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Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
2Der Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der unter dem Aktenzeichen 6 K 406/23 geführten Klage gegen die Ordnungsverfügung des Bürgermeisters der Antragsgegnerin vom 7. Februar 2023 hinsichtlich ihrer Ziffer 1 wiederherzustellen und hinsichtlich ihrer Ziffer 3 anzuordnen,
4ist als Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft und auch im Übrigen zulässig, bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung einer Klage in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen bzw. im Falle des Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO wiederherstellen. Dies setzt voraus, dass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegt. Das ist der Fall, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist. Das Vollziehungsinteresse überwiegt demgegenüber, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist und ein besonderes öffentliches Interesse am Sofortvollzug besteht. Können die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, ist eine erfolgsunabhängige Abwägung der gegenläufigen Interessen geboten. Zu berücksichtigen sind insbesondere die Folgen der sofortigen Vollziehung der Verwaltungsentscheidung und die Folgen einer sie zeitweilig außer Vollzug setzenden gerichtlichen Entscheidung. Im Fall des Antrages auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen einen Verwaltungsakt, dessen sofortige Vollziehung angeordnet wurde, hat der Antrag darüber hinaus bereits dann Erfolg, wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtswidrig erfolgt ist.
5Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der in dem Hauptsacheverfahren angefochtenen Ordnungsverfügung hinsichtlich der Anordnung in Ziffer 1 genügt dem formellen Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die Antragsgegnerin hat dargelegt, dass ein weiterer Aufschub des Abhängens der sog. Reichsflagge (der offiziellen, schwarz-weiß-roten Flagge des Deutschen Reichs ab 1892 sowie des „Dritten Reichs“ von 1933 bis 1935) das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Staatsangehörigkeit, Herkunft, Kultur und Religion erheblich gefährde und in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass sich nationalistisch und rassistisch motivierte Anschläge und Gewalttaten häuften. Es wird deutlich, dass der Antragsgegnerin der Ausnahmecharakter der Anordnung der sofortigen Vollziehung vor Augen stand und sie aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls einen solchen Ausnahmetatbestand als gegeben angesehen hat. Mehr verlangt das Gesetz nicht; insbesondere kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob die Begründung inhaltlich zutrifft.
6Die in materieller Hinsicht im gerichtlichen Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffende selbständige Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer zügigen Durchsetzung der getroffenen Anordnung einerseits und dem privaten Interesse des Antragstellers, von der sofortigen Vollziehung der Verfügung bis zum Abschluss des Klageverfahrens verschont zu bleiben, andererseits fällt hier zu Lasten des Antragstellers aus. Die Erfolgsaussichten seiner Klage stellen sich bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen und nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als offen dar; jedenfalls erweist sich die angefochtene Ordnungsverfügung nicht als offensichtlich rechtswidrig. Die somit anzustellende erfolgsunabhängige Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus.
7Die Regelung in Ziffer 1 der Ordnungsverfügung vom 7. Februar 2023 könnte ihre Rechtsgrundlage in § 14 Abs. 1 des Gesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden – Ordnungsbehördengesetz (OBG NRW) finden.
8Die in Rede stehende Verfügung leidet nicht an formellen Mängeln, die voraussichtlich zu einem Erfolg der Klage führen. Es kann insoweit dahinstehen, ob das Absehen von einer vorherigen Anhörung des Antragstellers gemäß § 28 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW) gemessen an den Voraussetzungen des Absatzes 2 der Vorschrift rechtmäßig war. Denn jedenfalls ist eine Heilung von Anhörungsfehlern in entsprechender Anwendung von § 45 Abs. 2 VwVfG NRW bis zum Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahrens möglich.
9In materieller Hinsicht ist nach summarischer Prüfung offen, ob sich die Ordnungsverfügung als rechtmäßig erweisen wird.
10Nach § 14 Abs. 1 OBG NRW können die Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren. Es spricht Vieles dafür, dass diese Voraussetzungen für ein Einschreiten der Ordnungsbehörde der Antragsgegnerin gegeben sind.
11Die Antragsgegnerin durfte entgegen der Ansicht des Antragstellers ordnungsrechtlich gegen das Zurschaustellen der Flagge vorgehen, obwohl sie zuvor den Versuch unternommen hatte, das Entfernen der Flagge auf zivilrechtlichem Wege zu erreichen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb es der Antragsgegnerin aufgrund der Miet- bzw. sonstigen zivilrechtlichen Nutzungsrechte des Antragstellers verwehrt sein sollte, die Beseitigung der Flagge (auch) auf der Grundlage der ordnungsrechtlichen Generalklausel zu verlangen. Denn insoweit geht es nicht etwa um die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche mittels Verwaltungsakt, sondern um die Abwehr einer Gefahr im Sinne des § 14 Abs. 1 OBG NRW.
