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Oberverwaltungsgericht NRW, 4 A 3106/21

Datum:
13.12.2022
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 A 3106/21
ECLI:
ECLI:DE:OVGNRW:2022:1213.4A3106.21.00
 
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Arnsberg, 7 K 2011/21
 
Tenor:

im Verfahren über den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 2.12.2021 auf seine folgende vorläufige rechtliche Bewertung hin und bittet ausgehend davon die Beklagte zu prüfen, ob eine Eintragung des Klägers in die Architektenliste und damit eine unstreitige Beilegung des Rechtsstreits in Betracht kommt.

Nach vorläufiger Einschätzung des Senats dürfte der Kläger mit seinem Fachhochschul-Diplomstudienabschluss und seiner Berufserfahrung einen ausreichenden Studiennachweis für eine Eintragung in die Architektenliste vorweisen können. Dies ergibt sich aus dem nach § 44 Satz 2 BauKaG NRW weiterhin maßgeblichen § 4 Abs. 3 Satz 2 BauKaG NRW vom 16.12.2003 (GV. NRW S. 786), zuletzt geändert durch Gesetz vom 9.12.2014 (GV. NRW. S. 876) – BauKaG NRW a. F. –, der hinsichtlich seines hier wesentlichen Inhalts dem heutigen § 20 Abs. 4 BauKaG NRW entspricht.

Nach § 4 Abs. 3 Satz 2 BauKaG NRW a. F. gelten unter anderem bei Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union ebenso wie nunmehr nach § 20 Abs. 4 BauKaG NRW in der Fachrichtung Architektur als gleichwertig unter anderem die Nachweise nach Art. 49 der Richtlinie 2005/36/EG i. V. m. deren Anhang VI Nr. 6, nach Berichtigung (ABl. L 93 vom 4.4.2008, S. 28) nur noch Anhang VI. Art. 49 Abs. 3 der Richtlinie 2005/36/EG in der Fassung der Richtlinie 2013/55/EU vom 20.11.2013 lautet bezogen auf alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union, zu denen auch Deutschland selbst zählt:

Jeder Mitgliedstaat erkennt in seinem Hoheitsgebiet folgenden Nachweis als gleichwertig mit den Ausbildungsnachweisen an, die er selbst im Hinblick auf die Aufnahme und die Ausübung der beruflichen Tätigkeiten eines Architekten ausstellt: Nachweis darüber, dass die am 5.8.1985 bestehende dreijährige Ausbildung an den Fachhochschulen in der Bundesrepublik Deutschland, die den Anforderungen des Artikels 46 Absatz 2 entspricht und die Aufnahme der in Artikel 48 genannten Tätigkeiten in diesem Mitgliedstaat unter der Berufsbezeichnung „Architekt“ ermöglicht, abgeschlossen und spätestens am 17.1.2014 begonnen wurde, sofern die Ausbildung durch eine vierjährige Berufserfahrung in der Bundesrepublik Deutschland ergänzt wurde; diese Berufserfahrung muss durch eine Bescheinigung bestätigt werden, welche von der Architektenkammer ausgestellt wird, in deren Architektenliste der Architekt eingetragen ist, der die Vorschriften dieser Richtlinie in Anspruch nehmen möchte.

Bei dem Diplomstudienabschluss des Klägers in Verbindung mit seiner Berufungserfahrung dürfte es sich um einen solchen Nachweis handeln. Art. 49 Abs. 3 der Richtlinie 2005/36/EG geht zurück auf Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 und Art. 11 Buchst. a) Spiegelstrich 3 der Richtlinie 85/384/EWG. Seit dieser Richtlinie ist der deutsche Fachhochschul-Diplomstudienabschluss im Zusammenwirken mit vierjähriger Berufserfahrung unionsweit anerkannt, obwohl bereits damals grundsätzlich ein Studium mit mindestens vier Jahren Regelstudienzeit gefordert wurde (Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 85/384/EWG). Ungeachtet dessen war der Kläger tatsächlich von September 1984 bis Februar 1990, also elf Semester und länger als fünf Jahre, im Fachhochschulstudiengang Architektur eingeschrieben und hat diesen mit sehr gutem Erfolg abgeschlossen.

