Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
1) Eine SCR-Steuerung, die eine „Rückkehr“ vom sog. Online-Modus in den sog. Füllstandsmodus nicht oder lediglich unter zu engen Bedingungen zulässt, kann eine Abschalteinrichtung gem. Art. 3 Nr. 10 VO(EG) 715/2007 darstellen. Das Verbleiben im Online-Modus ist erst dann unbedenklich, wenn der Füllstandmodus gegenüber dem Online-Modus keine verstärkte Reduzierung der Stickoxidemissionen (mehr) bewirken könnte.
(2) Ein Thermofenster, aufgrund dessen unterhalb von 14° C eine Reduzierung der Abgasrückführungsrate stattfindet, stellt eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 VO(EG) 715/2007 dar.
(3) Eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), die nicht in jeder Aufwärmphase des Motors zu einer Herabsetzung der Kühlmittel-Temperatur führt, sondern unter bestimmten Bedingungen deaktiviert bleibt, obwohl ihre weitergehende Aktivierung technisch möglich wäre, stellt eine Deaktivierung eines Teils des Emissionskontrollsystems im Sinne von Art. 3 Nr. 10 VO(EG) 715/2007 und mithin ebenfalls eine Abschalteinrichtung dar.
(4) Zur Berufung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum hätte die Beklagte im Hinblick auf die seit Ende 2015 sogar öffentlich geführte Diskussion um die Vorschriften der Art. 3, 5 VO(EG) 715/2007 darlegen müssen, dass und aus welchen Gründen ihre Repräsentanten auch noch im Mai 2017 (Abschluss des Kaufvertrags mit dem Kläger) von einer materiellrechtlichen Konformität ihrer Fahrzeuge oder von der Bestandskraft einer erteilten Typgenehmigung ausgingen, ohne die Möglichkeit deren Wegfalls zu erwägen.
(5) Bezüglich des Differenzschadens ist eine Vorteilsausgleichung im Hinblick auf die die (gezogenen) Nutzungen und den gegenwärtigen Fahrzeugwert („Restwert“) sowie im Hinblick auf ein etwaiges Update zu erwägen.
Um das Update jenseits der Bemessung der Differenzschadensquote eigenständig zu berücksichtigen, muss durch das Update eine weitere Schadensminderung eingetreten sein. Daran kann es fehlen, soweit das Update bereits in dem für das Fahrzeug ermittelten Restwert „eingepreist“ ist.
Auf die Berufung des Klägers wird das am 18.11.2022 verkündete Urteil des Landgerichts Dortmund teilweise abgeändert;
die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.916,97 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.12.2020 zu zahlen;
die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen,
die weitergehende Klage bleibt abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 90 % und die Beklagte zu 10 %; die Kosten der Berufungsinstanz tragen der Kläger zu 85 % und die Beklagte zu 15 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert für die Berufung: bis zum 12.10.2023 bis zu 35.0000,00 €, ab dem 13.10.2023 bis zu 7.000,00 €
Gründe:
2A.
3Der Kläger erwarb von der Beklagten am 00.5.2017 einen der EU6-Norm unterfallenden gebrauchten Pkw Mercedes Benz GLC 220 D 4-Matic BlueTec (EZ 22.2.2016; Kilometerstand 11.046) zum Preis von 42.400,00 €. Das Fahrzeug ist mit einem Motor aus der Baureihe OM 651 (EU6) ausgestattet. Die Stickoxidemissionen werden u.a. über die sog. Abgasrückführung reduziert; die Abgasrückführungsrate wird u.a. von der Außentemperatur bestimmt. Die Abgasreinigung erfolgt über einen SCR-Katalysator; die Steuerung bewirkt unter bestimmten Bedingungen einen Wechsel zwischen dem sog. Füllstandsbetrieb (mit höherer AdBlue-Dosierung) und dem sog. Online-Betrieb. Das Fahrzeug ist von einem Rückruf des KBA wegen der Schaltung der Betriebsmodi des SCR-Systems betroffen; die Beklagte hat gegen den KBA-Bescheid Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Der Kläger ließ in anwaltlicher Vertretung unter dem 23.9.2020 den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärten; zugleich nahm er die Beklagte auf Schadensersatz im Umfang des gezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs in Anspruch nehmen. Ein vom KBA freigegebenes Update wurde zwischenzeitlich aufgespielt.
4Der Kläger hat gemeint, das Fahrzeug sei mit unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestattet. Er hat behauptet, das Thermofenster bewirke eine Reduzierung der Abgasrückführungsrate bereits bei Temperaturen unter 14° C, zu einer „maximalen Reduzierung“ komme es bei Temperaturen unter 9° C. Ferner werde die AGR-Rate außerhalb des NEFZ auch noch in Abhängigkeit von anderen Parametern reduziert. Hingegen sei ein Thermofenster technisch nicht notwendig. Ein Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 2 VO(EG) 715/2007 greife nicht ein. Ferner werde die „Emissionsminderungsstrategie ‚hot restart‘“ eingesetzt (I-41), dabei handele es sich um die Kühlmittelsolltemperatur-Regelung (im Folgenden: KSR) (I-331). Die in Abhängigkeit von der Vorkonditionierung zum NEFZ bzw. den dort herrschenden Bedingungen bewirkte Herabsetzung der Kühlmitteltemperatur werde außerhalb des NEFZ abgeschaltet. Der Kläger hat auf Veröffentlichungen des T., auf eine Stellungnahme des BMVI sowie auf ein Gutachten des R. in einem Parallelverfahren vor dem Landgericht Stuttgart verwiesen.
5Der Kläger hat ferner behauptet, die SCR-Regelung bzw. der Wechsel vom Füllstands- zum Online-Modus knüpfe u.a. an die Gesamtmenge der ausgestoßenen Stickoxide, an die gefahrene Strecke sowie an Betriebszeit und Temperatur an („Bit 13“; ferner „Bit 14“ und „Bit 15“). Außerhalb des NEFZ befinde sich das Fahrzeug damit im Online-Modus, in dem die Abgasreinigung stark abnehme. Vorgetäuscht werde damit eine effektive Reinigung. Wie sich aus einem Gutachten des U. vom 28.9.2020 ergebe, lägen insgesamt sogar acht Abschalteinrichtungen vor (davon sechs in Bezug auf die AdBlue-Dosierung und zwei bezüglich der AGR-Rate).
6Im Übrigen sei das OBD-System „manipuliert“, so dass die Überschreitung der diesbezüglichen Grenzwerte nicht angezeigt werde. Die Überwachungsfunktion fehle also vollständig. Es liege eine Kopplung der OBD-Programmierung mit dem Thermofenster vor. Bereits wegen der fehlerhaften Programmierung des OBD hätte eine Typgenehmigung nicht erteilt werden dürfen, wie sich aus Art. 4 VO(EG) 692/2008 ergebe.
7Der Kläger hat behauptet, eine Nachbesserung der Motorsteuerung sei nicht möglich, das mittlerweile aufgespielte Update habe Leistungseinbußen und einen höheren Kraftstoff- und AdBlue-Verbrauch zur Folge; außerdem sei beschleunigter Verschleiß zu erwarten.
8Er hat gemeint, das Thermofenster sowie die „Emissionsminderungsstrategie ‚hot restart‘“ stellten Sachmängel im Sinn von § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bzw. Nr. 2 BGB (a.F.) dar. Eine Nachfristsetzung sei entbehrlich, und zwar gem. § 440 S. 1, 3. Alt. BGB (Unzumutbarkeit für den Käufer wegen Ungeeignetheit des Updates); im Übrigen sei eine im Rahmen des Schreibens vom 23.9.2020 gesetzte Frist abgelaufen. Die Beklagte habe den Mangel auch arglistig verschwiegen (§ 438 Abs. 3 S. 1 BGB).
9Er hat behauptet, bei Kenntnis der Abschalteinrichtungen und des damit verbundenen Risikos für den Entzug der Betriebserlaubnis die Kaufentscheidung nicht getroffen zu haben.
10Er hat die Auffassung vertreten, von der Beklagten durch den Einbau der Abschalteinrichtung vorsätzlich sittenwidrig geschädigt worden zu sein. Anhaltspunkte dafür lägen in der Verletzung von Offenbarungspflichten im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens und in der Anweisung an die Werkstätten, den bisherigen Softwarestand durch die Updates zu überspielen. Der Vorstand sei unterrichtet gewesen. Die Beklagte hafte ferner auch für ihre Mitarbeiter nach § 831 Abs. 1 BGB und ferner aus Schutzgesetzverletzungen u.a. der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV.
11Wegen der erstinstanzlich zuletzt gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
12Die Beklagte hat die Existenz von Abschalteinrichtungen bestritten und darauf verwiesen, das Fahrzeug des Klägers verfüge über eine wirksame EG-Typgenehmigung und halte die Emissionsgrenzwerte für Stickoxide der einschlägigen Euro-Norm im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen Tests ein. Eine Prüfstanderkennungssoftware sei nicht vorhanden.
13Die Abgasrückführung arbeite unter NEFZ-Bedingungen und im Realbetrieb in gleicher Weise, das gelte auch für die KSR. Die unterschiedlichen Angaben des Klägers zu den Randbedingungen der AGR seien unzutreffend und ins Blaue hinein erfolgt. Die Abhängigkeit der Abgasrückführungsrate von äußeren Rahmenbedingungen sei auch aus Gründen des Motorschutzes erforderlich und statthaft. Das KBA sei über die Temperaturabhängigkeit der AGR-Rate zutreffend informiert worden; sie habe „die in der Praxis des KBA erwarteten Angaben zu den Emissionskontrollsystemen“ gemacht (I-247). Die Vorschrift des Art. 3 Nr. 9 VO(EG) 692/2008 stelle eine „reine Verfahrensvorschrift“ dar.
14Die vom Kläger erwähnte „Strategie B“ finde in keinem Motor aus der Baureihe OM 651 und damit auch nicht im Fahrzeug des Klägers Anwendung; sie sei vom KBA auch nicht gerügt worden.
15Auch das SCR-System beinhalte keine „manipulative Prüfstanderkennung“; die Steuerung sei von verschiedenen Parametern abhängig, u.a. deshalb, weil die „Reinigungsfähigkeit des Katalysators bei hoher Last des Motors an ihre physikalischen Grenzen“ komme (I-661). Es gebe keinen „schmutzigen“ Modus aufgrund bestimmter Programmierungen. Allerdings trage das SCR-System „den Unwägbarkeiten schnell wechselnder Betriebsbedingungen“ durch „zwei sich gegenseitig ergänzende Dosiermodi“ Rechnung. Der Online-Modus komme zum Einsatz, wenn „Indikatoren darauf“ hindeuteten, „dass die Speicherfähigkeit des Katalysators erreicht“ sei und „damit ein erhöhtes Ammoniak-Schlupf-Risiko“ bestehe, und gewährleiste „die Stabilität des Gesamtsystems unter sich verändernden Betriebsumständen“ (I-664). Die Rüge im „Ausgangsbescheid“ des KBA vom 23.5.2018, wonach während der Fahrt (nach Ausstoß eines bestimmten Stickoxid-Integrals) keine Umschaltung in den Füllstands-Modus mehr erfolge, sei unberechtigt, was auch Gegenstand der Anfechtungsklage sei.
16Emissionswerte außerhalb der maßgeblichen Prüfbedingungen seien ohne Relevanz und ließen auch nicht den Schluss auf die Existenz unzulässiger Abschalteinrichtungen zu. Die Grenzwerte der VO(EG) 715/2007 seien auf die Bedingungen des NEFZ zugeschnitten gewesen. Das ergebe sich aus der Festlegung von Korrekturfaktoren für die Emissionen im Realbetrieb, wie sie (schließlich) mit der VO(EG) 2019/0101 (COD) festgelegt worden seien.
17Soweit es zum Rückruf von Fahrzeugen gekommen sei, handele es sich lediglich um Nebenbestimmungen, die nicht bestandskräftig seien und denen im Übrigen mit entsprechenden (genehmigten) Updates Rechnung getragen worden sei.
18Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Vortrag des Klägers zur Existenz unzulässiger Abschalteinrichtungen sei unzureichend; der Kläger könne sich nicht auf die von ihm benannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs (VIII ZR 57/19) berufen, weil sie nicht auf deliktische Ansprüche anwendbar sei.
