberrechtlichen Ausführungen Bezug genommen, die an dieser Stelle entsprechend gelten.
153cc). Soweit eine nachschaffende Übernahme in Bezug auf die angegriffenen Gestaltungen vorliegt, fehlt es aber an der weiterhin notwendigen Unlauterkeit des Verhaltens. Besondere, die Unlauterkeit der Nachahmung begründende Umstände liegen nicht vor, weder in Form einer vermeidbaren Täuschung über die betriebliche Herkunft, noch einer unangemessenen Beeinträchtigung oder Ausnutzung der Wertschätzung des nachgeahmten Produkts, noch in der unredlichen Erlangung von für die Nachahmung erforderlicher Kenntnisse oder Unterlagen. Bei durchschnittlicher wettbewerblicher Eigenart und einer nur nachschaffenden Nachahmung müssten unter Berücksichtigung der Wechselwirkungslehre schon erhebliche Gründe vorliegen, um überhaupt zu einer wettbewerblichen Unzulässigkeit der – grundsätzlich zulässigen – Nachahmung gelangen zu können.
154(1) Eine vermeidbare Herkunftstäuschung gemäß § 4 Nr. 3 a) UWG liegt nicht vor.
155Im Rahmen einer Gesamtabwägung zwischen Grad der Eigenart, Typus der Nachahmung und sonstiger Umstände ist die Gefahr einer Herkunftszuordnung zu verneinen. Zwar mag eine gewisse Bekanntheit der Verfügungsklägerin und ihres Spiels „Titel entf“ vorhanden sein; diese würde aber nur unlauter ausgenutzt, wenn eine (weitgehend) identische Übernahme vorliegt. Eine vermeidbare Herkunftstäuschung (§ 4 Nr. 3 a) UWG) liegt nicht vor. Für den angemessen gut informierten und angemessen aufmerksamen und kritischen durchschnittlichen Abnehmer, auf den es ankommt (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 4 Rn. 3.41, mwN), kommt es jedenfalls nicht zu einer erheblichen Täuschungsgefahr.
156Bei einer nachschaffenden Übernahme liegt die Gefahr einer Herkunftstäuschung nur nahe, wenn ergänzende Umstände vorliegen, die entweder auf eine mittelbare Beziehung zwischen den Unternehmen hinweisen oder die die Gefahr begründen, dass der Verkehr das Nachahmerprodukt dem Hersteller des nachgeahmten Produkts zuschreibt. Mittelbare Beziehungen dürfen nicht unterstellt werden, für sie müsste es einen Anhaltspunkt geben (so BGH GRUR 2019, 196 Rn. 20 - Industrienähmaschinen). Eine mittelbare Herkunftstäuschung erfordert eine Prüfung der Wechselwirkung zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Intensität der Übernahme sowie den besonderen Umständen (vgl. BGH, Urteil vom 19.10.2000 - I ZR 225/98, GRUR 2001, 443 - Viennetta).
157Die Übernahme der Grundidee eines Idle Racing Games mit den oben dargestellten weiteren Spielkomponenten ist nicht geeignet, Herkunftserwartungen zu begründen, weil diese Idee frei ist.
158Hinzu kommt ein eindeutig abweichender Name des Videospiels der Verfügungsbeklagten, der den Adressaten ohne Weiteres sofort ins Auge fällt, wenn das Spiel geöffnet wird und dabei zunächst einen unterschiedlichen Entwicklernamen und sodann mehrere Sekunden lang einen Startbildschirm mit unterschiedlichen Spielnamen zeigt. Auch die grafische Gestaltung der Rennspielfigur und der Rennstrecken bzw –landschaften sind eindeutig für jeden unterscheidungsfähig und lassen den angesprochenen Verkehr nicht darauf schließen, dass das Spiel der Verfügungsbeklagten von der Verfügungsklägerin stammen könnte.
159(2) Auch eine unlautere Rufausbeutung gemäß § 4 Nr. 3 b) UWG liegt nicht vor.
