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1. Ein wichtiger Grund für eine Umbettung im Sinn der Satzungen der Friedhofsträger in Nordrhein-Westfalen liegt vor, wenn das Interesse an der Umbettung ausnahmsweise die durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Totenruhe des Verstorbenen als postmortal fortdauernden Bestandteil seiner Menschenwürde überwiegt (wie OVG NRW, Urteil vom 12. Dezember 2012 ‑ 19 A 2207/11 ‑, juris, Rn. 47).
2. Eine Urkunde über den Erwerb eines Nutzungsrechts an einem Wahlgrab ist keine Urkunde im Sinn des § 44 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG NRW, wenn der Friedhofsträger sie satzungsrechtlich als lediglich deklaratorische Urkunde ausgestaltet hat.
nicht vorhanden
Rechtsanwältin M. weist auf die Anwesenheit ihres Praktikanten hin, Herrn O. S., und bittet um Zustimmung, dass er den nichtöffentlichen Termin im Sitzungssaal mitverfolgt. Die erschienenen Vertreter der Beteiligten erklären übereinstimmend: Wir sind mit seiner Anwesenheit einverstanden.
2Der Berichterstatter teilt mit, dass der Senat über die beiden Kernfragen des vorliegenden Rechtsstreits beraten hat, ob erstens ein wichtiger Grund im Sinn des § 12 Abs. 2 Satz 2 FS vorliegt für die Umbettung der verstorbenen Mutter der Klägerin aus dem einstelligen Wahlgrab auf dem Städtischen Friedhof C., Abteilung II, Grab-Nr. 000, in ein von der Klägerin zu bestimmendes Ersatzgrab, welche die Beklagte auf Antrag des Beigeladenen genehmigt hat, und ob zweitens der Zweiterwerb des Nutzungsrechts der Klägerin an diesem Wahlgrab rechtswirksam ist. Nach dem Ergebnis der Senatsberatung ergibt sich die Klagebefugnis der Klägerin im Sinn des § 42 Abs. 2 VwGO gegen die dem Beigeladenen erteilte Umbettungsgenehmigung (Klageantrag zu 1.) aus ihrem Totenfürsorgerecht für ihre verstorbene Mutter sowie aus der Möglichkeit einer Verletzung dieses zweiterworbenen Nutzungsrechts.
3Zur erstgenannten Kernfrage teilt der Senat im Ergebnis die Würdigung des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Urteil (juris, Rn. 38 ff.), dass im vorliegenden Fall ein wichtiger Grund im Sinn des § 12 Abs. 2 Satz 2 FS zu verneinen ist. Ein wichtiger Grund im Sinn der Satzungen der Friedhofsträger in Nordrhein-Westfalen liegt vor, wenn das Interesse an der Umbettung ausnahmsweise die durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Totenruhe des Verstorbenen als postmortal fortdauernden Bestandteil seiner Menschenwürde überwiegt. Für die Beurteilung, ob die postmortale Menschenwürde insoweit gewahrt ist, kommt es maßgebend auf den zu Lebzeiten geäußerten, aber auch auf den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen an, sofern dieser noch zuverlässig festgestellt werden kann. Diesem Willen ist nach Möglichkeit Rechnung zu tragen.
4OVG NRW, Urteile vom 12. Dezember 2012 ‑ 19 A 2207/11 ‑, juris, Rn. 47 (Skiunfall), vom 30. Juli 2009 ‑ 19 A 957/09 ‑, NVwZ-RR 2010, 281, juris, Rn. 22 (Hinzubettung Ehegatte), und vom 29. April 2008 ‑ 19 A 2896/07 ‑, NWVBl. 2008, 471, juris, Rn. 21 m. w. N. (Umzug), Beschlüsse vom 18. Oktober 2019 ‑ 19 A 4135/18 ‑, juris, Rn. 5, und vom 5. Dezember 2017 ‑ 19 A 2275/16 ‑, juris, Rn. 2; zum postmortalen Schutz der Menschenwürde vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 9. Mai 2016 ‑ 1 BvR 2202/13 ‑, NVwZ 2016, 1804, juris, Rn. 56 (Hauskirchenbestattung); BVerwG, Urteil vom 19. Juni 2019 ‑ 6 CN 1.18 ‑, BVerwGE 166, 65, juris, Rn. 21 f. m. w. N. (Urnenruhefrist).