19Das OBD-System funktioniere einwandfrei und entspreche den gesetzlichen Anforderungen; es überwache die Emissionskontrollsysteme und die für Dieselmotoren einschlägigen Grenzwerte (I-266).
20Die Beklagte, die die Einrede der Verjährung erhoben hat, hat u.a. die Auffassung vertreten, Gewährleistungsansprüche scheiterten auch daran, dass der Kläger einen Sachmangel im Zeitpunkt der Übergabe nicht substantiiert dargelegt habe. Ein etwaiger Mangel sei jedenfalls – im Hinblick auf die Kosten des Updates – unerheblich. Auch sei ihr keine angemessene Nachfrist gesetzt worden.
21Deliktische Ansprüche kämen im Übrigen schon deshalb nicht in Betracht, weil keine auf den NEFZ beschränkte „manipulative Umschaltlogik“ verwendet worden sei und weil sie bei der Herstellung des Fahrzeugs im Hinblick auf dessen NOx-Emissionen einer vertretbaren Rechtsauffassung gefolgt sei, so dass für Vorsatz oder Sittenwidrigkeit kein Raum sei.
22Das Landgericht hat die Klage mit seinem am 18.11.2021 verkündeten Urteil abgewiesen. Es führt aus, in Bezug auf das Thermofenster habe der Kläger keine Tatsachen vorgetragen, die auf ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten schließen ließen. Das gelte auch für die Steuerung des SCR-Katalysators und für die KSR. Die – angebliche – (Fehl-)Programmierung des OBD-Systems könne keine Sittenwidrigkeit begründen, schon weil sie nicht in die Motorsteuerung bzw. die Abgasbehandlung eingreife. Überdies fehle es am Nachweis eines Schädigungsvorsatzes der Beklagten. Auch weitere deliktische Anspruchsgrundlagen seien nicht erfüllt. Etwaige gewährleistungsrechtliche Ansprüche des Klägers seien verjährt; ein etwaiges arglistiges Verhalten habe der Kläger nicht hinreichend dargelegt.
23Mit seiner Berufung hat der Kläger seine erstinstanzlich zuletzt Anträge zunächst im Wesentlichen weiterverfolgt.
24Er behauptet erneut, infolge des Updates sei u.a. eine Leistungseinbuße eingetreten, Kraftstoff- und AdBlue-Verbrauch hätten sich erhöht.
25Was die SCR-Steuerung angehe, so existiere die Strategie A, die zwischen dem sog. Füllstands- und dem Online-Betrieb unterscheide. Der Online-Modus werde aktiviert, wenn die Abgastemperaturen eine bestimmte Höhe erreicht hätten, was nur außerhalb des NEFZ geschehen könne. Diese Programmierung sei darauf ausgelegt, die Typgenehmigungsbehörde zu täuschen. Er wiederholt seinen Vortrag zur „Strategie B“, die „sicher im NEFZ starte“ und dort eine „Erhöhung der AGR-Raten“ bewirke, aber nach einer bestimmten Zeitdauer abgeschaltet werde.
26Der Kläger nimmt Bezug auf das Gutachten des U., dem er entnimmt, dass auch der Motor seines Fahrzeugs entweder im „(sauberen) Ammoniaklastmodus oder im (schmutzigen) Alternativmodus“ arbeite, in dem AdBlue nur in solchen Mengen eingesetzt werde, „die zur Reduktion der aktuellen Stickoxidlast erforderlich“ seien. Damit werde der „Zielwirkungsgrad für die meisten Betriebsbedingungen auf unter 60%“ begrenzt. Fahrzeuge der Beklagten mit SCR-Katalysator enthielten insgesamt 8 Abschalteinrichtungen (u.a. Erzwingung des „Alternativmodus“ durch einen bestimmten Abgas- sowie Stickoxidmassenstrom, eine bestimmte Ansauglufttemperatur, einen bestimmten durchschnittlichen AdBlue-Verbrauchswert, ferner Reduzierungsmechanismen der AGR-Rate).
27Er behauptet des Weiteren, die Beklagte wende „künstliche Alterungsfaktoren“ an, infolge derer die Schwellenwerte für das Eingreifen von Abschalteinrichtungen deutlich abgesenkt würden.
28Das Landgericht habe verkannt, dass ihm ein Anspruch aus Gewährleistungsrecht zustehe. Er habe ausführlich zur Arglist vorgetragen; die Anforderungen an seinen Vortrag seien überspannt worden. Hingegen habe dem Landgericht der Vortrag der Beklagten ausgereicht, sie habe zum Zeitpunkt der Produktion angenommen, ihr Handeln sei nicht rechtswidrig gewesen. Seinem Vortrag, er sei vorsätzlich getäuscht worden, sei die Beklagte nicht entgegengetreten. Sie habe es auch abgelehnt, genau darzulegen, welche Informationen sie dem KBA im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens gegeben habe.
29Das Landgericht habe ferner verkannt, dass ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV i.V.m. Art. 18 der Richtlinie 2007/46/EG gegeben sei.
30Im Übrigen hafte die Beklagte auch aus § 826 BGB. Die Unzulässigkeit des Thermofensters ergebe sich u.a. aus Art. 3 Nr. 9 VO(EG) 692/2008, aus dem folge, dass erhöhte Emissionen auch bei niedrigen Umgebungstemperaturen nur für eine kurze Zeitspanne (400 s) zulässig seien. Im Übrigen trage die Beklagte auch die Darlegungs- und Beweislast für den Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 2 S. 1 lit. a) VO(EG) 715/2007. Der Kläger verweist u.a. auf zwischenzeitliche strafrechtliche Verurteilungen von Mitarbeitern der Beklagten sowie auf von der DUH veröffentlichte Unterlagen der V. GmbH, die belegten, dass u.a. der Beklagten die Gesetzwidrigkeit möglicher Programmierungen der Motorsteuerung bekannt gewesen sei.
31Er rügt, das Landgericht habe seinen Vortrag hinsichtlich der Manipulation des OBD nicht richtig gewürdigt; er habe gar nicht behauptet, dass es sich dabei um eine Abschalteinrichtung handele.
32Das Landgericht habe verfahrensfehlerhaft Zeugen- und Sachverständigenbeweis, letzteren zur Klärung der (behaupteten) negativen Folgen des Updates, nicht erhoben.
33Mit Schriftsatz vom 12.10.2023 erklärt der Kläger nunmehr, er verfolge keine Ansprüche aus der Rückabwicklung des Kaufvertrags mehr, sondern verlange Schadensersatz.
34In Bezug auf die SCR-Steuerung sei ein Verbotsirrtum der Beklagten nicht denkbar, da das KBA einen Rückruf ausgesprochen habe. Die Beklagte liefere auch keine Erklärung dafür, warum die Rückkehr in den Füllstandmodus nicht von vornherein vorgesehen worden sei. Es werde mit Nichtwissen bestritten, dass überhaupt eine Rückkehr in den Füllstandmodus vorgenommen werde; auch insoweit lege die Beklagte keine Nachweise vor.
35Auch im Hinblick auf das Thermofenster habe sich die Beklagte nicht in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden. Die Beklagte hätte den Prozess der Entscheidungsfindung offenlegen und darlegen müssen, warum sie nicht mit einer anderen Beurteilung der Gerichte habe rechnen müssen. Bei einer unklaren Rechtslage sei Fahrlässigkeit bereits dann anzunehmen, wenn der Verpflichtete sich erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich Zulässigen bewege, in dem er eine von der eigenen Einschätzung abweichende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit des fraglichen Verhaltens in Betracht ziehen müsse. Angesichts der Erwägungsgründe in der VO(EG) 715/2007 habe daher ein jeder (Hersteller) mit einer engen Auslegung der Ausnahmevorschriften in Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO(EG) 715/2007 rechnen müssen. Es könne auch nicht auf die Rechtsauffassung des KBA als einer lediglich nationalen Behörde abgestellt werden. Die Auffassung des Bundesgerichtshofs, wonach im Fall einer tatsächlichen oder hypothetischen Genehmigung der Typgenehmigungsbehörde ein unvermeidbarer Verbotsirrtum des Herstellers zu bejahen sei, sei unionsrechtswidrig und verlange eine erneute Vorlage an den EuGH. Auf eine hypothetische Genehmigung durch das KBA könne sich die Beklagte schon deshalb nicht berufen, weil das KBA überhaupt keine abschließende Entscheidung über die Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen getroffen, sondern sich mit den Herstellern auf freiwillige Maßnahmen geeinigt habe. Gegen einen Verbotsirrtum spreche auch, dass „mehrere Verrichtungsgehilfen“ der Beklagten mittlerweile rechtskräftig wegen Betrugs verurteilt worden seien.
36Der Kläger vertritt die Auffassung, der Differenzschadensersatzanspruch belaufe sich auf mindestens 15 % des (Brutto-)Kaufpreises. Im Fahrzeug kämen mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen zum Einsatz, sodass sich das Risiko eines Rückrufs und damit auch die Stilllegungsgefahr verdichtet habe. Auf den um den Differenzschaden „gekürzten“ Kaufpreis seien nur die Nutzungsvorteile anzurechnen, der „Restwert“ indes nur im Fall der Veräußerung des Fahrzeugs, zu der es hier nicht gekommen sei. Ohnehin sei die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, wonach sich der Differenzschaden in einem Bereich zwischen 5 und 15 % des Kaufpreises bewege, willkürlich und mit Unionsrecht unvereinbar, weshalb eine entsprechende Vorlage an den EuGH geboten sei.
37Der Kläger meint schließlich, er dürfe infolge der Antragsumstellung nicht mit einer Kostenquote belastet werden. In Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH zur teilweisen Klagerücknahme bei einer Stufenklage auf Grund verspäteter Auskunftserteilung ergebe sich ein materiellrechtlicher Anspruch auf Erstattung von Prozesskosten aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2 286 Abs. 1 BGB.
38Er beantragt,
391. die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Entschädigungsbetrag bezüglich des Fahrzeugs der Marke Mercedes-Benz GLC 220 D 4-Matic BlueTEC mit der Fahrzeugidentifikationsnummer FIN01 zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, der jedoch mindestens EUR 6.360,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit betragen muss,
402. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm für alle künftige Schäden, die aus einem Verstoß gegen §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV i. V. m. Art. 18 der Richtlinie 2007/46/EG Art resultieren und das Fahrzeug der Marke Mercedes-Benz mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) FIN01 betreffen, Schadensersatz zu zahlen,
413. die Beklagte zu verurteilen, ihm die durch die Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.613,24 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
424. festzustellen, dass die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.
43Die Beklagte beantragt,
44die Berufung zurückzuweisen.
45Sie wiederholt ihre Rechtsauffassung, wonach der Sittenwidrigkeitsvorwurf jedenfalls daran scheitere, dass keine „manipulative Prüfstanderkennung“ installiert sei, die ausschließlich im NEFZ die Abgasreinigung verstärkt aktiviere; eine solche sei auch nicht vom KBA beanstandet worden.
46Der Kläger sei bezüglich der Benennung von Abschalteinrichtungen schon seiner Darlegungslast nicht nachgekommen, woran auch der Erlass eines nicht bestandskräftigen Rückrufbescheids nichts ändere.
47Die (außen-)temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung (sog. Thermofenster) sei ohnehin nicht sittenwidrig; dem KBA sei der Einsatz auch bekannt gewesen. Das Thermofenster minimiere Risiken konkreter Betriebsgefahren, weshalb es unter Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a) VO(EG) 715/2007 falle.
48Auch das SCR-System des Fahrzeugs enthalte keine unzulässige Abschalteinrichtung. Durch den Wechsel zwischen Füllstands- und Online-Modus werde eine „Stabilisierung des Systems“ erreicht, wodurch der sonst drohende Ammoniakschlupf vermieden werden könne. Ein Wechsel in den Online-Modus finde im Übrigen nicht nach einer bestimmten Fahrtstrecke („Bit 15“) oder dem Ausstoß von 16 g Stickoxid („Bit 13“) bzw. unter bestimmten Temperatur- und Zeitumständen („Bit 14“) statt.