160Eine unlautere Rufausnutzung kann auch ohne Herkunftstäuschung der angesprochenen Verkehrskreise auf einer Anlehnung an eine fremde Leistung beruhen, sofern eine erkennbare Bezugnahme auf den Mitbewerber oder seine Produkte vorliegt. Die Frage, ob dadurch eine Gütevorstellung im Sinne des § 4 Nr. 3 b) UWG unangemessen ausgenutzt wird, ist jeweils im Wege einer Gesamtwürdigung zu beantworten, bei der alle relevanten Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Grad der Anlehnung sowie die Stärke des Rufs des nachgeahmten Produkts, zu berücksichtigen sind. Dabei kann grundsätzlich schon die Annäherung an die verkehrsbekannten Merkmale eines fremden Produkts als solche zu einer für die Annahme einer Rufausbeutung erforderlichen Übertragung der Gütevorstellung führen (BGH, GRUR 2010, 1125 Rn. 42 – Femur-Teil; BGH, GRUR 2013, 1052 Rn. 38 – Einkaufswagen III; BGH, GRUR 2015, 909 Rn. 40 – Exzenterzähne; OLG Köln, GRUR-RR 2006, 278 [279 f.] – Arbeitselement für Resektoskopie; OLG Köln, GRUR-RR 2014, 65 [68] – Pandas).
161Die besondere Wertschätzung knüpft nach der Darstellung der Verfügungsklägerin maßgeblich daran an, dass es das erste Spiel in der Kombination eines Idle Games mit einem Rennspiel sei. Ein für die Rufausbeutung erforderlicher Transfer des Images vom Originalprodukt auf das Nachahmungsprodukt ist jedoch nicht feststellbar, nachdem die Verfügungsbeklagte zwar Stimmen vorgelegt hat, die „F. V.“ als Kopie von „Titel entf“ ansehen, dies aber auf Spanisch und auf Englisch erfolgt (vergleiche etwa Anlage AST 14) und diese zahlenmäßig eher gering bleiben und in Medien erfolgten, die nur einen kleinen und spezialisierten Ausschnitt des angesprochenen Publikums darstellen. Dass mit der Umsetzung derselben Grundidee eines Idle Racing Games eine Assoziation an das Spiel der Verfügungsklägerin verbunden sein mag, genügt für den Tatbestand der Rufausbeutung nicht. Insofern ist auch bezeichnend, dass die Verfügungsbeklagte ähnliche Stimmen vorlegen konnte, die das Spiel der Verfügungsklägerin zur Zeit des erstmaligen Erscheinens als Kopie von „SEGA Chao Racing“ bezeichneten. Auch dies sind vereinzelt gebliebene Stimmen in einem kleinen Teil des Adressatenkreises. Jedenfalls zeigen diese Äußerungen insgesamt, dass die Spielidee des Idle Racing Games mit verschiedenen Disziplinen nicht nur einem bestimmten Spieleentwickler zugeschrieben werden.
1624. Schließlich ist auch keine gezielte Behinderung im Sinne von § 4 Nr. 4 UWG anzunehmen. Deshalb steht der Verfügungsklägerin auch kein Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 4 UWG zu.
163Erforderlich hierfür ist eine geschäftliche Handlung, die sich gegen einen Mitbewerber in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis richtet und diesen behindert, also in seinen wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten beeinträchtigt. Diese muss „gezielt“ erfolgen. Jedenfalls an einer gezielten Behinderung in diesem Sinne fehlt es.
164Als „gezielt“ ist eine Behinderung ganz allgemein dann anzusehen, wenn bei objektiver Würdigung aller Umstände eine Maßnahme in erster Linie nicht auf die Förderung der eigenen wettbewerblichen Entfaltung, sondern auf die Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltung eines Mitbewerbers gerichtet ist (BGH GRUR 2007, 800 Rn. 23 – Außendienstmitarbeiter; BGH GRUR 2008, 621 Rn. 32 – AKADEMIKS). Es muss also ein Eingriff in die wettbewerbliche Entfaltung eines Mitbewerbers erfolgen (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 41. Aufl. 2023, UWG § 4 Rn. 4.8).
165Dabei kann der Eingriff unternehmensbezogen sein, was der Fall ist, wenn er sich unmittelbar gegen das Unternehmen des Mitbewerbers als solches richtet. Er ist unlauter, wenn der Handelnde rechtswidrig und vorsätzlich in das Unternehmen eines Mitbewerbers oder die darin zusammengefassten Rechte und Rechtsgüter eingreift (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 41. Aufl. 2023, UWG § 4 Rn. 4.8a). Dass die Verfügungsbeklagte ein derartiges unmittelbar gegen das Unternehmen der Verfügungsklägerin gerichtetes Handeln, also etwa in Form der Vernichtung oder Beschädigung von Waren oder Werbemitteln; Störungen von Betriebsabläufen durch Eingriffe in die Datenverarbeitung (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 41. Aufl. 2023, UWG § 4 Rn. 4.8a), an den Tag gelegt hätte, ergibt sich auch aus dem Vortrag der Verfügungsklägerin nicht und ist auch nicht erkennbar.