Durch den auf alle Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union bezogenen Verweis in § 4 Abs. 3 Satz 2 BauKaG NRW a. F. – entsprechend dem heute unbeschränkten Verweis in § 20 Abs. 4 BauKaG NRW – auf Art. 49 der Richtlinie 2005/36/EG einschließlich des umfassend formulierten Absatzes 3 dürfte der deutsche Abschluss des Klägers, verbunden mit vierjähriger Berufserfahrung, für auch in Deutschland selbst gleichwertig erklärt worden sein. Die Gesetzesbegründung zum früheren Baukammerngesetz NRW vom 16.12.2003 zeigt, dass der Gesetzgeber nicht eine etwaige unzureichende Qualität des Diplomstudiengangs zum Regelungsanlass nahm, sondern ausschließlich die Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge und die damit einhergehende fehlende Vergleichbarkeit der verschiedenen Abschlüsse. Es dürfte nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen sein, den Absolventen eines herkömmlichen Fachhochschul-Diplomstudiengangs mit mehr als vierjähriger Berufserfahrung die Eintragung in die Architektenliste zu versagen. Im Gegenteil hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, die früheren Diplomstudiengänge hätten auch ohne zwingende Vorgaben zur Regelstudienzeit im Wesentlichen die erforderlichen Inhalte vermittelt. Lediglich nach neuem Recht könne dies nur für Masterabschlüsse, nicht aber für alle Bachelorstudiengänge gelten.

Vgl. LT-Drs. 13/3532, S. 78, 83.

Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, der Gesetzgeber habe Absolventen eines früheren deutschen Fachhochschul-Diplomstudienabschlusses in Deutschland schlechter stellen wollen als in allen anderen EU-Mitgliedstaaten. Sie müssen diesen Ausbildungsnachweis des Architekten nach Art. 49 Abs. 1 der Richtlinie 2005/36/EG i. V. m. Anhang VI bei einer spätestens im akademischen Jahr 1987/88 begonnenen Ausbildung anerkennen, selbst wenn er den Mindestanforderungen von Art. 46 der Richtlinie 2005/36/EG nicht genügt; soweit die Studiendauer weniger als vier Jahre, mindestens jedoch drei Jahre beträgt, ist für die unionsweite Anerkennung nach Anhang VI zusätzlich eine Bescheinigung über eine vierjährige Berufserfahrung in Deutschland erforderlich. Im Gegenteil war es sogar Ziel der geänderten Richtlinie 2005/36/EG, die durch das nordrhein-westfälische Baukammerngesetz umgesetzt worden ist, für die europaweit durchgängige Anerkennung von bereits erworbenen Berufsqualifikationen Sorge zu tragen und die Verfahren zur Anerkennung ihrer Gleichwertigkeit im Interesse der Betroffenen zu erleichtern und zu beschleunigen.

Vgl. LT-Drs. NRW 13/3532, S. 78, 83 f., zu § 4 Abs. 1 bis 3; entsprechend nunmehr LT-Drs. NRW 17/13799, S. 1 f., 43, 73 f.

Dementsprechend ging beispielsweise der hessische Landesgesetzgeber seinerzeit hinsichtlich seines Verweises auf die Richtlinie 2005/36/EG davon aus, dass frühere deutsche Fachhochschulabschlüsse auf dem Gebiet der Architektur (Hochbau) mit einer Mindeststudienzeit von drei Jahren auf EU-Ebene prinzipiell als gleichwertig anerkannt seien und im Rahmen des Besitzstandes alte Fachhochschul-Ausbildungsnachweise auch national weiterhin gleichberechtigt zu Eintragung qualifizieren würden, so dass die dort geschaffene Übergangsregelung in § 21 Abs. 3 HASG a. F. (bzw. nunmehr § 21 Abs. 2 HASG) lediglich deklaratorisch sei.

Vgl. Hess. LT-Drs. 15/3636, S. 35.

Der nordrhein-westfälische Landesgesetzgeber, der ebenfalls selbst nicht von einer geringeren Qualifikation von Absolventen des früheren Diplomstudiengangs ausgegangen ist, dürfte nur wegen des Verweises in § 4 Abs. 3 Satz 2 BauKaG NRW a. F. berechtigt gewesen sein, auf eine Übergangsregelung zu verzichten, die ansonsten verfassungsrechtlich erforderlich gewesen sein dürfte. Denn der landesgesetzliche Eintragungsvorbehalt für die Berechtigung zum Führen der Berufsbezeichnung "Architekt" stellt sich als Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung gemäß Art. 12 Abs. 1 GG dar, zu dessen Rechtfertigung allein der Schutz des Vertrauens des Publikums in Betracht kommt, das Architekturleistungen in Anspruch nehmen will.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.5.1996 – 1 BvR 1691/91 –, juris, Rn. 5, m. w. N.