49Allerdings sei das Fahrzeug von dem „Ergänzungsbescheid“ des KBA vom 3.8.2018 erfasst, mit dem die Nebenbestimmungen aus dem Bescheid vom 23.5.2018 auf weitere Fahrzeuge ausgedehnt worden seien („Strategie A in vergleichbarer Ausprägung“). Das Fahrzeug des Klägers, das bereits in „Bit 13“ reversibel bedatet sei, so dass eine Rückkehr „innerhalb eines Zündungswechsels“ in den Füllstandmodus möglich sei, weise damit jedoch keine Abschalteinrichtung auf. Denn zum einen werde die „Wirksamkeit des SCR-Systems als integriertes Gesamtsystem“ erst durch das Zusammenwirken der beiden Modi definiert. Eine Differenzierung nach der Wirksamkeit der beiden Modi sei deshalb verfehlt. Zum anderen sei die absolute Reinigungsleistung des SCR-Systems im Fahrbetrieb auf der Straße regelmäßig höher als in der gesetzlichen Prüfung (Anh. III betr. Prüfung Typ 1 zur VO(EG) 692/2008), und zwar auch nach Erreichen des Stickoxid-Integrals.
50Die Beklagte wiederholt, eine „Strategie B“ betr. den sog. AGR-SCR-Effizienzausgleich sei im Fahrzeug des Klägers nicht vorhanden.
51Aber auch bei der KSR handele es sich nicht um eine Abschalteinrichtung. Sie bewirke, dass während des Motorwarmlaufs die „Sollwerttemperatur für das Kühlmittelthermostat“ unter bestimmten Betriebsbedingungen von 100° C auf 70° C abgesenkt werde. Dadurch entstünden weniger Stickoxid-Emissionen, doch bleibe auch eine höhere AGR-Rate länger möglich. Die KSR arbeite sowohl auf dem Prüfstand als auch im Realbetrieb „unter den für die Prüfung Typ 1 maßgeblichen Bedingungen im Grundsatz in gleicher Weise“; die Aktivierungsbedingungen seien nach Fahrzeug- und Motortyp unterschiedlich. Das KBA habe bestätigt, dass es sich nicht um eine Prüfstanderkennung handele und dass „die Funktionalität gleichermaßen im Prüfstandsbetrieb wie im realen Straßenverkehr festzustellen“ sei (letzteres in einer gerichtlichen Auskunft vom 26.4.2021). Doch sei den „Risikofeldern“ Ölverdünnung, Schmierverlust und Ablagerungen vorzubeugen. Die KSR-Steuerung sei für die Einhaltung der NOx-Grenzwerte im NEFZ auch nicht ausschlaggebend. Vielmehr halte das Fahrzeug die gesetzlichen Grenzwerte selbst dann ein, wenn die Funktion vollständig und ersatzlos deaktiviert sei, weshalb das KBA die KSR nicht als Abschalteinrichtung eingestuft habe. An dieser fehlenden Grenzwertkausalität scheiterten, so meint die Beklagte, jegliche deliktischen Ansprüche.
52Das Gutachten U. habe für das vorliegende Verfahren keine Relevanz, schon weil es ein Fahrzeug mit einem Motor aus der anderen Baureihe OM 642 betreffe und auch nicht auf Abgasmessungen basiere. Abgesehen davon belegten die Feststellungen auch nicht, dass eine prüfstandspezifische Regelung vorliege; keine einzige der von ihm festgestellten Programmierungen sei unzulässig.
53Die Ausführungen des Klägers unter Bezugnahme auf die V.-Unterlagen hätten keine Bedeutung für die Motorsteuerung seines Fahrzeugs; sie belegten auch nicht ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten, das sich auch nicht den Strafbefehlen des AG Böblingen entnehmen lasse.
54Die Annahme von Sittenwidrigkeit scheitere auch deshalb, weil sie bezüglich des Thermofensters, der KSR und auch der SCR-Steuerung einer vertretbaren Rechtsauffassung gefolgt sei und ohne Unrechtsbewusstsein agiert habe; überdies sei nicht ersichtlich, dass sie eine „strategische Entscheidung“ bezüglich der Implementierung von Abschalteinrichtungen getroffen habe, wie sie der BGH als notwendige Grundlage der Haftung der Volkswagen AG ansehe.
55Des Weiteren fehle es am Schädigungsvorsatz. Die „technischen Ausgestaltungsentscheidungen zum Emissionskontrollsystem“ im Fahrzeug des Klägers seien auf Mitarbeiterebene getroffen worden und nicht von verfassungsmäßig berufenen Vertretern.
56Schließlich habe der Kläger auch keinen ersatzfähigen Schaden erlitten, denn seinem Fahrzeug habe zu keinem Zeitpunkt ein Entzug der Zulassung oder die Stilllegung gedroht.
57Mit Schriftsatz vom 11.10.2023 führt die Beklagte aus, der Kläger habe keinen Anspruch aus §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i. V. m. §§ 6, 27 EG-FGV. Sie vertritt die Auffassung, die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV seien keine Schutzgesetze, schon weil es an einer den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG genügenden Ermächtigungsgrundlage fehle. Die Vorschriften seien im Übrigen auch nicht verletzt, weil die Übereinstimmungsbescheinigung zutreffend gewesen sei. Die weite Auslegung des BGH zum Inhalt der Übereinstimmungsbescheinigung sei nicht mit dem gesetzlich vorgegebenen Wortlaut der Übereinstimmungsbescheinigung vereinbar.
58Sie wiederholt, im Fahrzeug seien keine unzulässigen Abschalteinrichtungen enthalten. Zu Unrecht, nämlich unter Ausblendung von Art. 9 Abs. 1 S. 1 lit. a) RiLi 2007/46/EG, habe der BGH eine Tatbestandswirkung der Typgenehmigung verneint. Auch sei der Kläger seiner Darlegungslast nicht nachgekommen. So handele es sich auch beim Thermofenster, dessen Randbedingungen der Kläger im Übrigen nicht angegeben habe, nicht um eine Abschalteinrichtung. Denn mit der Auslegung der Abgasrückführung werde die Emissionskontrolle für die jeweiligen Betriebszustände erst definiert. Auch eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung ermögliche und definiere erst deren Wirkung; sie könne daher nicht zugleich als „Verringerung“ ihrer Wirksamkeit verstanden werden. Die Beklagte teilt nunmehr mit, die Abgasrückführung bei betriebswarmem Motor werde erst unterhalb von 14° C und oberhalb von 35° C Umgebungslufttemperatur schrittweise reduziert, eine (vollständige) Abschaltung der Abgasrückführung bei Unterschreitung bestimmter Temperaturen erfolge nicht. Sowohl bei 10° C als auch bei 5° C Umgebungstemperatur handele es sich um eine Reduktion von höchsten 40 % (bzw. 18 Prozentpunkten).
59Die Auslegung der Art. 3 Nr. 10, Art. 5 VO(EG) 715/2007 durch den EuGH im Urteil vom 14.7.2022 sei sinnwidrig, denn sie führe dazu, dass ein Hersteller sich dafür rechtfertigen müsse, wenn er die Emissionskontrollsysteme bei Optimalbedingungen mit erhöhtem Wirkungsgrad betreibe, weil dann der Betrieb mit geringerem Wirkungsgrad immer eine rechtfertigungsbedürftige Abschalteinrichtung darstelle. Privilegiert werde damit derjenige Hersteller, der trotz solcher Bedingungen, die eine höhere Emissionsminderung zuließen, diese – zu Lasten der Umwelt – nicht ausnutze. Jedenfalls sei der Tatbestand des Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a) der VO(EG) 715/2007 erfüllt, denn das Thermofenster diene dazu, eine „konkrete Gefahr beim Betrieb des Fahrzeugs“ zu vermeiden. Es bestehe ansonsten u.a. die Gefahr eines sog. Wasserschlags oder von Motorbränden, die jeweils zum sofortigen Stillstand des Motors führten.
60Ohnehin liege nach dem Aufspielen des Updates, das Erkenntnisse aus der Entwicklung neuer Motoren nutze, keine Abschalteinrichtung mehr vor.
61Auch die KSR stelle keine Abschalteinrichtung dar. Die Aktivierungsbedingungen gestatteten die Nutzung der Funktion in einem technisch sinnvollen Anwendungsbereich; außerhalb dieser Betriebsbedingungen habe die Funktion entweder nur einen reduzierten Effekt oder sei mit erhöhten Risiken behaftet, weshalb ein Dauerbetrieb nicht sinnvoll sei. Beim Begriff der Abschalteinrichtung bzw. bei deren Feststellung sei zwingend auch der sog. Trade-Off (nicht lineare Korrelation zwischen Senkung/Steigerung der NOx-Emissionen einerseits und der damit zugleich eintretenden Steigerung/Senkung von Verbrauch, Partikelemissionen und Versottung andererseits in Abhängigkeit von der Veränderung der Verbrennungstemperatur) im Hinblick auf andere Schadstoffe zu berücksichtigen, wie dies im Übrigen auch Gegenstand von Vorlagen des Landgerichts Duisburg an den EuGH (u.a. C-308/23) sei. Minderungen der Effizienz des Kontrollsystems bzgl. der Emission eines Schadstoffs könnten daher gerechtfertigt sein, wenn sich dadurch eine Erhöhung der Effizienz bzgl. eines anderen Schadstoffes ergebe. Angesichts des Fehlens gesetzlicher Vorgaben (jenseits der in der gesetzlichen Prüfung Typ 1 im NEFZ jeweils geregelten Grenzwerte aus der Tabelle 1 (Euro 5) bzw. 2 (Euro 6) in Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 715/2007) obliege es dem Hersteller, diesen Zielkonflikt in einer technisch vertretbaren Auslegung des Emissionskontrollsystems aufzulösen.
62Sollte der Senat gleichwohl in der KSR eine Abschalteinrichtung sehen, müsse er ein Sachverständigen-Gutachten einholen. Zu berücksichtigen sei auch, dass sich die KSR im Fahrzeug des Klägers – wie in allen von ihr produzierten Fahrzeugen der EU6-Norm – nicht als zur Einhaltung des Stickoxid-Grenzwerts relevant auswirke, wie das KBA auch aufgrund eigener Prüfungen festgestellt habe. Im Übrigen sei auch die „Absenkung der Kühlmitteltemperatur im Warmlauf“ durch das Update entfallen (II-454).
63Entsprechendes gelte für die SCR-Steuerung; auch insoweit bedürfe es der Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens, wenn der Senat darin eine Abschalteinrichtung sehe. Das sog. Bit 13, das der „Strategie A“ zugrunde liege, bestehe aus zwei „Teilelementen“, nämlich einer Schaltung über die SCR-Temperatur und einer über den Roh-NOx-Massenstrom. Die gerügte Funktionalität sei in den vom Ergänzungsbescheid erfassten Fahrzeugen jedoch nicht einheitlich ausgestaltet. Entgegen der Auffassung des KBA stellten jedoch weder die Nutzung unterschiedlicher Dosiermodi als solche noch die vom KBA beanstandeten Schaltbedingungen eine Reduktion der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems dar, sondern es handele sich allenfalls um eine nicht optimale Steuerung. Im Rahmen des Art. 3 Nr. 10 VO(EG) 715/2007 komme es im Übrigen entscheidend allein auf die absolute Reinigungsleistung an; maßgeblich sei also, dass das SCR-System im Realbetrieb deutlich mehr Stickoxide reinige als in der gesetzlichen Prüfung (II-463). Das einzige als Alternative in Betracht kommende NSK-System (Speicherkatalysator) sei im Realbetrieb bei weitem nicht so leistungsfähig wie das SCR-System. Im Übrigen sei die vom KBA monierte Steuerung des SCR-Systems ebenfalls nicht grenzwertrelevant.
64Ferner fehle es an der Kausalität etwaiger unzulässiger Abschalteinrichtungen für den (vermeintlich) zu teuren Erwerb, weil der Kläger jedenfalls von der Existenz des Thermofensters auch in Fahrzeugen der Beklagten durch mediale Berichterstattung informiert gewesen sei. Es komme hinzu, dass sie seit dem Geschäftsbericht 2016 vom 14.2.2017 kontinuierlich auf Risiken der Existenz von Funktionalitäten hingewiesen habe, die möglicherweise als unzulässig zu qualifizieren seien, womit sie ihr Verhalten in ausreichendem Maß geändert habe.
65Ein „etwaiger Vertrauensschaden“ sei ohnehin durch das von ihr angebotene und bereits am 22.11.2018 aufgespielte Software-Update, das die vom KBA gerügte „Strategie A in vergleichbarer Ausprägung“ entfernt habe, vollständig kompensiert worden. Auch der „Umfang des AGR-Betriebs“ sei durch das Update stark ausgeweitet worden (II-427).