12Es spricht auch Einiges dafür, dass die Antragsgegnerin zu Recht von dem Vorliegen einer im Einzelfall bestehenden Gefahr für die öffentliche Ordnung im Sinne der Norm ausgeht.
13Für den Begriff der öffentlichen Ordnung ist kennzeichnend, dass er auf ungeschriebene Regeln verweist, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes (GG) zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird.
14Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008, 671.
15In dem Anbringen und Zurschaustellen der sog. Reichsflagge an dem Gebäude E.---straße 0 in I. könnte danach eine Gefahr für die öffentliche Ordnung liegen, weil diesem Vorgang angesichts des in dem Gebäude befindlichen Parteibüros der rechtsextremistischen Partei „J. . X1. “
16– vgl. dazu Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2021, S. 68 ff. –
17sowie der einer breiten Öffentlichkeit bekannt gewordenen Vorgeschichte der streitgegenständlichen Verfügung eine spezifische Einschüchterungs- und Provokationswirkung zukommen dürfte.
18Ein Verhalten, dass nach den herrschenden Anschauungen der Bevölkerung gegen die ungeschriebenen Regeln des gedeihlichen Miteinanderlebens verstößt, könnte hier zu bejahen sein, wenn das Präsentieren der Reichsflagge als Aufruf zu verstehen sein sollte, die im Gemeindegebiet der Antragstellerin lebenden Ausländerinnen und Ausländer und/oder anderer Bevölkerungsgruppen, wie etwa homo-, bi, trans- und intersexueller sowie (anderer) sog. queerer Personen, einem Klima der Missachtung, Einschüchterung, Bedrohung und potentieller Gewaltbereitschaft auszusetzen. Hierin läge zugleich ein Angriff auf die Menschenwürde von Angehörigen dieser Bevölkerungsgruppe, indem ihnen gegenüber eine feindselige Haltung erzeugt bzw. bestärkt werden soll oder zu bedrohlichen Aktionen oder diskriminierender Behandlung aufgerufen wird.
19Insoweit ist entscheidend, ob ein objektiver Beobachter das Aufhängen der Reichsflagge so verstehen kann, dass damit zu Einschüchterung und Diskriminierung gegenüber diesen Personengruppen aufgerufen wird. Eine solche Wirkung einer demonstrativ öffentlich zur Schau gestellten Reichsflagge würde eine Gefahr für die öffentliche Ordnung auch deshalb begründen, weil ein derartiger Aufruf objektiv geeignet erscheint, elementare Verfassungsregeln, insbesondere das Diskriminierungsverbot gemäß Art. 3 Abs. 1 GG und das Gebot des Art. 1 GG, die Menschenwürde zu achten, zu verletzen.
20Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. März 2001 – 1 BvQ 13/01 –, Rn. 30, juris; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 22. Juni 1994 – 5 B 193/94 –, juris; Erlass des Ministeriums des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen über den Umgang mit dem öffentlichen Zeigen von Reichkriegsflaggen vom 3. August 2021 – 31-07.02-2904/20 –, n.v..
21Es spricht hiervon ausgehend vorliegend Vieles dafür, dass die Antragsgegnerin im Kontext der Gesamtumstände, in dem der Antragsteller die Flagge als Ausdrucksmittel verwendet, zu Recht davon ausgeht, dass das Zeigen der Reichsflagge als Aufruf zu verstehen sei, vor allem die im Gemeindegebiet lebenden Ausländerinnen und Ausländer einem Klima der Missachtung, Bedrohung und potentieller Gewaltanwendung auszusetzen.
22So ist vor dem Hintergrund des rechtsextremistischen Programms der Partei „J. . X1. “, deren „H. X. “ der Antragsteller vorsteht, naheliegend, dass durch das Zurschaustellen der Reichsflagge neben dem Bekenntnis zum Rechtsextremismus durchaus eine einschüchternde und diskriminierende Wirkung erzielt werden sollte, die zugleich absichtlich auf den historischen Nationalsozialismus anspielt. Unabhängig davon, ob die schwarz-weiß-rote Reichsflagge von den historischen Nationalsozialisten als Symbol des Kaiserreichs angesehen und deshalb abgelehnt wurde, ist sie seit Jahren ein ständiges von der Partei des Antragstellers sowie anderen rechtsextremistischen Gruppierungen eingesetztes Symbol, das auch in der öffentlichen Wahrnehmung eindeutig für die diese Szene steht.