5Nach diesem Maßstab hat hier das Umbettungsinteresse des Beigeladenen kein hinreichendes Gewicht, um das hohe Gewicht der Totenruhe der Mutter der Klägerin zu überwinden.
6Ähnlich für einen Fall einer Bestattung in einem Wahlgrab mit fremdem Grabnutzungsrecht VG Dessau, Urteil vom 25. Mai 2005 ‑ 4 A 418/04 ‑, juris, Rn. 32.
7Am Schutz ihrer Totenruhe besteht nach Art. 1 Abs. 1 GG, § 7 Abs. 1 BestG NRW und § 12 Abs. 1 FS ein ganz erhebliches öffentliches Interesse, das allein die zuständigen Hoheitsträger, hier also die Beklagte, wahrzunehmen haben. Das hat bereits das Verwaltungsgericht zu Recht hervorgehoben (Rn. 30). Mit ebenso hohem Gewicht kommt hier das private Interesse der Klägerin am Schutz der Totenruhe ihrer Mutter hinzu, welches Ausfluss ihres durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Totenfürsorgerechts ist. Zu dessen Schutz dient ihr Grabnutzungsrecht am genannten Wahlgrab, das in seinem Kernbereich durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG geschützt ist. Das so gekennzeichnete öffentliche und private Interesse, das mit erheblichem Gewicht gegen eine Umbettung spricht, überwiegt nach den Umständen des vorliegenden Einzelfalls das private Interesse des Beigeladenen an der Abwehr der bestattungsbedingten Beeinträchtigung seines am 17. Juni 2019 für fünf Jahre als Vorratskauf nach § 20 Abs. 5 Satz 2 FS erworbenen und nur noch wenige Monate fortbestehenden Grabnutzungsrechts an diesem zuvor bis 2002 von seinen Vorfahren genutzten Wahlgrab, das ebenfalls in seinem Kernbereich durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG geschützt ist.
8Ausschlaggebend für diese Gewichtung sind zunächst die wiederholten Äußerungen der Klägerin, sie habe die „Gewissheit“, dass eine Umbettung „überhaupt nicht im Sinne ihrer verstorbenen Mutter wäre“. Sie lassen auf einen mutmaßlichen Willen der verstorbenen Mutter schließen, der gegen eine Umbettung gerichtet war. Zudem hat die Klägerin ihre Bestattungsentscheidung nach § 12 Abs. 2 Satz 1 BestG NRW im Einvernehmen mit der Beklagten im beiderseitigen Bewusstsein getroffen, das genannte Wahlgrab sei „neu“, es bestünden also weder Rechte Dritter noch laufe eine Ruhefrist. Auch die Bestattung selbst hat sie in diesem Bewusstsein vornehmen lassen. Von dem zuvor als Vorratskauf nach § 20 Abs. 5 Satz 2 FS erworbenen Nutzungsrecht des Beigeladenen hatte sie bis zur Bestattung weder Kenntnis noch konnte sie hiervon Kenntnis haben. Mitarbeiter der Beklagten haben ihr das Nutzungsrecht in der irrtümlichen Annahme eines „freien“ Grabes erteilt, weil sie versäumt hatten, dessen Ersterteilung an den Beigeladenen vom 17. Juni 2019 in den Friedhofsakten zu dokumentieren. Dieser Fehler fiel erst am 19. Dezember 2019, also zwei Wochen nach der Bestattung auf. Hiernach hat die Vorinstanz im Ergebnis zu Recht sinngemäß entschieden (Rn. 54), dass das genannte öffentliche und private Interesse an der Wahrung der Totenruhe der verstorbenen Mutter der Klägerin weder dem Grunde noch dem Gewicht nach davon abhängt, ob die Bestattung der Mutter in diesem Wahlgrab rechtmäßig war („hätte stattfinden dürfen“). Unerheblich hierfür ist insbesondere, ob sie mit den Satzungsbestimmungen über die Rechte Dritter an Wahlgräbern mit bereits erteiltem Nutzungsrecht in § 20 Abs. 5 Satz 5 FS vereinbar war.