66Schließlich falle ihr kein Verschulden zur Last. Ein etwaiger Verbotsirrtum sei unvermeidbar gewesen. Bezüglich des Thermofensters liege schon eine tatsächliche Genehmigung vor, und zwar konkludent durch Nichtrüge dieser Funktion im Fahrzeug des Klägers. Jedenfalls sei von einer hypothetischen Genehmigung auszugehen. Entsprechendes gelte im Hinblick auf die KSR.
67Der Kläger habe keinen Schaden wegen eines wirtschaftlich nachteiligen Vertrags erlitten. Ohnehin sei ein etwa verbleibender Rest-Schaden, der allenfalls in Höhe von 5 % des Kaufpreises bestehen könne, durch die Summe der anzurechnenden Fahrzeugnutzung (20.574,88 € auf der Basis einer vom Kläger zurückgelegten Fahrtstrecke von 115.954 km und einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km) und des verbleibenden Fahrzeug-Restwerts, der bei mindestens 27.000,00 € liege, vollständig aufgezehrt.
68Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der zu den Akten gereichten Anlagen Bezug genommen. Die Parteien haben den Kilometerstand des Fahrzeugs in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mit 130.192 zum 18.10.2023 unstreitig gestellt.
69B.
70Die Berufung erweist sich auch im jetzt noch verfolgten Umfang als nur teilweise begründet bzw. – im Hinblick auf den Feststellungsantrag – als unzulässig.
71I. Antrag auf Zahlung von (zumindest) 6.360,00 € (sog. Differenzschaden)
721.
73Der Antrag stellt eine (teilweise) Beschränkung des bisherigen Klageantrags dar, die jedoch gem. § 264 Nr. 2 ZPO zulässig ist; soweit der ursprünglich gestellte Zahlungsantrag nicht mehr verfolgt wird, liegt eine (teilweise) Berufungsrücknahme vor.
742.
75Der Kläger verfolgt nicht mehr den Rücktritt bzw. sonstige gewährleistungsrechtliche Ansprüche, sondern nur noch einen deliktischen Schadensersatzanspruch. Dieser besteht in Höhe von 2.916,97 €.
76a) §§ 826, 31 BGB
77Ein Anspruch des Klägers auf den kleinen Schadensersatzanspruch kann sich aus §§ 826, 31 BGB ergeben, doch fehlt es an den Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlage:
78Erforderlich wäre, dass die Beklagte mit der Ausrüstung bzw. dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Erwerber beging.
79Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln wie namentlich einer bewussten Täuschung, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann.
80Nach diesen Grundsätzen kann ein objektiv sittenwidriges Handeln der Beklagten nicht allein daraus abgeleitet werden, dass im Fahrzeug des Klägers Einrichtungen vorhanden sind, die die Abgasemissionen beeinflussen und möglicherweise als unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren sind. Der darin liegende Gesetzesverstoß wäre für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz der emissionsbeeinflussenden Einrichtungen im Verhältnis zum Kläger als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die verantwortlich handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der emissionsbeeinflussenden Einrichtung(en) in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (st. Rspr., z.B. BGH Hinweisbeschluss v. 14.3.2022, Az. VIa ZR 51/21, BeckRS 2022, 9432 Rn. 19, 20).
81Daraus folgt hier:
82aa) SCR-Steuerung
83Der Kläger behauptet selbst nicht, die „Strategie A“ sei prüfstandsspezifisch ausgestaltet. Für die Behauptung, die Umschaltung knüpfe an einen Ausstoß von 16 g Stickoxid, an eine bestimmte Wegstrecke oder an eine bestimmte Temperatur bzw. Betriebsdauer an fehlt es an greifbaren Anhaltspunkten. Auch ein eindeutiger Bezug dieser angeblichen Parameter zum NEFZ ist nicht erkennbar.
84Die Beanstandung durch das KBA als solche ist für die Annahme subjektiver Sittenwidrigkeit irrelevant; ein Moment der Täuschung trägt der Kläger selbst nicht vor.
85Der Annahme, die Beklagte habe mit Unrechtsbewusstsein agiert, steht jedenfalls ihre Auffassung entgegen, es komme nicht zu einer Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems im Sinn des Art. 3 Nr. 10 VO(EG) 715/2007, weil die absolute Reinigungsleistung auch im Online-Modus höher sei als im NEFZ.
86bb) „Strategie B“
87Der Kläger behauptet unter Verweis auf eine im Verfahren vor dem LG Hannover (Az. 4 O 256/18) vorgelegte Stellungnahme des KBA, dass die AGR-Rate nach Ablauf einer bestimmten Zeitdauer reduziert werde. Die Beklagte hat darauf verwiesen, das KBA habe mit Auskunft vom 31.5.2021 insoweit einen Irrtum eingeräumt (I-657). Diese Auskunft hat die Beklagte vorgelegt, so dass es für die Behauptung des Klägers nunmehr an greifbaren Anhaltspunkten fehlt.
88cc) Thermofenster
89Es liegt kein Hinweis auf ein sittenwidriges Verhalten vor, weil kein Anhaltspunkt für eine Täuschung des KBA besteht. Dass die Randbedingungen des Thermofensters so eng gezogen waren, es also praktisch nur im Betrieb „auf dem Prüfstand“ zur Abgasrückführung kommt, behauptet der Kläger selbst nicht.
90Die Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren waren ausreichend; aus Art. 3 Nr. 9 VO(EG) 715/2007 ergaben sich keine weitergehenden Erklärungspflichten.
91Im Übrigen lagen Entscheidungen des EuGH (namentlich Urt. vom 14.7.2022) im Hinblick auf die (Un-)Zulässigkeit eines Thermofensters im hier maßgeblichen Zeitraum noch nicht vor.
92dd) KSR
93An dieser Stelle kann offenbleiben, ob es sich bei der KSR in der konkreten Ausgestaltung im Fahrzeug des Klägers um eine gem. Art. 3 Nr. 10, 5 Abs. 1, 2 VO(EG) 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Der Kläger hätte, um darüber zu einer Haftung der Beklagten gem. § 826 BGB zu gelangen, weiter vorzutragen gehabt, aus welchen Gründen sie in Bezug auf die Verwendung der KSR sittenwidrig gehandelt habe. Abgesehen davon, dass er in seiner Berufungsbegründung auf die KSR gar nicht mehr zu sprechen kommt, genügen bereits die Ausführungen in erster Instanz dazu nicht.
94Das gilt auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs bereits dann schlüssig und erheblich ist, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen; die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind, was insbesondere dann gilt, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat. Eine Behauptung ist erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlichen Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können (u.a. BGH, Urt. vom 13.7.2021, Az. VI ZR 128/20, juris, Rn. 20 ff.; BGH, Urt. vom 16.9.2021, Az. VII ZR 190/20, juris, Rn. 21 ff.).
95(1)
96Es stellt ein Indiz für Sittenwidrigkeit in Gestalt einer Täuschung der Typgenehmigungsbehörden dar, wenn die KSR „prüfstandsbezogen“ arbeitet, also lediglich auf dem NEFZ-Prüfstand eine Reduzierung der Stickoxid-Emissionen bewirkt, außerhalb des Prüfstands aber nicht oder nicht in gleicher Weise.
97Der Kläger hat zwar erstinstanzlich (I-330ff.) eine solche Prüfstandsbezogenheit unter Bezug auf einen Bericht des T. vom 19.5.2019 (Anl. K22 – ein entsprechender Inhalt ist dem Dokument nicht zu entnehmen), einen Bericht des BR vom 10.2.2021, wonach das BMVI die KSR als prüfstandserkennende Abschalteinrichtung werte, sowie auf ein - ggf. noch vorzulegendes - Gutachten des R. „in einem Parallelverfahren vor dem Landgericht Stuttgart“ behauptet.
98Seinem diesbezüglichen Vortrag fehlt es gleichwohl an den erforderlichen greifbaren Anhaltspunkten:
99Ob sich der Bericht des BR bzw. die Mitteilung des BMVI auch auf den Fahrzeugtyp des Klägers bezieht, ist nicht erkennbar. Der BR-Artikel mit dem zitierten Inhalt („Die Kühlmittelsolltemperatur-Regelung funktioniert nach Aussagen von Mitarbeitern des KBA in Abhängigkeit von den Bedingungen des NEFZ.“) lässt weder einen Bezug zum Fahrzeug des Klägers noch eine Prüfstandsbezogenheit sicher erkennen (eine „Abhängigkeit von den Bedingungen des NEFZ“ schließt nicht aus, dass die KSR auch im Realbetrieb zum Einsatz kommt, wenn eben die Bedingungen denen des NEFZ entsprechen).
100Gleichfalls lässt der Kläger unerwähnt, auf welches Fahrzeug sich die Feststellungen im Gutachten R. beziehen. Auch wenn das Gutachten ein Fahrzeug mit einem Motor der Baureihe OM 651 betreffen sollte, lässt sich daraus eine Prüfstandsbezogenheit nicht herleiten. Der Kläger zitiert aus diesem Gutachten selbst, dass „erst nach 3276 Sekunden (54 Minuten) wieder auf die niedrigere Solltemperatur umgeschaltet“ werde (Bl. I-335). Bereits daraus folgt, dass die KSR nicht nur im NEFZ zum Einsatz kommt, sondern – wenn auch nach einem Ablauf von ca. 54 Betriebsminuten – auch im Realverkehr.
101Die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion H. vom 20.11.2019 (vom Kläger auszugsweise zitiert Bl. I-360) betrifft nach unwidersprochener Darstellung der Beklagten das Modell „Sprinter“ (aber mit OM 651). Zwar ist von einem Niedrighalten der Kühlwassertemperatur die Rede, wodurch außerhalb des NEFZ die AGR-Rate verringert werde. Dieser Zusammenhang ist unverständlich; eine Prüfstandsbezogenheit der KSR ist den Ausführungen jedenfalls nicht zu entnehmen.
102(2)
103Der Annahme von Sittenwidrigkeit steht jedenfalls entgegen, dass die Beklagte die KSR für nicht grenzwertkausal ansah, weshalb das KBA insoweit auch keinen Rückrufbescheid erließ.
104Die Auffassung, dass eine unerlaubte Abschalteinrichtung nur dann vorliege, wenn diese erforderlich ist, um auf dem NEFZ den Grenzwert einzuhalten, war nicht offensichtlich unzutreffend. Sie wurde noch geraume Zeit nach der Beantragung der (Emissions-)Typgenehmigung vom KBA und diversen Oberlandesgerichten vertreten. Ein Unrechtsbewusstsein, wie es für den Tatbestand des § 826 BGB erforderlich ist, ist damit nicht vereinbar.
105ee) Kühlerjalousie
106Der Kläger hat erstinstanzlich unter Bezugnahme auf das Gutachten R. auch die Existenz einer Programmierung behauptet, die auf dem Prüfstand infolge der Herabsetzung der Kühlmittelsolltemperatur auch die Kühlerjalousie öffne (I-336).
107Die Beklagte bestreitet, dass das Fahrzeug des Klägers überhaupt mit einer Kühlerjalousie ausgestattet sei. Da der Kläger keine anderen Anhaltspunkte für seine Behauptung benennt, handelt es sich um Vortrag ins Blaue, der prozessual unbeachtlich ist.
108ff) weitere acht Abschalteinrichtungen gem. Gutachten U.
109Das Gutachten U. bezieht sich auf Untersuchungen an einem Fahrzeug mit einem Motor aus der Baureihe OM 642. Es ist bereits deshalb nicht ersichtlich, dass daraus Rückschlüsse auf die Programmierung der Motorsteuerung im Fahrzeug des Klägers möglich sind.
110gg) OBD
111Die Ausführungen des Klägers werden den regulatorischen Anforderungen an ein OBD-System aus den von der Beklagten genannten Gründen nicht gerecht (s.a. unter lit. d)). Greifbare Anhaltspunkte für eine Fehlprogrammierung sind deshalb nicht erkennbar.
112Auch der BGH hat der (angeblichen) Fehlprogrammierung des OBD keine eigenständige Bedeutung im Rahmen des § 826 BGB beigemessen; jedenfalls dann, wenn die Motorsteuerung selbst keine Sittenwidrigkeit begründet, kann eine „darauf abgestimmte“ Programmierung des OBD diese Sittenwidrigkeit nicht begründen (BGH VI ZR 839/20 Tz. 20).