23Vgl. Goertz, „Querdenker“ – ihre Akteure, Ideologieelemente und ihr Gewaltpotenzial, Kriminalistik 2022, 138, zit. nach juris; OVG NRW, Beschlüsse vom 22. Juni 1994 – 5 B 193/94 –, a.a.O. und vom 7. Januar 2020 – 15 A 4693/18 –, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 28. November 2001 – 1 Ss 52/01 –, juris.
24Eine derartige einschüchternde, diskriminierende und provozierende Kraft der Flagge wird vorliegend zum einen dadurch verstärkt, dass in den Schaufenstern und an den Außenwänden des Gebäudes ausweislich des der Kammer durch die Antragsgegnerin übermittelten Bildmaterials Plakate, Banner und Aushänge der Partei „J. . X1. “ ausgestellt werden, die sowohl latent einen Hinweis auf das rechtsextremistische Staats- und Gesellschaftsbild sowie das völkisch-nationalistische Gedankengut der Partei, als auch teilweise ausdrücklich diskriminierende Parolen enthalten, etwa „Asylflut stoppen“, „Homopropaganda stoppen“, oder „Kyrillos Kaioglidis muss weg! WÄHLT DEUTSCH!“.
25Zum anderen kann vorliegend die umfangreiche und innerhalb des Gemeindegebietes der Antragsgegnerin weithin öffentlich bekannte Vorgeschichte nach Etablierung eines sogenannten „Bürgerbüros“ der Partei des Antragstellers in dem Gebäude, an dem die Reichsflagge angebracht ist, seit März 2022 nicht außer Acht gelassen werden. Die Partei des Antragstellers hat in dieser Zeit u.a. mit mehreren Veranstaltungen in der Gemeinde auf sich aufmerksam gemacht, in deren Rahmen ausländerfeindliche und anderweitig einschüchternde Äußerungen und Aktionen zu verzeichnen waren.
26Vgl. etwa: Westfalenpost, „Neonazis vom ‚3. X1. ‘ müssen nun raus: Wende in I. “, https://www.wp.de/staedte/siegerland/wende-in-hilchenbach-neonazis-vom-3-weg-muessen-weg-id237084603.html;
27Siegener Zeitung, „Kleinstpartei ‚Der J. . X1. ‘ führt Versammlung durch“, https://www.siegener-zeitung.de/lokales/siegerland/hilchenbach/grosses-polizeiaufgebot-im-hilchenbacher-zentrum-kleinstpartei-der-iii-weg-fuehrt-versammlung-durch-6PHRDVUDXQZE3OAY44DQ753FF6.html; beide zuletzt abgerufen am 13. Februar 2023.
28Unabhängig davon, ob diese jeweils (noch) von der Meinungs- und Versammlungsfreiheit gedeckt waren, dürften sie jedenfalls geeignet sein, die von der präsentierten Reichsflagge im konkreten Fall ausgehende Symbolik in der Öffentlichkeit entsprechend zu prägen.
29Der Antragsteller dürfte auch als Verhaltensstörer nach § 17 Abs. 1 OBG NRW richtiger Adressat der Ordnungsverfügung sein.
30Fraglich erscheint indes, ob die Anordnung unter Ziffer 1 des Bescheides vom 7. Februar 2023 ermessensfehlerfrei ergangen ist, vgl. § 114 Satz 1 VwGO, insbesondere ob die Antragsgegnerin das ihr eingeräumte Ermessen insoweit überhaupt ausgeübt hat.
31In der Begründung des Bescheides finden sich zwar Erwägungen zur Ermessensausübung im Rahmen der Anordnung der sofortigen Vollziehung sowie der Zwangsmittelandrohung, nicht jedoch zu Ziffer 1 der Verfügung. Allerdings nimmt die Antragsgegnerin auf den oben zitierten Erlass des Ministeriums des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen vom 3. August 2021 Bezug. Dieser entfaltet als verwaltungsinterne Vorschrift unter anderem ermessenslenkende Wirkung. So enthält er unter seiner Ziffer 4 die Vorgabe, dass bei Vorliegen einer konkreten Gefahr für die öffentliche Ordnung nach den unter Ziffer 3 des Erlasses genannten Kriterien die Ordnungs- und Polizeibehörden gehalten „sind“, im Rahmen der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens bezogen auf den jeweiligen Einzelfall das Zeigen oder Verwenden der Reichs(kriegs)flagge in der Öffentlichkeit auf der Grundlage der hierfür einschlägigen gesetzlichen Regelungen § 14 Abs. 1 OBG NRW bzw. § 8 Abs. 1 des Polizeigesetzes NRW (PolG NRW) „zu unterbinden“. Es spricht daher Vieles dafür, dass durch die Bezugnahme auf den Erlass insoweit (noch) hinreichend deutlich wird, dass die Antragsgegnerin sich ihres Ermessens bewusst gewesen ist und sie dieses auf der Grundlage des Erlasses im Sinne eines Entschlusses auf Einschreiten als „auf Null“ reduziert angesehen hat. Mangels eines vollständigen Ermessensausfalls dürfte daher bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens jedenfalls ein Nachschieben von Ermessenserwägungen durch die Antragsgegnerin nach § 114 Satz 2 VwGO in Betracht kommen.