9Gegenüber der Beklagten und dem Beigeladenen stellt der Senat klar, dass die Klägerin mit ihrer Weigerung, einer Umbettung zuzustimmen, berechtigterweise ihr Totenfürsorgerecht für ihre verstorbene Mutter wahrnimmt, mit dem sie nach dem oben Ausgeführten deren Totenruhe schützen darf und muss. Denn auch sie selbst hat bei ihrer Bestattungsentscheidung deren Willen zu respektieren (§ 12 Abs. 1 Satz 2 BestG NRW). Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten liegt in dieser Weigerung kein pflichtwidriges Unterlassen, das sie als Verhaltensstörerin im Sinn des § 17 Abs. 1 OBG NRW qualifiziert (Klageerwiderung vom 4. Februar 2022). Insbesondere auch der Beigeladene und seine Familie haben diese Bestattungsentscheidung trotz ihrer im Ansatz nachvollziehbaren emotionalen Betroffenheit zu respektieren. Rechtswidrig ist die in der Klageschrift mitgeteilte und in den Schriftsätzen des Beigeladenen unkommentiert gebliebene Drohung des Beigeladenen gegenüber der Klägerin an deren Tür am Mittag des 5. Januar 2022, „dass er sie vor künftigen ‚Aktionen‘ aus dem großen Kreis seiner Familie wegen des Grabes warnen müsse“ und dass „sie auf Jahre hinaus keine Ruhe haben“ werde, wenn sie ihre Zustimmung zur Umbettung weiterhin verweigere („Kein Staatsanwalt und keine Kameras könnten verhindern, dass das Grab beschädigt würde.“). Sollte der Beigeladene die Klägerin in dieser Weise bedroht haben, können Polizei, Staatsanwaltschaft und Strafgerichte dies als Indiz für eine auch strafrechtliche Mitverantwortung des Beigeladenen selbst und/oder anderer Mitglieder seiner Familie für die bereits mit Bildern in den Akten dokumentierten Grabbeschädigungen in der Vergangenheit und für etwaige künftige Vorfälle dieser Art werten (Störung der Totenruhe nach § 168 StGB).
10Zudem hat die Klägerin das Nutzungsrecht am genannten Wahlgrab auch wirksam erworben. Diese zweite der beiden eingangs genannten Kernfragen ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts (Rn. 33) und der Beklagten zu bejahen. Insoweit weist die Klägerin zu Recht darauf hin und räumt auch die Beklagte ein, dass die Beklagte mit der Zuteilung des Wahlgrabs an die Klägerin wenige Tage vor der Bestattung ihrer Mutter einen begünstigenden Verwaltungsakt im Sinn des § 35 Satz 1 VwVfG NRW erlassen hat, der nach § 43 Abs. 2 und 3, § 44 VwVfG NRW unabhängig von seiner Rechtmäßigkeit wirksam ist, sofern kein Nichtigkeitsgrund vorliegt.
11Zur Verleihung des Nutzungsrechts an einem Wahlgrab als Verwaltungsakt vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. Juni 2018 ‑ 14 A 2498/16 ‑, NWVBl. 2018, 483, juris, Rn. 9; Bay. VGH, Beschluss vom 21. März 2018 ‑ 4 ZB 17.2082 ‑, NJW 2018, 1832, juris, Rn. 10; Hess. VGH, Urteil vom 7. September 1993 ‑ 11 UE 1118/92 ‑, NVwZ-RR 1994, 335, juris, Rn. 34 ff.