113hh)
114Jedoch kommt eine Sittenwidrigkeit bezüglich der Verwendung einer Abschalteinrichtung auch ohne Prüfstandsbezogenheit in Betracht, so namentlich dann, wenn andere Umstände für eine Täuschung der Typgenehmigungsbehörde vorliegen bzw. dafür greifbare Anhaltspunkte bestehen.
115Solche Anhaltspunkte können in (bewusst) falschen oder unvollständigen Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren zu sehen sein. Doch behauptet der Kläger schon nicht konkret, die es sei im Typgenehmigungsverfahren zu bewusst unwahren bzw. unvollständigen Angaben gekommen.
116Auch soweit der Kläger auf die Emissions-Messergebnisse der DUH bzw. der „Emissions analytics“ verweist, ergibt sich entgegen seiner Auffassung daraus kein Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagte dem KBA Abschalteinrichtungen verschwiegen hat. Es kann dahinstehen, ob die vom Kläger vorgetragenen Ergebnisse überhaupt für sein Fahrzeug Geltung beanspruchen, denn es ist bereits unklar, unter welchen Bedingungen sie zustande gekommen sind. Die Beklagte hatte bereits zum Zeitpunkt der Beantragung der Typgenehmigung keine Veranlassung, die Vorschriften des Art. 3 Nr. 10, Art. 5 VO(EG) 715/2007 dahin zu verstehen, dass die Emissionen unter allen im gewöhnlichen Fahrbetrieb vorkommenden (Leistungs-)Anforderungen gleich hoch sein müssten.
117b) §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 Abs. 1 StGB
118Aus den vorgenannten Gründen lässt sich dem Vortrag des Klägers auch nicht entnehmen, die Beklagte habe mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs die Erwerber bewusst darüber getäuscht, dass eine bestandskräftigte Typgenehmigung gar nicht vorliege. Eine derartige Täuschung wäre Voraussetzung für die Annahme eines Betrugs.
119c) § 831 Abs. 1 S. 1 BGB
120Es ist nicht erkennbar, dass Verrichtungsgehilfen der Beklagten in Bezug auf das vom Kläger erworbene Fahrzeug mit Täuschungsabsicht handelten und sich mit dem Inverkehrbringen eines Betrugs schuldig gemacht haben.
121Die Strafbefehle des Amtsgerichts Göppingen beziehen sich zwar auch auf den Fahrzeugtyp, den der Kläger erworben hat, doch sind die im Strafbefehl enthaltenen tatsächlichen Feststellungen jedenfalls für die Parteien dieses Rechtsstreits nicht bindend. Der Annahme einer Täuschungsabsicht stehen vielmehr auch in Bezug auf die Verrichtungsgehilfen die o.g. Aspekte entgegen.
122d) §§ 823 Abs. 2 BGB in Verb. mit 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV
123Ein Anspruch des Klägers auf den Differenzschaden ergibt sich jedoch aus einem fahrlässigen Verstoß der Beklagten gegen §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV.
124aa)
125Bei den Vorschriften der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV handelt es sich nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart um Vorschriften, die das unionsrechtlich geschützte Interesse, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Herstellers gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinn der Differenzhypothese zu erleiden, realisieren (BGH, Urt. vom 26.6.2023, Az. VIa ZR 335/21, Tz. 32).
126Die gegen diese Rechtsnatur der genannten Vorschriften gerichteten Angriffe der Beklagten, wonach der Bundesgerichtshof zu Unrecht von den Vorlagevoraussetzungen an den EuGH für dessen Entscheidung vom 21.3.2023 ausgegangen sei, haben keinen Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat diese Voraussetzungen in seinem Urteil vom 26.6.2023 (Az. VIa ZR 335/21) offensichtlich als bestehend angesehen. Dass er insoweit einer rechtlichen Fehleinschätzung unterlegen wäre, ist nicht ersichtlich. Abgesehen davon liefe die Funktion des EuGHs in Bezug auf eine verbindliche Auslegung unionsrechtlicher Normen weitgehend leer, wenn mit einer Infragestellung der Vorlagevoraussetzungen die Verbindlichkeit einer Entscheidung des EuGH negiert werden könnte.
127Im Übrigen fehlt es auch nicht an einer Ermächtigungsgrundlage gem. Art. 80 Abs. 1 GG für die hier in Rede stehende Schutzgesetzverletzung (s.a. BGH, Urt. vom 20.7.2023, Az. III ZR 267/20 Tz. 23).
128bb)
129Die Beklagte hat mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs gegen §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV verstoßen.
130Ein solcher Verstoß liegt vor, wenn eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung erteilt wird. Eine Übereinstimmungsbescheinigung weist nicht nur die Übereinstimmung des konkreten Fahrzeugs mit dem genehmigten Typ, sondern auch die Übereinstimmung mit allen Rechtsakten nach, also auch mit Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO(EG) 715/2007, und folglich mit den materiellen Voraussetzungen für eine (Typ-)Genehmigung (BGH, a.a.O., Tz. 34).
131Die Erwägungen der Beklagten, mit der sie die Richtigkeit dieser Erwägungen in Abrede stellt, folgt der Senat nicht, sondern sieht sich an die vom BGH erkannte Auslegung durch den EuGH gebunden.
132Das Fahrzeug weist Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 3 Nr. 10 VO(EG) 715/2007 auf, die nicht unter die Ausnahmeregelungen des Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO(EG) 715/2007 fallen:
133(1) SCR-Steuerung, wohl auch „Strategie A“ bzw. „Strategie A in vergleichbarer Ausprägung“
134Das Fahrzeug unterliegt einem Rückruf, nach unwidersprochener Darstellung der Beklagten wegen der SCR-Steuerung (Nichtrückkehr bzw. zu seltene Rückkehr in den Füllstandmodus; „Bit 13“).
135Nach Auffassung des Senats handelt es sich hierbei um eine Abschalteinrichtung gem. Art. 3 Nr. 10 VO(EG) 715/2007.
136Die Beklagte hat im Schriftsatz vom 11.10.2023 zu den Schaltbedingungen, unter denen ein Wechsel in den Onlinemodus bzw. ein Wechsel zurück in den Füllstandmodus stattfindet, vorgetragen und dargelegt, dass diese Bedingungen zwar in den meisten Fällen vom Erreichen eines bestimmten Stickoxid-Integrals abhängen, aber in den Fahrzeugmodellen unterschiedlich ausgestaltet sind. Entgegen ihrer Ankündigung hat sie dabei nicht dargelegt, wie die Schaltbedingungen im Fahrzeug des Klägers aussehen. Es gilt also bereits nach eigener Darstellung der Beklagten, dass anhand bestimmter Parameter auf die AdBlue-Dosierung Einfluss genommen wird. Unstreitig kommt es im Onlinemodus zu einer geringeren AdBlue-Dosierung. Diese hat auch eine Verringerung jedenfalls der relativen Wirkung des SCR-Systems zur Folge. Sie führt unter bestimmten üblichen Betriebszuständen zu höheren Stickoxid-Emissionen, als sie – unter eben diesen Betriebszuständen - im Fall der Beibehaltung der höheren AdBlue-Dosierung (sog. Füllstandmodus) einträten, wie die Beklagte selbst einräumt (z.B. Schriftsatz vom 21.8.2023, Ziff. 9. - Bl. II-379 d.A.).
137Die Argumente der Beklagten, mit denen sie eine Abschalteinrichtung in Abrede stellt, überzeugen nicht:
138(a)
139Ihr Argument, es handele sich bei der SCR-Steuerung um ein einheitliches System, das es nicht erlaube, zwischen den beiden Modi zu unterscheiden, kann nicht über den Regelungsgehalt des Art. 3 Nr. 10 VO(EG) 715/2007 entscheiden. Dass es sich bei der Regelung des SCR-Katalysators konzeptionell um eine inhaltlich zusammenhängende und in sich abgestimmte Regelung handelt, steht der Anwendung des Art. 3 Nr. 10 VO(EG) 715/2007 nicht entgegen, weil „die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems“ auch dann tangiert wird, wenn lediglich einzelne Funktionen des SCR-Systems (namentlich im Sinn einer Aktivierung oder Deaktivierung) angesprochen werden, hingegen nicht erst, wenn das SCR-System „als Ganzes“ aktiviert oder deaktiviert wird. Anderenfalls hinge die Anwendung des Art. 3 Nr. 10 VO(EG) 715/2007 von der – offensichtlich nicht vorgesehenen – Kategorie der „Einheitlichkeit“ einer bestimmten technischen Regelung/Programmierung ab.
140(b)
141Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, es handele sich nicht um eine Abschalteinrichtung, weil die „absolute Reinigungsleistung“ auch im Online-Modus nicht unter diejenige falle, die das SCR-System im NEFZ (wohl im Füllstandmodus) erbringe. Denn die von Art. 3 Nr. 10 VO(EG) 715/2007 erwähnte Reduzierung der „Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems“ tritt bereits immer dann ein, wenn – unter (jeglichen) Bedingungen des normalen Fahrzeugbetriebs - ohne die betr. Veränderung (hier Umschaltung in den Online-Modus) die Stickoxid-Emissionen geringer wären als mit der Veränderung. Auf die Verhältnisse im NEFZ kommt es dabei nicht an (BGH, Urt. vom 26.6.2023, Az. VIa ZR 335/21, Tz. 51), weshalb auch ein Vergleich mit den Stickoxidemissionen im NEFZ unbehilflich ist.
142Anders wäre es, wenn der Füllstandmodus gegenüber dem Online-Modus keine verstärkte Reduzierung der Stickoxidemissionen (mehr) bewirken könnte, etwa weil bereits im Onlinemodus sämtliche Möglichkeiten des SCR-Katalysators zur Umsetzung der Stickoxidmoleküle ausgeschöpft wären (so etwa, wenn infolge der hohen Katalysatortemperatur ohnehin die Konvertierungsmöglichkeiten sinken, eine erhöhte Dosierung von AdBlue also „ins Leere“ liefe (bzw. zum „Ammoniakschlupf“ führte).
143Auf einen solchen Sachverhalt verweist die Einlassung der Beklagten (Bl. II-468), wonach „für eine Rückschaltung kein technischer Anlass“ bestehe, „solange die Speicherkapazität des Katalysators bei hohen Katalysatortemperaturen vermindert bzw. die Sättigung des Katalysators erreicht“ sei; die „Speicherkapazität“ bleibe „im laufenden Fahrbetrieb nach Erwärmung des Systems regelmäßig auf niedrigem Niveau“. Diese Einlassung ist jedoch nicht dahin zu verstehen, die betreffende SCR-Steuerung habe bereits eine Rückkehr in den Füllstandsmodus in allen technisch möglichen Fällen vorgesehen.
144Im Übrigen ergibt sich ein solcher Sachverhalt auch nicht aus den Ausführungen im Schriftsatz vom 21.8.2023 (dort u.a. Ziff. 16ff. – Bl II-380ff.). Der sich bei einem – nach Darstellung der Beklagten vergleichbaren – GLC 250 4MATIC (OM 651) im sog. 8-fach NEFZ ergebende NOx-Ausstoß liegt im Onlinemodus über dem Ausstoß im Füllstandmodus, mag auch die absolute Reinigungsleistung jeweils höher als im NEFZ sein.
145(c)
146Entgegen der Auffassung der Beklagten bedarf es weder zur Frage, ob das Thermofenster eine Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 VO(EG) 715/2007 darstellt, noch zur Frage, ob ein Ausnahmetatbestand gem. Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO(EG) 715/2007 vorliegt, der Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens. Es geht vielmehr um eine Rechtsanwendung auf einen feststehenden Sachverhalt.
147(2) „Strategie B“
148Wie bereits dargelegt, fehlt es für die Behauptung des Klägers, es existiere auch eine „Strategie B“, an greifbaren Anhaltspunkten.
149(3) Thermofenster
150Es existiert ein Thermofenster, dessen Randbedingungen in der Berufungsinstanz von der Beklagten (II-439) näher bezeichnet werden (schrittweise Reduzierung der Abgasrückführung bei betriebswarmem Motor erst unterhalb von 14° C und oberhalb von 35° C Umgebungslufttemperatur; keine Abschaltung bei tieferen Temperaturen, bei höheren Umgebungstemperaturen erst bei theoretischen 99° C; sowohl bei 10° C als auch bei 5° C Umgebungstemperatur Reduktion von höchsten 40 % (bzw. 18 Prozentpunkten)). Bereits aufgrund dieser von der Beklagten eingeräumten Randbedingungen ist die Definition einer Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 VO(EG) 715/2007 erfüllt.