32Vgl. dazu etwa OVG NRW, Beschluss vom 29. Januar 2018 – 9 B 1540/17 –, juris, mit weiteren Nachweisen.
33Darüber hinaus vermag die Kammer im Rahmen der im vorliegenden Verfahren nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung und der begrenzten zur Verfügung stehenden Zeit nicht abschließend zu beurteilen, ob die Verfügung unter Ziffer 1 des Bescheides verhältnismäßig ist, insbesondere, inwieweit die durch die Verfügung geschützten Rechtsgüter im vorliegenden Fall einen Eingriff in die Meinungsfreiheit des Antragstellers aus Art. 5 Abs. 1 GG rechtfertigen.
34Das Zeigen der Flagge fällt als Meinungsäußerung in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Die Meinungsfreiheit findet ihre Schranken nach § 5 Abs. 2 GG insbesondere in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Dies sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts alle Gesetze, die nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten, sondern vielmehr dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen, dem Schutz eines Gemeinschaftswerts, der gegenüber der Betätigung der Meinungsfreiheit den Vorrang hat.
35Vgl. etwa BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51 –, und Beschluss vom 4. November 2009 – 1 BvR 2150/08 –, juris.
36§ 14 OBG NRW als Rechtsgrundlage für die vom Antragsgegner getroffene Maßnahme enthält keine selbständige Beschränkung der Meinungsfreiheit, sondern knüpft hier an den Begriff der öffentlichen Ordnung an. Zugunsten der öffentlichen Ordnung kommt eine Beschränkung der Meinungsfreiheit jedoch nur in Ausnahmefällen in Betracht.
37Grundsätzlich bilden gemäß Art. 5 Abs. 2 GG allein die Strafgesetze, soweit sie zum Rechtsgüterschutz ausnahmsweise bestimmte geäußerte Inhalte verbieten, wie allgemein §§ 185 ff. StGB (Beleidigung, Verleumdung) und speziell im Bereich politischer Auseinandersetzungen etwa § 130 des Strafgesetzbuches (StGB) (Volksverhetzung), § 86a StGB (Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) oder §§ 90a, b StGB (Verunglimpfung des Staats und seiner Symbole oder von Verfassungsorganen) erlassen worden sind, die Grenze der Meinungsäußerungsfreiheit. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Meinungsäußerungen in der pluralistischen Demokratie des Grundgesetzes grundsätzlich frei sind, es sei denn, der Gesetzgeber hat im Interesse des Rechtsgüterschutzes Schranken im Einklang mit Art. 5 Abs. 2 GG festgelegt. Ein Rückgriff auf die öffentliche Ordnung ist in diesem Zusammenhang allerdings dennoch – in engen Grenzen – zulässig. So sind unter entsprechender Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Versammlungsrecht beschränkende Verfügungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung insoweit verfassungsrechtlich unbedenklich, als sich die Gefahr für dieses Rechtsgut nicht aus dem Inhalt einer Meinungsäußerung, sondern vielmehr aus den Umständen, unter denen die Meinung zum Ausdruck gebracht wird, ergibt,
38vgl. BVerfG, Beschluss vom. 19. Dezember 2007 – 1 BvR 2793/04 –, juris Rn. 39, m.w.N.,
39beispielsweise provokativen oder aggressiven, das Zusammenleben der Bürger konkret beeinträchtigenden Begleitumständen.
40Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. März 2001 – 1 BvQ 13/01 –, a.a.O.; Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, Beschluss vom 23. Oktober 2020 – OVG 1 B 331/20 –, juris.