12Insbesondere lag im Bestattungszeitpunkt am 5. Dezember 2019 keine Nichtigkeit dieser Grabzuteilung nach § 44 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG NRW vor. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt nichtig, der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt. Hier war unschädlich, dass die Beklagte der Klägerin die Erwerbsurkunde erst nachträglich am 15. Januar 2020 ausgestellt hat. Eine Urkunde über den Erwerb eines Nutzungsrechts an einem Wahlgrab auf den Friedhöfen der Beklagten ist nach § 20 Abs. 6 Satz 2 FS keine konstitutive Urkunde im Sinn des § 44 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG NRW. Die Beklagte hat diese Urkunde in Ausübung ihrer Satzungsautonomie in § 20 Abs. 6 Satz 2 FS vielmehr als lediglich deklaratorische Urkunde ausgestaltet („Über den Erwerb … wird … eine Urkunde ausgestellt.“). In diesem Punkt unterscheiden sich das Satzungsrecht und die den vorliegenden Bestattungsfall betreffende Erteilungspraxis der Beklagten maßgeblich von der Urkundenausgestaltung mancher anderer Friedhofsträger, die das Entstehen des Nutzungsrechts an einem Wahlgrab konstitutiv an die „Aushändigung der Verleihungsurkunde“ knüpfen (vgl. etwa § 16 Abs. 4 der Muster-Friedhofssatzung des Städte- und Gemeindebunds NRW 2018: „Das Nutzungsrecht entsteht mit Zahlung der fälligen Gebühr und Aushändigung der Verleihungsurkunde“). Unerheblich sind die danach unzutreffenden Hinweise der Beklagten in ihren Gebührenbescheiden, der Erwerb des Nutzungsrechts werde „erst mit der vollständigen Zahlung der Gebühren wirksam.“
13Zu einer konstitutiven Verleihungsurkunde über das Nutzungsrecht an einem Wahlgrab BVerwG, Urteil vom 12. Juni 1992 ‑ 7 C 3.91 ‑, NJW 1992, 2908, juris, Rn. 10; OVG NRW, Beschluss vom 13. Juni 2018, a. a. O., Rn. 9.
14Die Zweiterteilung des Nutzungsrechts an die Klägerin ist auch nicht besonders schwerwiegend und offenkundig fehlerhaft im Sinn des § 44 Abs. 1 VwVfG NRW. Insbesondere steht ihr entgegen der Auffassung der Beklagten keine „absolute rechtliche Unmöglichkeit“ entgegen. Die Beklagte kann vielmehr das dem Beigeladenen erteilte Nutzungsrecht nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG NRW widerrufen. Nach dieser Vorschrift darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden, wenn die Behörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. Hier ist mit der auch durch Behördenirrtum ermöglichten Bestattung vom 5. Dezember 2019 eine Tatsache nachträglich eingetreten, auf Grund derer die Beklagte nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet war, dem Beigeladenen jedenfalls ohne Zustimmung der Klägerin kein Nutzungsrecht an dem nunmehr anderweitig belegten Wahlgrab zu erteilen. Ohne den Widerruf ist auch das öffentliche Interesse an der Wahrung der Totenruhe gefährdet, weil der Beigeladene aus seinem Nutzungsrecht heraus seit Januar 2020 darauf drängt, die Bestattung „durch zeitnahe Umbettung wieder rückgängig“ zu machen. Hinzu kommt das öffentliche Interesse an klaren und sicheren Rechtsverhältnissen bei Nutzungsrechten an Wahlgräbern, das hier durch die irrtümliche Doppelerteilung eines Nutzungsrechts an ein- und demselben Wahlgrab an zwei Personen ohne jede familiäre oder sonstige Verbindung beeinträchtigt ist.
15Auch hierzu BVerwG, Urteil vom 12. Juni 1992, a. a. O., Rn. 10.
16Dieses öffentliche Interesse liegt auch der Friedhofssatzung der Beklagten zugrunde, wie man insbesondere daran erkennt, dass § 20 Abs. 8 Satz 5 FS eine Rechtsnachfolge in das Nutzungsrecht im Todesfall immer nur für eine einzelne natürliche Person vorsieht. Seit Bekanntwerden der ersten Grabbeschädigungen Ende Februar 2020 ist schließlich das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der durch § 5 Abs. 1, § 36 Abs. 1 FS geschützten „Würde des Friedhofs“ und der durch § 5 Abs. 3 Buchst. g, § 47 Nr. 2 Buchst. g FS geschützten Integrität seiner Einrichtungen, Anlagen und Grabstätten hinzugekommen.
17Unabhängig von § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG NRW ermöglicht auch § 43 Abs. 3 Buchst. b FS der Beklagten unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen, dem Beigeladenen das Nutzungsrecht wegen Verstoßes gegen § 39 Abs. 1 Satz 2 FS ohne Entschädigung zu entziehen.