151Die Beklagte verteidigt sich dagegen im Wesentlichen mit zwei Argumenten, die beide nicht durchgreifen:
152(a)
153Sie macht geltend, die Ausnutzung eines bestimmten Temperaturbereichs für eine volle AGR-Rate – zwecks möglichst hoher Emissionsreduzierung – dürfe einem Hersteller nach Sinn und Zweck der VO(EG) 715/2007 nicht zur Last fallen. Denn es sei widersinnig, dass eine solche Ausnutzung dazu führe, dass diesem Hersteller die Verringerung der AGR-Rate, die unter ungünstigeren Bedingungen eintrete, als Abschalteinrichtung zur Last gelegt werde, während derjenige Hersteller, der den „günstigen“ Temperaturbereich nicht entsprechend ausnutze, sondern die AGR-Rate so niedrig belasse, wie er sie auch außerhalb des betreffenden Bereichs anwende, keine Abschalteinrichtung verwende (Bl. II-436).
154Diese Konsequenz ist in der Regelung des Art. 3 Nr. 10 VO(EG) 715/2007 angelegt und hinzunehmen: Sofern das Fahrzeug unter den Bedingungen des NEFZ die betreffenden Grenzwerte einhält, darf es durchaus unter anderen „normalen“ Betriebsbedingungen höhere Emissionen produzieren, denn es ist dem Hersteller nicht auferlegt, diese durch technisch mögliche Steuerungen weiter zu reduzieren. „Verboten“ ist es hingegen, mittels der in Art. 3 Nr. 10 genannten Eingriffe auf die (Gesamt-)Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems – negativ – Einfluss zu nehmen, wenn diese Einflussnahme nur unter bestimmten Betriebsbedingungen erfolgt und eine solche Einflussnahme nicht gleichzeitig durch die Aktivierung weiterer Emissionsvermeidungsstrategien kompensiert wird (dabei ist zu bedenken, dass sich auch eine zunächst positive Einflussnahme stets insoweit als negativ erweist, als sie im Fall des Verlassens bestimmter Betriebsbedingungen in den „alten“ emissionsträchtigeren Modus „zurückfällt“).
155(b)
156Die Beklagte meint, es greife der Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO(EG) 715/2007 ein, weil ohne das Thermofenster Schäden am Motor u.a. durch Ölverdünnung und Überhitzung von Bauteilen und ferner Unfälle zu erwarten seien. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a) VO(EG) 715/2007 nicht erfüllt.
157Der Sache nach macht die Beklagte geltend, das (auch) von ihr genutzte System der Abgasrückführung weise immanente technische Grenzen auf, die eine Reduzierung u.a. in Abhängigkeit von bestimmten (Außen-)Temperaturen erforderten. Solche (ggf.) existierenden Randbedingungen in technischer Hinsicht gestatten jedoch keine Verringerung der Wirksamkeit der Abgasrückführung, weil dies – wie dargelegt – von Art. 3 Nr. 10 VO(EG) 715/2007 nicht zugelassen wird, es sei denn, die damit bewirkte Erhöhung der Stickoxidemissionen werde durch eine andere/weitere Emissionsstrategie aufgefangen, wofür nichts ersichtlich ist.
158Dem entspricht es, dass nach dem Verständnis des EuGH (Urt. vom 17.12.2020, Az. C-693/18, Rn. 109 f. und Urt. vom 14.07.2022, Az. C-145/20, Rn. 64) eine die Wirkung des Emissionskontrollsystems verringernde Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a) VO 715/2007/EG nicht bereits dann zulässig ist, wenn sie lediglich vor im Prinzip vorhersehbaren und der normalen Funktionsweise der Abgasrückführung innewohnenden Folgen schützt (OLG Karlsruhe Urt. v. 15.9.2023 – 8 U 383/21, BeckRS 2023, 24828 Rn. 49, beck-online).
159(c)
160Die Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens ist auch in diesem Zusammenhang nicht erforderlich (Ziff. (1)).
161(4) KSR
162Auch bei der KSR handelt es sich um eine Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 VO(EG) 715/2007.
163Die KSR-Regelung, die in der von bestimmten Bedingungen abhängigen Initialisierung einer gesonderten Aufheizung (und damit bewirkten Öffnung) der ohnehin temperaturabhängigen Verbindung zum großen Kühlkreislauf besteht, ist auch nach Darstellung der Beklagten nicht stets (d.h. in jeder Aufwärmphase des Motors) aktiv, sondern unterbleibt unter bestimmten Bedingungen, obwohl ihre weitergehende Aktivierung technisch möglich wäre. Insoweit handelt es sich um eine Deaktivierung eines Teils des Emissionskontrollsystems im Sinne von Art. 3 Nr. 10 VO(EG) 715/2007.
164Die Argumente der Beklagten stehen dieser Betrachtung nicht entgegen:
165(a)
166Die Beklagte trägt vor, außerhalb der Betriebsbedingungen habe die Funktion entweder nur einen reduzierten Effekt oder sei mit erhöhten Risiken behaftet (II-442).
167Auch wenn die KSR aus technischen bzw. physikalischen Gründen nur unter bestimmten Bedingungen (nämlich solange das Kühlmittel im großen Kühlkreislauf noch eine erheblich geringere Temperatur als das im kleinen Kühlkreislauf aufweist) wirksam werden kann, behauptet die Beklagte selbst nicht, dass „ihre“ KSR diese Bedingungen lediglich nachvollziehe, also das (technische) Potential einer Herabsetzung der Verbrennungstemperatur ausschöpfe (das folgt bereist daraus, dass sie darlegt, die KSR werde nicht unter Bedingungen aktiviert, bei denen nur ein – nicht näher quantifizierter – „reduzierter Effekt“ eintrete).
168(b)
169Die Beklagte beruft sich ferner auf den zwingenden Zusammenhang zwischen der Motor- bzw. Verbrennungstemperatur und der Masse der entstehenden Stickoxide einerseits und der CO2- sowie der Partikelemissionen andererseits (Veränderung des Verhältnisses bezeichnet als Trade-Off). Sie meint, auch die Abschaltung der KSR unter bestimmten Bedingungen stelle insoweit keine Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems im Sinne von Art. 3 Nr. 10 VO(EG) 715/2007 dar, weil sie eine Reduzierung der anderen Emissionen bewirke. Das gelte erst recht deshalb, weil die KSR in einem besonders günstigen „Abschnitt“ der nicht linearen Relation zwischen Stickoxiden und den gen. anderen Emissionen eingreife. Die Beklagte erwähnt in diesem Zusammenhang drei beim EuGH auf Vorlage des Landgerichts Duisburg anhängige Verfahren (u.a. C-308/23 und C-251/23).
170Nach Auffassung des Senats ist keine Aussetzung des vorliegenden Verfahrens im Hinblick auf die genannten Verfahren vor dem EuGH geboten. Die Auslegung der VO(EG) 715/2007 (Anhang I „Emissionsgrenzwerte“) sowie der VO(EG) 692/2008 (Anhang III „Prüfung der durchschnittlichen Abgasemissionen bei Umgebungstemperaturen (Prüfung Typ 1)“ unter ergänzendem Verweis auf die UN/ECE-Regelung Nr. 83) ergibt, dass angesichts der spezifischen Grenzwerte für die dort genannten (Emissions-)Schadstoffe eine Kompensation nur innerhalb einer jeweiligen Schadstoffgruppe gestattet ist (so bereits OLG Hamm, Urt. vom 13.9.2023, Az. 30 U 81/21, Tz. 115). Es ist hingegen nichts dafür ersichtlich, dass der Verordnungsgeber eine „schadstoffgruppenübergreifende Verrechnung“ zulassen wollte, zumal es an einem jeglichen Modus für eine solche Kompensationsmöglichkeit fehlt.
171Darüber hinaus trägt die Beklagte auch nicht dazu vor, inwieweit die KSR den von ihr als zulässig angesehenen „Trade-Off“ tatsächlich im Sinn einer Kompensation bewerkstelligt.
172(c)
173Die Beklagte kann sich bezüglich der KSR auch nicht auf einen Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs. 2 S. 2 lit. a) VO(EG) 715/2007 berufen. Sie behauptet „bei übermäßigem Einsatz“ der KSR „Risiken für … sicheren Betrieb“ (Bl. I-473), ferner in der Berufungsbegründung (II-246f.) die Gefahren „Ölverdünnung“, „Schmierverlust“ und „Ablagerungen“. Diese Ausführungen erfüllen weder für sich betrachtet noch in ihrem Zusammenhang den Gefahrbegriff des EuGH. Auch hier geht es in der Sache nur um die Vermeidung von nachteiligen Folgen, die mit der KSR als solche verbunden sind (s.o.).
174Darüber hinaus ist auch nicht der Tatbestand des Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. b) VO(EG) 715/2007 („die Einrichtung nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist“) erfüllt, weil die KSR nicht auf die Phase des Anlassens des Motors beschränkt ist (s.a. OLG Hamm, Urt. vom 1.9.2023, Az. 30 U 78/21).
175(d)
176Aus den bereits unter (1) genannten Gründen bedarf es auch bezüglich der KSR und deren Qualifizierung als nicht von Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO(EG) 715/2007 gedeckter Abschalteinrichtung nicht der Einschaltung eines Sachverständigen.
177(5) Kühlerjalousie(-steuerung)
178Die Behauptung des Klägers ist, wie bereits dargelegt, ohne greifbare Anhaltspunkte erfolgt (sie nimmt eine Feststellung aus dem Gutachten U. auf, das einen anderen Fahrzeugtyp betraf; die Beklagte stellt die Existenz einer Kühlerjalousie in Abrede).
179(6) weitere „acht“ Abschalteinrichtungen gem. Gutachten U.
180Auch insoweit handelt es sich um eine Behauptung des Klägers ins Blaue hinein, denn es fehlt an einem hinreichenden Bezug zu seinem Fahrzeug. Das vom Kläger angeführte Gutachten betrifft ein Fahrzeug mit einem Motor der Baureihe OM 642.
181(7) OBD-Programmierung
182Ferner rügt der Kläger konkret die OBD-Programmierung; er macht geltend, die Überschreitung der OBD-Werte werde nicht angezeigt.
183Es handelt sich zwar nicht um eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 VO(EG) 715/2007, doch kann die Übereinstimmungsbescheinigung (auch) dahin zu verstehen sein, das Fahrzeug sei mit einem vorschriftsmäßigen OBD-System ausgestattet.
184Doch hat der Kläger nicht dargelegt, dass sein Fahrzeug insoweit nicht regelungskonform ausgestattet ist. Entgegen seiner Auffassung hat das OBD-System nicht die Aufgabe, die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte der Prüfung Typ 1 (Anhang I Anl. 3 zur VO(EG) 692/2008) zu kontrollieren. Es gelten vielmehr besondere OBD-Schwellwerte (Anhang XI Ziff. 2.3ff), deren Überschreitung auch nur unter den Bedingungen des NEFZ anzuzeigen war. Dass die Programmierung des OBD diesen Anforderungen nicht genügte, trägt der Kläger schon nicht nachvollziehbar vor.
185cc)
186Soweit Abschalteinrichtungen im Fahrzeug des Klägers zum Zeitpunkt seines Erwerbs enthalten waren, handelte die Beklagte fahrlässig.
187(1)
188Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, sie habe die Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einer Art und Weise bekanntgegeben, die eine allgemeine Kenntnisnahme erwarten lasse (BGH, Urt. vom 26.6.2023, a.a.O., Tz. 61). Der Hinweis auf mögliche behördliche Beanstandungen von Fahrzeugen in den Geschäftsberichten der Beklagten genügt dazu nicht.
189(2)
190Im Fall der Verletzung eines Schutzgesetzes trifft den Schädiger die Vermutung schuldhaften Verhaltens, von der er sich zu entlasten hat, und zwar bezogen auf den Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch den Geschädigten (BGH, Urt. vom 26.6.2023, a.a.O., Tz. 59, 61, s.a. Urt. vom 25.9.2023, Az. VIa ZR 1/23, juris Tz. 13). Der Fahrzeughersteller muss darlegen und beweisen, dass sich sämtliche seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB über die Rechtmäßigkeit der vom Käufer dargelegten und erforderlichenfalls nachgewiesenen Abschalteinrichtung mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 der VO(EG) 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten im maßgeblichen Zeitpunkt des Erwerbs im Irrtum befanden oder im Falle einer Ressortaufteilung den damit verbundenen Pflichten genügten. U.a. scheitert eine Entlastung, wenn sich der Hersteller mit Rücksicht auf eine nicht in seinem Sinn geklärte Rechtslage erkennbar in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte, schon deshalb eine abweichende rechtliche Beurteilung seines Vorgehens in Betracht ziehen und von der eventuell rechtswidrigen Verwendung der Abschalteinrichtung absehen musste (BGH, Urt. vom 25.9.2023, a.a.O., Tz. 14).