41Nach diesen Grundsätzen kann hier jedenfalls nicht offensichtlich ausgeschlossen werden, dass die durch Ziffer 1 der Ordnungsverfügung erfolgte Beschränkung der Meinungsfreiheit des Antragstellers zugunsten des Schutzes der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt sein kann. Denn zum einen dürfte zu beachten sein, dass vorliegend nicht ein spezifischer Inhalt einer Meinungsäußerung gänzlich untersagt wird, sondern lediglich das Aufhängen der Reichsflagge als ein Mittel der Meinungskundgabe. Der Antragsteller bleibt frei darin, die damit – nach seiner Auffassung – zum Ausdruck gebrachte Ablehnung des Versuchs der Unterdrückung identitätsstiftender Merkmale „der Deutschen“ auf andere Weise, auch mittels optischer an dem Gebäude bzw. in dessen Schaufenstern angebrachten Mitteln, kundzutun. Zum anderen ist eine besonders provokative Wirkung der Zurschaustellung der Flagge nach dem oben Gesagten jedenfalls nicht offensichtlich zu verneinen.
42Die aufgrund der danach derzeit offenen Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers von der Kammer anzustellende erfolgsunabhängige Interessenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus. In diese Abwägung ist auf Seiten des Antragstellers einzustellen, dass er bei Ablehnung des Antrags die streitgegenständliche Flagge am Gebäude E.---straße 0 entfernen müsste und bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht erneut aufhängen dürfte. Darin liegt zwar eine Beeinträchtigung seiner Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG. Er hat jedoch nichts dafür vorgetragen, weshalb gerade das Zeigen der Reichsflagge zusätzlich zu den sonstigen ohnehin an dem Gebäude zur Schau gestellten Fahnen, Bannern und Plakaten gerade in diesem Zeitraum eine besondere Bedeutung und Dringlichkeit hätte. Soweit es ihm nach eigenen Angaben darum geht, Protest gegen die aus seiner Sicht bestehenden politischen Bestrebungen, den Deutschen „sämtliche identitätsstiftende Merkmale austreiben zu wollen“, zu äußern, ist es möglich und ihm zumutbar, dafür vorläufig andere Mittel einzusetzen. Demgegenüber wäre bei einer Stattgabe des Antrags zu befürchten, dass sich der von der Antragsgegnerin angenommene und keineswegs auszuschließende Verstoß gegen die öffentliche Ordnung und die Beeinträchtigung der Rechte der Betroffenen aus Art. 3 Abs. 3 und Art. 1 Abs. 1 GG zunehmend verfestigt. Diese Gefahr wiegt insgesamt schwerer als die sich für den Antragsteller ergebenden Konsequenzen einer Antragsablehnung.
43Auch in Bezug auf die Zwangsmittelandrohung in Ziffer 3 der angegriffenen Ordnungsverfügung überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Zwangsmittelandrohung gegenüber dem Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung einstweilen verschont zu bleiben. Bei summarischer Überprüfung bestehen keine Rechtmäßigkeitsbedenken hinsichtlich der in Ziffer 3 des Bescheides enthaltenen und gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 112 des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen (Justizgesetz Nordrhein-Westfalen – JustG NRW –) als Maßnahme in der Verwaltungsvollstreckung kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Zwangsmittelandrohung. Diese dürfte ihre Rechtsgrundlage in §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 1, 59 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW) finden. Ermessensfehler sind insoweit nicht ersichtlich, insbesondere war die Antragsgegnerin nicht gehalten, im Rahmen der Auswahl der Zwangsmittel auf ein Zwangsgeld zurückzugreifen, nachdem der Antragsteller zuvor bereits allgemein hinreichend deutlich gemacht hatte, die Flagge nicht abhängen zu wollen.
44Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
45Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) und legt angesichts des nur vorläufigen Charakters des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens mit 2.500,00 EUR die Hälfte des im Hauptsacheverfahren maßgeblichen Auffangstreitwerts zugrunde; die voraussichtlichen Kosten der angedrohten Ersatzvornahme bleiben hierbei außer Ansatz (vgl. Nr. 1.7.2. des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).
46Rechtsmittelbelehrung:
47Gegen die Entscheidung mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Arnsberg (Jägerstraße 1, 59821 Arnsberg) Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht eingelegt werden. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Sofern die Begründung nicht mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, ist sie bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster) einzureichen. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten und die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
48Die Beschwerde und deren Begründung können in schriftlicher Form oder auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) eingereicht werden. Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d VwGO und der ERVV wird hingewiesen.
49Vor dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte und Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, sowie die ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen vor dem Oberverwaltungsgericht als Bevollmächtigte zugelassen.
50Gegen die Streitwertfestsetzung können die Beteiligten auch persönlich Beschwerde einlegen, über die das Oberverwaltungsgericht entscheidet, falls das beschließende Gericht ihr nicht abhilft. Die Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat. Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 EUR nicht überschreitet.
51Die Beschwerde kann schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV eingereicht werden. Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d VwGO und der ERVV wird hingewiesen.
52Schäfer Cramer Stenglein
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