18Unerheblich ist danach die Erwägung des Verwaltungsgerichts (Rn. 33) und der Beklagten, die Zweiterteilung an die Klägerin gehe „ins Leere“, weil die Beklagte mit der Ersterteilung an den Beigeladenen ihre „Verfügungsbefugnis“ über das Nutzungsrecht an der Grabstelle verloren habe. Abgesehen davon ist diese Erwägung unzutreffend. Sie steht im Widerspruch zur Friedhofssatzung der Beklagten. Diese lässt vielmehr den Schluss zu, dass deren „Verfügungsbefugnis“ über das Nutzungsrecht von der Ersterteilung dem Grunde nach unberührt geblieben ist (unbeschadet etwaiger Folgenbeseitigungs- und/oder Schadenersatzpflichten gegenüber dem Ersterwerber). Denn nach § 17 Abs. 1 Satz 2 FS können Rechte an Grabstätten nur nach dieser Satzung erworben werden. Auch der Beigeladene hat danach das Nutzungsrecht nur in dem Umfang erworben, den die Satzung vorsieht. Ihr ist ein Erwerb fremd, welcher der Friedhofsträgerin jegliche Rechte nimmt. Vielmehr sieht sie vor, dass die Beklagte das Nutzungsrecht „jederzeit“ verlängern und die Verlängerung mit Bedingungen oder Auflagen versehen (§ 20 Abs. 5 Satz 4, Abs. 6 Satz 6 FS), es bei Vorliegen baulicher Mängel der Grabstätte oder von Mängeln bei der gärtnerischen Unterhaltung unter bestimmten Voraussetzungen ohne Entschädigung entziehen (§ 43 Abs. 3 Buchst. b FS) oder es im Fall der Schließung oder Entwidmung des Friedhofs aufheben und dadurch zum Erlöschen bringen kann (§ 3 Abs. 5, § 20 Abs. 10 Satz 1 FS). Diese satzungsrechtlichen Befugnisse sind unvereinbar mit der These, die Beklagte verliere mit der Erteilung eines Nutzungsrechts ihre „Verfügungsbefugnis“ über dieses Recht.
19Die Befugnis des Friedhofsträgers, auf erteilte Grabnutzungsrechte auch nachträglich gestaltend, beschränkend oder erweiternd einzuwirken, entspricht überdies deren herkömmlichem Rechtscharakter als subjektiv-öffentliche Sondernutzungsrechte. Diese Einwirkungsbefugnis ist in der höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung seit Jahrzehnten anerkannt. Insbesondere darf der Friedhofsträger ehemals unbefristet erteilte Grabnutzungsrechte (Erbbegräbnisse, „Ewigkeitsgräber“) unter bestimmten Voraussetzungen satzungsrechtlich nachträglich zeitlich begrenzen und ihre Verlängerung von der Zahlung einer Gebühr abhängig machen.
20BVerwG, Urteile vom 19. Juni 2019 a. a. O., Rn. 24, und vom 8. Juli 1960 ‑ VII C 123.59 ‑, BVerwGE 11, 68 (70); OVG NRW, Beschlüsse vom 3. Januar 2017 ‑ 19 A 1970/14 ‑, FamRZ 2017, 1884, juris, Rn. 17 m. w. N. (jüdischer Friedhof), und vom 6. Juni 2016 ‑ 19 A 1039/15 ‑, NWVBl. 2016, 501, juris, Rn. 13 m. w. N. (Erbbegräbnis); Hess. VGH, Urteil vom 7. September 1993, a. a. O., Rn. 41.
21Auch eine solche nachträgliche zeitliche Befristung wäre ausgeschlossen, wenn sich der Friedhofsträger, wie hier von der Beklagten geltend gemacht, mit der Erteilung eines Grabnutzungsrechts seiner „Verfügungsbefugnis“ darüber begäbe.
22Demgegenüber hat das private Interesse des Beigeladenen an einer unbeeinträchtigten Wahrung seines am 17. Juni 2019 für fünf Jahre als Vorratskauf nach § 20 Abs. 5 Satz 2 FS erworbenen und inzwischen nur noch wenige Monate fortbestehenden Grabnutzungsrechts an dem einstelligen Wahlgrab seiner Vorfahren geringeres Gewicht. Das Grab war im Zeitpunkt der Bestattung der Mutter der Klägerin am 5. Dezember 2019 jedenfalls im Sinn des § 20 Abs. 9 Satz 1 FS seit über 18 Jahren unbelegt, nachdem die 30-jährige Ruhefrist seiner zuletzt dort am 19. Oktober 1971 bestatteten Urgroßmutter E. Q. N. mit dem 19. Oktober 2001 abgelaufen war. Ihre Bestattung lag 48 Jahre zurück, als die Klägerin ihre Mutter am 5. Dezember 2019 in diesem Wahlgrab in Tieflage, also mit der Möglichkeit einer zweiten Bestattung in der gleichen Grabstelle in Normallage nach § 20 Abs. 3 Satz 2 FS, bestatten ließ. Das Gewicht und das Schutzbedürfnis des allgemeinen, über den Tod hinaus fortdauernden Achtungsanspruchs eines jeden Menschen schwindet in dem Maße, in dem die Erinnerung an den Verstorbenen verblasst und das Interesse an der unverfälschten Darstellung seines Lebensbilds abnimmt.