191Die Beklagte hat keinen entsprechenden Vortrag gehalten. Erforderlich wäre die Darstellung gewesen, dass sich ihre (sämtlichen) Repräsentanten auch Anfang 2017 noch in einem Irrtum über die mögliche Ausstattung des Fahrzeugs mit Abschalteinrichtungen befanden. Auch im Hinblick auf die seit Ende 2015 sogar öffentlich geführte Diskussion um die Vorschriften der Art. 3, 5 VO(EG) 715/2007 hätte es also der Darlegung bedurft, dass und aus welchen Gründen sie auch zu diesem Zeitpunkt noch von einer materiellrechtlichen Konformität ihrer Fahrzeuge oder von der Bestandskraft einer erteilten Typgenehmigung ausgingen, ohne die Möglichkeit deren Wegfalls zu erwägen.
192Soweit die Beklagte die Auffassung vertritt, „in den Fallgruppen der tatsächlichen und hypothetischen Genehmigung einer Funktion durch das KBA“ sei „das konkrete Vorstellungsbild von der Rechtmäßigkeit der Funktion (Fehlvorstellung der Beklagten) … nicht näher zu begründen“, ist dem nicht zu folgen, denn die Frage eines Irrtums ist zu klären, bevor etwaige Genehmigungstatbestände zu berücksichtigen sind (a.a.O, Tz. 15). Nur im Fall eines Irrtums kommt die Beklagte in Bezug auf vorhandene Abschalteinrichtungen überhaupt zum „Privileg“ einer bloßen Fahrlässigkeitshaftung. Stellt sie den Irrtum in Abrede, haftete sie hingegen aus Vorsatz. Die - ggf. sogar - begründete Erwartung, das KBA wende die maßgeblichen Vorschriften unzutreffend an, änderte an einem Vorsatz der Beklagten nichts.
193Selbst wenn sich die maßgeblichen Repräsentanten der Beklagten jedoch in einem Irrtum befunden haben sollten, ließe sich darauf jedenfalls in Bezug auf die SCR-Steuerung keine Entlastung stützen. Insoweit ist weder eine tatsächliche Genehmigung erfolgt noch bestand die Situation einer hypothetischen Genehmigung, denn das KBA hat die Funktionalität für unzulässig gehalten.
194dd)
195Der Senat hat keine Zweifel daran, dass der Kläger bei Kenntnis der Ausstattung des Fahrzeugs mit den genannten Abschalteinrichtungen von einem Erwerb jedenfalls zum vereinbarten Preis Abstand genommen hätte. Es besteht die Vermutung, dass der Erwerber eines (werthaltigen) Fahrzeugs dieses für geraume Zeit ohne behördliche Auflagen oder Einschränkungen nutzen und ohne einen auf solchen (möglichen) Komplikationen beruhenden Minderwert auch weiterveräußern können möchte (s.a. BGH, Urt. vom 26.6.2023, a.a.O., Tz. 55f.).
196Soweit die Beklagte darauf verweist, der Kläger hätte in Kenntnis des Umstands, dass jeder Hersteller von Dieselfahrzeugen ein Thermofenster programmiert habe, gleichwohl seine Kaufentscheidung getroffen, entkräftet dies die betreffende Vermutung schon deshalb nicht, weil das hier in Rede stehende Fahrzeug noch andere Abschalteinrichtungen aufwies.
197ee)
198Der Differenzschaden ist – vorbehaltlich des Vorteilsausgleichs - auf 10 % des Kaufpreises, also zunächst auf 4.240,00 €, zu bemessen.
199Abzustellen ist insbesondere auf das Risiko behördlicher Anordnungen, den Umfang in Betracht kommender Betriebsbeschränkungen und deren Eintrittswahrscheinlichkeit unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände, und zwar bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Daneben ist das Gewicht des der Haftung zugrundeliegenden konkreten Rechtsverstoßes für das unionsrechtliche Ziel der Einhaltung gewisser Emissionsgrenzwerte sowie der Grad des Verschuldens nach Maßgabe der Umstände des zu beurteilenden Einzelfalls zu bewerten, um so dem Gebot einer verhältnismäßigen Sanktionierung auch bezogen auf den zu würdigenden Einzelfall Rechnung zu tragen (BGH, Urt. vom 26.6.2023, a.a.O., Tz. 76f.).
200Nach diesen Maßstäben bestand im Zeitpunkt des Erwerbs Ende Mai 2017 durchaus ein Risiko behördlicher Maßnahmen in Bezug auf den Betrieb des Fahrzeugs; ein Update ist erst erhebliche Zeit später bereitgestellt worden, frühestens mit der behaupteten Freigabe vom 22.10.2019. Die Beklagte behauptet selbst nicht, dass bereits in der Zwischenzeit Updates zur Verfügung gestanden hätten, die Gefahr behördlicher Maßnahmen, die jedenfalls theoretisch bis zur Stilllegung hätten reichen können, signifikant reduziert hätten (BGH, a.a.O., Tz. 80).
201Allerdings fällt der Beklagten in Bezug auf die Abschalteinrichtung lediglich Fahrlässigkeit zur Last; der Umfang der durch die betreffenden Programmierungen bewirkten Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems lässt sich nicht näher bestimmen, liegt jedoch eher im unteren Bereich denkbarer Auswirkungen, weil trotz KSR und SCR-Steuerung die Abgasrückführung und –reinigung in wesentlichen Betriebsbereichen unbeeinflusst blieben. Auch die (von der Beklagten eingeräumten) Randbedingungen des Thermofensters haben die Abgasrückführung nur teilweise beschränkt.
202ff)
203Jedoch kann eine Vorteilsausgleichung unter zwei Aspekten, nämlich den (gezogenen) Nutzungen sowie dem gegenwärtigen Fahrzeugwert („Restwert“) einerseits und einem Update andererseits, geboten sein.
204(1)
205Dem (ungeminderten) Kaufpreis (42.400,00 €) sind der (gegenwärtige) Wert („Restwert“) des Fahrzeugs sowie die Nutzungsvorteile gegenüberzustellen.
206Der kompliziertere Rechenweg (Urt. des BGH vom 24.1.2022, Az. VIa ZR 100/21) geht indes von einer Betrachtung nur des Differenzschadens aus und fragt, inwieweit dieser durch Restwert und Nutzungsentschädigung „gedeckt“ ist, was der Fall ist, soweit Restwert und Nutzungsentschädigung in summa den (geminderten) Kaufpreis übertreffen.
207Danach ist eine Kürzung des Differenzschadens um 1.323,03 € auf 2.916,97 € - vorzunehmen:
208(a)
209Der Restwert des Fahrzeugs liegt nach Schätzung des Senats nicht über 22.000,00 €.
210Die Beklagte behauptet einen Restwert von zumindest 27.750,00 € anhand eines Internet-Fahrzeugangebots (Bl. II-513), das jedoch nicht aussagekräftig ist, weil es lediglich die Preisvorstellung eines „Privatanbieters“ wiedergibt.
211Die im Schriftsatz vom 6.11.2023 geäußerte Auffassung der Beklagten, der Kläger habe diese Behauptung nicht rechtzeitig bzw. nicht wirksam bestritten, ist unzutreffend. Der Kläger hatte mit Schriftsatz vom 12.10.2023 jegliche Berücksichtigung eines Restwertes in Abrede gestellt. Die erstmals im Schriftsatz der Beklagten vom 16.10.2023 enthaltenen Behauptungen zum Restwert durfte er daher in der mündlichen Verhandlung vom 19.10.2023 bestreiten. Die Beklagte ist im Übrigen hinsichtlich eines bestimmten Restwerts darlegungs- und beweispflichtig.
212Der Senat bleibt zudem bei seiner Auffassung, wonach sich der Wert eines marktgängigen Fahrzeugs im Grundsatz nach dem Preis richtet, den der Geschädigte bei der Inzahlunggabe bei einem seriösen Händler erzielen kann (u.a. OLG Saarbrücken, Urt. vom 29.9.2023, Az. 3 U 20/22 unter Hinweis auf BGH, Urt. vom 13.1.2009, Az. VI ZR 205/08).
213Das DAT-Bewertungsportal lässt einen Händler-Einkaufswert in einer Bandbreite zwischen 20.300,00 € („Standardausführung“) und 21.300,00 € („exclusive“) erkennen. Im Portal mobile.de werden von Händlern für entsprechende Fahrzeuge Preise von 25.900,00 € (EZ 04/2016, 125.000 km) bzw. 25.970,00 € (EZ 04/2016, 133.000 km;) aufgerufen (noch höhere Preise bei „AMG-Line“, wovon hier nicht auszugehen ist). Auch diese Beträge weisen auf einen Händler-Einkaufswert von ca. 22.000,00 €, wenn nämlich die Händlerspanne von (zumindest) 15 % vom verlangen Verkaufspreis in Abzug gebracht wird.
214Zu Unrecht meint die Beklagte, da sich der Kläger nicht zur Ausstattung seines Fahrzeugs geäußert habe, sei gleichsam von „Vollausstattung“ auszugehen. Die Beklagte war selbst Verkäuferin und hätte sich zu konkret werterhöhenden Ausstattungsmerkmalen äußern können, ohne dass der Bereich einer etwaigen sekundären Darlegungslast des Klägers berührt wird.
215(b)
216Der Nutzungsvorteil beträgt 17.483,03 €:
217Der exakte Kilometerstand per 18.10.2023 beläuft sich unstreitig auf 130.192.
218Zugrunde zu legen ist bei Motoren mit einem Hubraum von über 2,0 l eine Gesamtlaufleistung von 300.000 km, so dass sich Nutzungsvorteile in Höhe von (130.192 km – 11.046 km) : (300.000 km – 11.046 km) x 42.400,00 € = 17.483,03 € ergeben. Der Senat sieht sich jedenfalls aufgrund der von der Beklagten referierten Auffassung anderer Oberlandesgericht nicht veranlasst, die Gesamtlaufleistung auf lediglich 250.000 km zu reduzieren. Die von der Beklagten vorgelegten Annoncen von Privatanbietern auf der Plattform mobile.de belegen vielmehr eindrucksvoll, dass eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km unrealistisch niedrig ist, wenn für Fahrzeuge mit einem Kilometerstand von 160.000 bzw. 174.000 noch Preise weit über 27.000,00 € aufgerufen werden.
219(c)
220Die Summe von Restwert und Nutzungsvorteilen beläuft sich auf 39.483,03 €.
221Damit ist eine Kürzung des „Roh-Differenzschadens“ (hier 10 % oder 4.240,00 €) vorzunehmen, und zwar auch unter Berücksichtigung des Anrechnungsmodus, wie ihn der Bundesgerichtshof (a.a.O.) befürwortet. Danach liegt der um den Differenzschaden geminderte Kaufpreis bei (42.400,00 € ./. 4.240,00 € =) 38.160,00 €; die Summe aus Restwert und Nutzungsvorteilen (39.483,03 €) liegt um 1.323,03 € darüber.
222Es verbleibt somit ein Differenzschaden von letztlich (42.400,00 € ./. 39.483,03 € =) 2.916,97 €.
223Der Entscheidung des OLG Hamburg (Urt. vom 6.10.2023, Az. 3 U 183/21), wonach eine Anrechnung des „Restwerts“ nur im Fall der Veräußerung veranlasst sei, folgt der Senat nicht, weil der (gegenwärtige) Wert des Fahrzeugs in der Hand des Klägers bei der Betrachtung seines Schadens nicht unberücksichtigt bleiben kann.
224(2)
225Im Hinblick auf das vom KBA freigegebene Update ist im vorliegenden Fall keine weitere Vorteilsanrechnung vorzunehmen.