166Darüber hinaus fehlt es aber auch an einem marktbezogenen Eingriff. Marktbezogen ist ein Eingriff in die wettbewerbliche Entfaltung, wenn er mittels einer Einwirkung auf die geschäftlichen Entscheidungen von (aktuellen oder potentiellen) Marktpartnern des Mitbewerbers erfolgt. Innerhalb der marktbezogenen Handlungen sind wiederum zwei Erscheinungsformen einer gezielten Mitbewerberbehinderung zu unterscheiden (stRspr; BGH WRP 2014, 424 Rn. 28 – wetteronline.de): Zum einen dann, wenn die Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit der Mitbewerber der eigentliche Zweck der Maßnahme ist. Zum anderen dann, wenn die Maßnahme dazu führt, dass die beeinträchtigten Mitbewerber ihre Leistung am Markt nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen können. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist auf Grund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Interessen der Mitbewerber, Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer sowie dem Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb (§ 1 S. 2) zu beurteilen (stRspr; vgl. BGH WRP 2014, 839 Rn. 23, 40 – Flugvermittlung im Internet; BGH WRP 2017, 46 Rn. 14 – Fremdcoupon-Einlösung; BGH WRP 2017, 434 Rn. 49 – World of Warcraft II; zitiert nach: Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 41. Aufl. 2023, UWG § 4 Rn. 4.8b).
167Es ist jedoch nicht erkennbar, dass die Verfügungsbeklagte auf eine Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit der Verfügungsklägerin als den eigentlichen Zweck der Schaffung und des Inverkehrbringens von „F. V.“ abzielt. Erkennbar ist vielmehr die Absicht, das eigene Produkt – im Wettbewerb zu „Titel entf“ der Verfügungsklägerin – in den Verkehr zu bringen und damit das eigene wirtschaftliche Fortkommen zu fördern.
168Ebenso führt dies nicht dazu, dass die Verfügungsklägerin ihre Leistung am Markt nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen kann. Die Verfügungsklägerin ist ungehindert, ihr „Titel entf“ weiterhin zu vermarkten, zumal sie nach eigenem Vortrag als das „Original“ Idle Racing Game anzusehen sein soll und angesichts ihrer hohen Platzierung in Downloadcharts erhebliche Reichweitenvorteile gegenüber der Beklagten haben dürfte. Die Verfügungsbeklagte ist hingegen mit einem eigenen Produkt schlicht in den Wettbewerb zur Verfügungsklägerin getreten. Dass das Spiel „F. V.“ zunächst kostenfrei erhältlich ist, belegt eine gezielte Behinderung nicht, zumal dies auch für das Spiel der Verfügungsklägerin „Titel entf“ gilt und mit Blick auf „In-App“-Käufe ein mittlerweile führendes Geschäftsmodell bei Mobile Games ist. Insbesondere erscheint fernliegend, dass die Kostenfreiheit des Downloads an der Ersparung von Entwicklungskosten gelegen haben könnte. Zwar mögen die Entwicklungskosten auf der Grundlage des Vortrags der Verfügungsklägerin durchaus erheblich sein. Dennoch weist vor allem die grafische Gestaltung von „F. V.“ zahlreiche Unterschiede auf, die ohne einen eigenen Entwicklungsaufwand nicht darstellbar sind. Die Kammer geht auch davon aus, dass eine erhebliche Ersparung von Entwicklungsaufwand und Programmiertätigkeit nur dann vorliegen würde, wenn die Verfügungsbeklagte nicht nur in Anlehnung an das Spiel der Verfügungsklägerin ein eigenes Spiel entwickelt hätte, sondern wenn sie fertigen Quellcode der Verfügungsklägerin schlicht übernommen hätte. Dies wird jedoch nicht vorgetragen. Dass das Erdenken des Spielkonzepts, wie oben ausführlich beschrieben, bei der Verfügungsklägerin zu Kosten geführt hat, mag sein, ist aber angesichts der Gemeinfreiheit dieser Idee kein beachtlicher Umstand.
169Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 6, 711 ZPO.
170Der Streitwert wird auf 100.000,00 EUR festgesetzt.
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