23BVerwG, Urteil vom 19. Juni 2019, a. a. O., Rn. 21; OVG NRW, Protokoll vom 28. Oktober 2022 ‑ 19 A 1605/22 ‑, juris, Rn. 8.
24Auch in der Familie des Beigeladenen war dieses Interesse an einer Aufrechterhaltung der Erinnerung an die beiden 1967 und 1971 ebenfalls in Tief- und Normallage im einstelligen Wahlgrab bestatteten Urgroßeltern zwischenzeitlich in den Hintergrund getreten, weil man im Jahr 2002 von einer lückenlosen Verlängerung des Nutzungsrechts Abstand genommen, den Grabstein abgeräumt und das Wahlgrab über nahezu zwei Jahrzehnte hinweg auch tatsächlich weitgehend ungenutzt gelassen hat. Mit dieser Entscheidung haben die Familienmitglieder das Risiko eines jederzeitigen Fremderwerbs und einer Fremdbelegung über einen prägenden Zeitraum hinweg in Kauf genommen. Weiter misst auch § 20 Abs. 9 Satz 1 FS einem Nutzungsrecht an einer unbelegten Grabstätte insofern geringere Schutzwürdigkeit zu als demjenigen an einer belegten Grabstätte, als der Nutzungsrechtsinhaber auf ersteres jederzeit, auf letzteres hingegen erst nach Ablauf der Ruhefrist verzichten kann. Auch darin kommt der grundsätzliche Vorrang der Totenruhe zum Ausdruck.
25Für die Gewichtung des Nutzungsrechts des Beigeladenen ist schließlich bedeutsam, dass er seine Verpflichtung aus § 39 Abs. 1 Satz 2 FS zur unverzüglichen gärtnerischen Gestaltung der noch nicht wiederbelegten Wahlgrabstätte zwischen dem Erwerb am 17. Juni 2019 und der Bestattung am 5. Dezember 2019 unerfüllt gelassen hat. Durch dieses pflichtwidrige Unterlassen hat er einen objektiven Ursachenbeitrag dazu geleistet, dass es zu der unberechtigten Bestattung am 5. Dezember 2019 kommen konnte. Auch unabhängig vom Aktenfehler der Beklagten wäre nämlich sein Nutzungsrecht mit großer Wahrscheinlichkeit bei Beginn der Grabaushubarbeiten für diese Bestattung aufgefallen, wenn er es rechtzeitig durch entsprechende gärtnerische Anlage „für jedermann sichtbar“ gemacht, insbesondere den seit 2002 nach wie vor in seinem Besitz befindlichen Grabstein hätte wiedererrichten lassen. Zu Unrecht reklamiert er ein höheres Gewicht seines Nutzungsrechts mit seiner Rechtsauffassung, die Beklagte und die Klägerin hätten mit der Bestattung der Mutter der Klägerin die Totenruhe seiner Urgroßeltern verletzt. Eine solche Verletzung hätte 48 Jahre nach deren Bestattung und nach der langjährigen Lücke im Nutzungsrecht allenfalls noch sehr geringes Gewicht.
26Geringeres Gewicht hat das Nutzungsrecht des Beigeladenen am genannten Wahlgrab auch deshalb, weil er es nur teilweise erworben hat. Nach § 20 Abs. 3 FS erstreckt sich das Nutzungsrecht an einem einstelligen Wahlgrab auf eine erste Bestattung in Tieflage nach Satz 1, eine zweite Bestattung in Normallage nach Satz 2 und die zusätzlich zulässige Beisetzung von bis zu vier Urnen nach Satz 3. Abweichend von diesem satzungsrechtlich vorgegebenen Umfang hat der Beigeladene das Nutzungsrecht am hier streitigen Wahlgrab ausschließlich für eine Beisetzung von bis zu vier Urnen nach § 20 Abs. 3 Satz 3 FS erworben. Mit diesem Umfang bleibt sein Nutzungsrecht auch inhaltlich hinter demjenigen der Klägerin zurück. Sie hat es in vollem Umfang erworben.