226(a)
227Zwar hat das Update den Einwendungen des KBA, die beim Fahrzeug des Klägers (bzw. bezüglich der darin enthaltenen Motorsteuerung) lediglich in Bezug auf die SCR-Programmierung bestanden, Rechnung getragen. In Bezug auf den diesbezüglichen Rückruf hat die Beklagte – unwidersprochen – mit dem bereitgestellten (und aufgespielten) Update die Gefahr einer Beschränkung der Zulassung signifikant vermindert, denn es ist nicht ersichtlich, dass selbst im Fall der Bestandskraft des – angefochtenen - Rückrufs noch diesbezüglich Konsequenzen für den Betrieb des Fahrzeugs zu erwarten sind.
228Allerdings hat die Beklagte nicht dargelegt, mit dem Update auch die weiteren Abschalteinrichtungen in Gestalt des Thermofensters und der KSR beseitigt zu haben. Die erwähnte Ausweitung der Randbedingungen des Thermofensters lässt nicht den Schluss zu, eine Verminderung der Abgasrückführungsrate komme nunmehr bei jeglichen vernünftigerweise zu erwartenden „normalen Fahrzeugbedingungen“ (Art. 3 Nr. 10 VO(EG) 715/2007) nicht mehr in Betracht. Ob die Beklagte darüber hinaus behaupten will, sie habe die KSR entfernt oder entscheidend verändert, ist ihrem Vortrag nicht zu entnehmen.
229Soweit die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 6.11.2023 auf die Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte verweist, lässt sich daraus für den vorliegenden Fall nichts entnehmen, da schon nicht erkennbar ist, welche Abschalteinrichtungen den betreffenden Entscheidungen zugrunde lagen und ob bzw. inwieweit sie durch ein Update beseitigt worden sind. Im Übrigen kommt der „Freigabe“ (irgend-)eines Updates durch das KBA ebenso wenig die Bedeutung einer Legalisierung von Abschalteinrichtungen zu wie die erteilte (Emissions-)Typgenehmigung selbst. Das gilt erst recht angesichts des Umstands, dass die im vorliegenden Fall erteilte „Freigabe“ bereits aus dem Jahr 2018 stammt, also vor Erlass der maßgeblichen Entscheidungen des EuGH zum Verständnis der Art. 3, 5 VO(EG) 715/2007 ergangen ist. Im Übrigen hat der Senat berücksichtigt, dass die Steuerung der SCR-Programmierung in einer Art und Weise verändert worden ist, die eine Einschränkung der Fahrzeugzulassung nicht erwarten lässt. Soweit die Beklagte nunmehr behauptet, auch „das Thema ‚Thermofenster‘“ habe „sich mit dem Software-Update erledigt“, weil die „AGR … bei betriebswarmem Motor jedenfalls zwischen ungefähr -10° C und ungefähr 49° C nicht in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur reduziert“ werde, ergibt sich daraus keine (vollständige) Entfernung des Thermofensters. Es bleibt offen, welche Ungenauigkeiten mit dem – wiederholt – verwandten Begriff „ungefähr“ bezeichnet werden sollen; im Übrigen gehören auch Temperaturen von -10° C und weniger zu den im Unionsgebiet durchaus nicht nur ganz ausnahmsweise vorkommenden Betriebsbedingungen.
230Soweit der Kläger nachteilige Auswirkungen des Updates namentlich in Gestalt erhöhten Kraftstoff- und AdBlue-Verbrauchs und Verschleißes behauptet hat, fehlt es jedoch an greifbaren Anhaltspunkten. Der Kläger hat von jeglicher ihm möglichen Quantifizierung der Mehrverbräuche abgesehen und auch nicht von bislang aufgetretenen Verschleißerscheinungen an seinem Fahrzeug berichtet. Zu berücksichtigen ist hingegen, dass nach der von der Beklagten vorgelegten Bestätigung des KBA (Anl. B5) keine der vom Kläger behaupteten negativen Auswirkungen zu erwarten sind.
231Im Ergebnis ist also – trotzt signifikanter Verminderung der Gefahren für die Zulassung in Bezug auf die bisherigen Beanstandungen des KBA - keine (vollständige) Kompensation des Schadens durch das Update eingetreten.
232(b)
233Ob ein solches Update im Rahmen der Schadensminderung überhaupt Berücksichtigung finden darf oder ob es dazu der Entfernung sämtlicher Abschalteinrichtungen bedarf, kann im vorliegenden Fall offenbleiben.
234(c)
235Es bedarf auch keiner Entscheidung, ob die Berücksichtigung des Updates bereits im Rahmen der Bemessung des Differenzschadens selbst oder „gesondert“ erfolgen muss.
236Wäre das Update bereits bei der Bemessung der „Quote“ zu berücksichtigen, käme es erst zum Tragen, wenn dadurch der Differenzschaden von 10 % (4.240,00 €) auf ca. 7 % oder weniger (unter 2.916,97 €) gesenkt würde, weil sich erst dann die Anrechnung von Restwert und Nutzungsentschädigung nicht mehr auswirkte. Eine derart erhebliche Auswirkung kommt dem Update jedoch nicht zu, weil (zumindest) zwei Abschalteinrichtungen weiterhin vorhanden sind.
237Sollte das Update jenseits der Bemessung der Differenzschadensquote eigenständig zu berücksichtigen sein, müsste feststellbar sein, dass dadurch eine weitere Schadensminderung eingetreten ist. Daran fehlt es, weil davon auszugehen ist, dass das Update bereits in dem für das Fahrzeug ermittelten Restwert „eingepreist“ ist. Schon die - unstreitige - Verfügbarkeit des Updates als solche und dessen (günstige) Folgen für den Fortbestand der Zulassung des Fahrzeugs sind den maßgeblichen Marktteilnehmern bekannt und gehen in die Bewertung des betreffenden Fahrzeugmodells ein.
238gg)
239Der Kläger kann eine Verzinsung des Differenzschadens in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit verlangen, wozu auf die Rechtshängigkeit des ursprünglichen KIageantrags abzustellen ist.
240Mit dem sog. großen Schadensersatzanspruch ist auch der Differenzschaden rechtshängig geworden, weil es sich dabei nicht um einen anderen Streitgegenstand, sondern nur um eine andere Berechnung des Schadens handelt (BGH, a.a.O., Tz. 45).
241II. Feststellungsantrag
242Der neu formulierte Antrag erweist sich als unzulässig.
243Es fehlt am erforderlichen Feststellungsinteresse für diesen Antrag (§ 256 Abs. 1 ZPO).
244Der Kläger hat sich mit dem Antrag zu 1) für die Geltendmachung des Differenzschadens entschieden.
245Auch der Feststellungsantrag kann sich dann nur noch auf etwaige Weiterungen des Differenzschadens beziehen, nicht hingegen auf den großen Schadensersatz (im Übrigen hat der Kläger klargestellt, keinerlei Ansprüche aus Gewährleistungsrecht mehr zu verfolgen).
246Doch ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass dem Kläger im Rahmen des Differenzschadens noch weitere Schäden entstehen könnten. Etwaige behördliche Risiken für den Fortbestand der Zulassung des Fahrzeugs sind bereits in den Differenzschaden „eingepreist“ (BGH, Urt. vom 5.10.2021, Az. VI ZR 136/20, Tz. 22; Urt. vom 6.7.2021, Az. VI ZR 40/20).
247Soweit sich der Kläger darauf beruft, das KBA werde im Hinblick auf das Thermofenster auch in Bezug auf sein Fahrzeug weitere bislang nicht vorhergesehene Maßnahmen ergreifen, handelt es sich um eine bloße Vermutung. Die von ihm in diesem Zusammenhang vorgelegte Äußerung des KBA bezieht sich auf einen anderen Fahrzeugtyp.
248Zwar hängt, wenn – wie hier – ein Schaden bereits entstanden ist, das Feststellungsinteresse gem. § 256 Abs. 1 ZPO nicht mehr von der Wahrscheinlichkeit des Eintritts weiterer Schäden ab, sofern nur die Möglichkeit weiterer Schäden existiert, es sei denn, bei verständiger Würdigung bestünde kein Grund, mit dem Eintritt eines weiteren Schadens wenigstens zu rechnen (BGH, Urt. vom 1.12.2022, Az. VII ZR 359/21, Tz. 22). Letzteres ist hier der Fall.
249III. Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten
250Soweit der Kläger anstelle der bislang verfolgten Freistellung nunmehr Zahlung verlangt, handelt es sich um eine bereits nach § 264 ZPO zulässige Umstellung, denn die Beklagte hat den Freistellungsanspruch abgelehnt, so dass der Kläger zum Zahlungsanspruch übergehen darf.
251Der Antrag, den der Kläger nur noch unter deliktsrechtlichen Aspekten verfolgt, ist jedoch unbegründet:
252Es kann dahinstehen, ob der Kläger ausreichend dargelegt hat, die Beauftragung der Anwälte zunächst auf die außergerichtliche Geltendmachung beschränkt oder jedenfalls zunächst nur einen Prozessauftrag unter einer aufschiebenden Bedingung (Erfolglosigkeit außergerichtlicher Einigungsversuche) erteilt zu haben (BGH, Urt. vom 22.6.2021, Az. VI ZR 353/20, Tz. 7).
253Als Anspruchsgrundlage für den vom Kläger weiter verfolgten Schadensersatzanspruch aus der vorgerichtlichen Tätigkeit seiner Anwälte, berechnet nach einem Gegenstandswert von 42.400,00 €, kommen nur § 826 BGB (bzw. §§ 823 Abs. 2, 263 StGB oder 831 BGB; der Kläger verfolgt auch diesen Anspruch nicht mehr aus Gewährleistungsrecht) in Betracht. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften liegen, wie bereits dargelegt, nicht vor.
254Der Kläger kann jedoch auch keinen Schadensersatz in Gestalt vorgerichtlicher Anwaltskosten nach einem Gegenstandswert (lediglich) in Höhe des Differenzschadens verlangen. Es bedarf keiner Beantwortung, ob der Kläger über §§ 823 Abs. 2 BGB in Verb. mit 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV auch Rechtsverfolgungsschäden als Folgeschäden ersetzt verlangen kann. Denn die vom Kläger beauftragte vorgerichtliche Tätigkeit seiner Anwälte, die – ausschließlich – auf den großen Schadensersatzanspruch und die Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichtet war, war nicht geeignet, (zugleich) einen auf den Differenzschaden gerichteten Schadensersatzanspruch anzumelden und in irgendeiner Weise zu fördern. Denn für einen diesbezüglichen Erstattungsanspruch ist es u.a. grundsätzliche Voraussetzung, dass die konkrete anwaltliche Tätigkeit aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (BGH Hinweisbeschluss v. 23.6.2022, Az. VII ZR 394/21, Tz. 19).
255VI.
256Dem Kläger steht kein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch gegen die Beklagte zu, soweit er zunächst einen Anspruch aus einem Rücktritt bzw. auf Erstattung des sog. „großen Schadens“ verfolgt hat. Voraussetzung für einen solchen Anspruch wäre es jedenfalls, dass der Kläger im Zeitpunkt der Geltendmachung über solche Ansprüche verfügte, was er nicht darlegen konnte (s.o.). Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, es liege eine Situation vor, die derjenigen einer nach Auskunftserteilung durch den Schuldner für erledigt erklärten bzw. zurückgenommenen Stufenklage entspreche. Der Kläger hat die Beklagte nicht auf Auskunft in Anspruch genommen, sondern sich von vornherein u.a. eines großen Schadensersatzanspruchs wegen vorsätzlicher deliktischer Schädigung durch die Beklagte berühmt. Damit hat er zugleich das Risiko der Darlegung und des Beweises eines solchen Anspruchs übernommen.
257C.
258Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO. Soweit der Kläger die zunächst in der Berufungsinstanz gestellten Anträge nicht mehr verfolgt, liegt eine teilweise Berufungsrücknahme vor.
259Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO. Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Der Fall betrifft zwar ein gängiges Fahrzeug, doch handelt sich gleichwohl um eine Einzelfallentscheidung in Bezug auf den konkreten Sachvortrag der Parteien. Der Senat weicht nicht von der Rechtsprechung des BGH oder – in entscheidungsrelevanter Weise – von der Auffassung anderer Oberlandesgerichte ab. Die Auffassung des Oberlandesgericht Hamburg in seiner Entscheidung vom 6.10.2023 (Az. 3 U 183/21) widerspricht den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (z. B. im Urt. vom 24.1.2022, Az. VIa ZR 100/21) und gibt daher ihrerseits keine Veranlassung zur Zulassung der Revision.