Von einer solchen Rechtfertigung ging der Gesetzgeber bezogen auf Inhaber des früheren Fachhochschul-Diploms bei mindestens vierjähriger Studienzeit bzw. entsprechend langer Berufserfahrung selbst nicht aus. Er ist zwar grundsätzlich befugt, im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 GG Berufsbilder gesetzlich zu fixieren. Ebenso darf der Gesetzgeber Zulassungsvoraussetzungen aufstellen, welche einerseits Personen, die sie nicht erfüllen, von den so monopolisierten und typisierten Tätigkeiten ausschließen und andererseits die Berufsbewerber zwingen, den Beruf in der rechtlichen Ausgestaltung zu wählen, die er im Gesetz erhalten hat. Der Gesetzgeber hat dabei jedoch zu beachten, dass die Fixierung von Berufsbildern und das Aufstellen von Zulassungsvoraussetzungen einen Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit bedeuten und dass deshalb seine Regelungen verhältnismäßig, d. h. geeignet und erforderlich sein müssen, um überragende Gemeinwohlinteressen zu sichern, und dass sie keine übermäßige, unzumutbare Belastung enthalten dürfen; außerdem gebietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Vertrauensschutz für die bereits im Beruf Tätigen. Danach muss Personen die Berufsausübung entsprechend ihrer bisherigen Berechtigung weiter ermöglicht werden, wenn sie erstens den fehlenden neu eingeführten Befähigungsnachweis durch berufliche Erfahrung und Bewährung wettmachen und zweitens sich durch ihre bisherige Berufstätigkeit einen Besitzstand geschaffen haben, deren Erhalt für sie von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung ist.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.4.2000 – 1 BvR 1538/98 –, juris, Rn. 35, m. w. N.

Hat der Gesetzgeber danach Vertrauensschutz bezogen auf die bisherige Berechtigung zu einer beruflichen Betätigung und einen geschaffenen Besitzstand zu berücksichtigen, liegt es regelmäßig nicht in seinem Ermessen, ob er sich zu Übergangsregelungen entschließt; sofern das Gesetz nicht akute Missstände in der Berufswelt unterbinden soll, steht dem Gesetzgeber lediglich die Ausgestaltung der Übergangsregelung frei.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 27.10.1998 – 1 BvR 2306/96 u.a. –, BVerfGE 98, 265 = juris, Rn. 188, und Beschluss vom 21.6.2006 – 1 BvR 1319/04 –, juris, Rn. 9, jeweils m. w. N.

Gemessen daran dürfte der hiesige Landesgesetzgeber vorliegend nur deshalb berechtigt gewesen sein, auf eine Übergangsregelung im hier noch maßgeblichen Baukammerngesetz NRW vom 16.12.2003 für Personen mit Diplomstudienabschluss zu verzichten, weil den verfassungsrechtlich schutzwürdigen Bestandsinteressen durch § 4 Abs. 3 Satz 2 BauKaG NRW a. F. – entsprechend § 20 Abs. 4 BauKaG NRW – Rechnung getragen wurde. Es bestand nach seiner eigenen, insoweit maßgeblichen Einschätzung kein Missstand durch ihre Tätigkeit unter der Berufsbezeichnung „Architekt“, der mit der Neuregelung des Eintragungsvorbehalts hätte beseitigt werden müssen. Dabei ist unerheblich, ob diese Problemlage dem Landesgesetzgeber bei der Schaffung des Verweises auf die Vorschriften des Unionsrechts bewusst war. Ein verfassungsrechtlich schutzwürdiger Vertrauensschutz und Besitzstand dürfte nicht erst durch die Eintragung in die Architektenliste geschaffen werden, sondern bereits durch die Berufsausbildung und die Praxis, die Voraussetzung für die Eintragung und die daraus folgende Berechtigung waren und sind. Daran hat sich durch die zwischenzeitliche Löschung des Klägers aus der Architektenliste nichts geändert.

Auf eine Betätigung im Angestelltenverhältnis mögen unzuverlässige Architekten verwiesen werden können.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.6.2020 – 4 B 673/19 –, juris, Rn. 14 f., m. w. N.

Verfassungsrechtlich nicht mehr vertretbar erscheint dies aber bei vorläufiger Bewertung mit Blick auf die erhebliche wirtschaftliche Bedeutung der Eintragung in die Architektenliste für zuverlässige Architekten mit einer Qualifikation, die unionsweit kraft Richtlinienrechts anzuerkennen ist und die auch der Landesgesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung von Anfang an als mit dem aktuell grundsätzlich zu fordernden vierjährigen Studiengang gleichwertig angesehen hat.

Die Beteiligten wird Gelegenheit zur Stellungname gegeben bis zum 15.2.2023.

 
 

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