27Zu Recht kritisiert der Beigeladene lediglich die Ausführungen im angefochtenen Urteil, mit denen das Verwaltungsgericht sein Interesse am Erhalt seines 2019 erworbenen Nutzungsrechts am Wahlgrab seiner Urgroßeltern der Sache nach als ein rein subjektives Empfinden ohne abwägungsrelevantes objektives Gewicht herabstuft (Rn. 45: „Die Bestattung der Urgroßeltern stellt damit das ‑ freilich nachvollziehbare ‑ Motiv des Beigeladenen für den Erwerb des Nutzungsrechts dar. Eine rechtliche Relevanz kommt diesem Umstand jedoch aus heutiger Sicht nicht (mehr) zu.“; Rn. 54: „Auf dieses subjektive Empfinden allein kann es jedoch nicht ankommen. … Das im Umbettungsbegehren zum Ausdruck kommende ‚Störgefühl‘ …“). Entsprechendes gilt, soweit das Verwaltungsgericht dem „Aspekt des vermeintlichen ‚Familiengrabes‘“ eine „rechtliche Relevanz“ abspricht (Rn. 46: „kann ein vermeintliches Interesse daran, dass neben seinen (Familien-)Angehörigen keine ‚fremden‘ Toten im Grab bestattet sind, welches aus dieser ‚Inhaberschaft‘ resultieren soll, nicht ‚anerkennenswert‘ im Rechtssinne sein.“).
28Anders als das Verwaltungsgericht mit diesen Ausführungen bewertet der Senat die irrtümliche Fremdbestattung ebenso wie der Beigeladene als einen objektiv rechtswidrigen Eingriff der Beklagten in den Kernbereich seines durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Nutzungsrechts, welchem dem Grunde nach objektiv abwägungsrelevantes Gewicht zukommt. Auch lässt das Verwaltungsgericht unberücksichtigt, dass die Beklagte auch ohne Verwendung des Begriffs „Familiengrab“ in der Friedhofssatzung mit der Bereitstellung von Wahlgrabstätten mit verlängerbarem Nutzungsrecht besonders den Familienangehörigen des Verstorbenen ein über die Ruhefrist hinausreichendes Totengedenken ermöglicht (vgl. etwa die Rangfolge der Nutzungsberechtigten bei der Nachfolge in das Nutzungsrecht nach § 20 Abs. 8 Satz 4 FS) und gerade auch bei Umbettungen den „Familienzusammenführungen“ Gewicht beimisst (vgl. den Klammerzusatz zum Begriff des wichtigen Grundes in § 12 Abs. 2 Satz 2 FS).
29Hat danach das Interesse des Beigeladenen am Erhalt seines 2019 erworbenen Nutzungsrechts am Wahlgrab seiner Urgroßeltern (und an dessen Verlängerung im Sommer 2024) auch objektiv Gewicht, so bleibt dieses Gewicht aus den oben bereits angeführten Gründen gleichwohl hinter demjenigen des oben näher konkretisierten öffentlichen Interesses und des privaten Interesses der Klägerin, insbesondere des Totenruheschutzes ihrer Mutter zurück (Vorratskauf für fünf Jahre, langjährige Lücke im Nutzungsrecht, mitursächliches Unterlassen einer gärtnerischen Anlage, Teilerwerb). Auch die Bindung des Beigeladenen an seine Urgroßeltern, die sich u. a. aus dem Bewohnen desselben Hauses ergibt, verleiht seinem Umbettungsinteresse unter diesen Umständen kein an das Gewicht jener Schutzgüter heranreichendes Gewicht.
30Der Beigeladene teilt mit, im vergangenen Jahr sei seine Mutter verstorben. Wegen des vorliegenden Rechtsstreits sei er gehindert gewesen, ihre Urne im Wahlgrab seiner Urgroßeltern beisetzen zu lassen. Ihre Urne sei nun gegen ihren letzten Willen, den sie in einem notariellen Testament geäußert habe, auf demselben Friedhof in einem anderen Grab beigesetzt. Um ihrem letzten Willen zu entsprechen, strebe er seitdem auch eine Umbettung ihrer Urne an.
31Der Berichterstatter unterbreitet den Vertretern der Beteiligten die Vorschläge des Senats zur einvernehmlichen Beendigung des Rechtsstreits. Er unterbricht den Erörterungstermin um 12.40 Uhr, um ihnen außerhalb des Sitzungssaals Gelegenheit zur internen Beratung über diese Vorschläge zu geben.
32Nach Rückkehr setzt der Berichterstatter den Erörterungstermin um 13.28 Uhr fort.
33Der Vertreter der Beklagten erklärt:
34Ich hebe die gegen die Klägerin gerichtete Duldungsverfügung vom 23. Dezember 2021 und die dem Beigeladenen erteilte Genehmigung vom 23. Dezember 2021 zur Umbettung der verstorbenen Mutter der Klägerin aus dem einstelligen Wahlgrab auf dem Städtischen Friedhof C., Abteilung II, Grab-Nr. 000, in ein von der Klägerin zu bestimmendes Ersatzgrab auf.
35Ich verpflichte mich, dem Beigeladenen auf Antrag das Nutzungsrecht an einem von ihm auszuwählenden, dem vorgenannten Wahlgrab nicht benachbarten Wahlgrab auf dem Städtischen Friedhof C., für eine Nutzungsdauer von 30 Jahren gebührenfrei zu erteilen und die Urne der verstorbenen Mutter des Beigeladenen gebührenfrei dorthin umzubetten.
36Ich verpflichte mich, dem Beigeladenen die mit Gebührenbescheid vom 17. Juni 2019 erhobenen Gebühren in Höhe von 324,28 Euro zu erstatten.
37Ich verpflichte mich, mit dem Beigeladenen zur Vermeidung eines Amtshaftungsprozesses Verhandlungen mit dem Ziel einer weitergehenden angemessenen Entschädigung aufzunehmen.
38Hiermit verlängere ich das der Klägerin am 28. November 2019 erteilte Nutzungsrecht an dem einstelligen Wahlgrab auf dem Städtischen Friedhof C., Abteilung II, Grab-Nr. 000 gebührenfrei bis zum 4. Dezember 2054.
39Ich erkläre den Rechtsstreit für in der Hauptsache erledigt und übernehme dessen Kosten in beiden Instanzen.
40Vorgelesen und genehmigt.
41Der Prozessbevollmächtigte des Beigeladenen erklärt:
42Ich verzichte ab sofort auf das am 17. Juni 2019 für fünf Jahre als Vorratskauf nach § 20 Abs. 5 Satz 2 FS erworbene Nutzungsrecht an dem einstelligen Wahlgrab auf dem Städtischen Friedhof C., Abteilung II, Grab-Nr. 000.
43Ich erkläre den Rechtsstreit für in der Hauptsache erledigt.
44Vorgelesen und genehmigt.
45Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin erklärt:
46Ich schließe mich den Erledigungserklärungen an.
47Vorgelesen und genehmigt.
48Die erschienenen Vertreter der Beteiligten erklären übereinstimmend:
49Wir stimmen zu, dass der Senat eine anonymisierte Fassung des Protokolls dieses nichtöffentlichen Erörterungstermins in der juristischen Datenbank juris veröffentlicht, um seine Protokollhinweise der interessierten Fachöffentlichkeit zugänglich zu machen.
50Vorgelesen und genehmigt.
51Es ergeht der
52Beschluss:
53Das Verfahren in beiden Instanzen wird nach § 87a Abs. 1 und 3, § 92 Abs. 3, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 126 Abs. 3 Satz 2 VwGO eingestellt.
54Das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 16. Februar 2022 ist mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung wirkungslos (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO).
55Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen trägt die Beklagte (§ 161 Abs. 2 VwGO). Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind erstattungsfähig (§ 154 Abs. 3 Halbsatz 1, § 162 Abs. 3 VwGO).
56Der Streitwert für das zweitinstanzliche Verfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
57Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 66 Abs. 3 Satz 3, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).
58Das Protokoll ist durch Aufzeichnung auf Datenträger nach § 105 VwGO i. V. m. § 130b Satz 1, § 160a Abs. 3 Satz 3, Abs. 4 ZPO erstellt.