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Die aufschiebende Wirkung der Klage 26 K 2494/24.A gegen Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. März 2024 wird angeordnet.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Antragsgegnerin.
Gründe:
2Der am 9. April 2024 gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 26 K 2494/24.A gegen Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. März 2024 anzuordnen,
4über den gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG der Berichterstatter als Einzelrichter entscheidet, hat Erfolg.
5Der Antrag ist zulässig. Ihm steht insbesondere nicht entgegen, dass ein Ausländer nach erstmaliger Einstellung des Asylverfahrens grundsätzlich die Möglichkeit hat, die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 33 Abs. 5 AsylG zu beantragen. Diese Möglichkeit lässt nämlich das Rechtsschutzinteresse unberührt.
6Vgl. dazu ausführlich: Heusch, in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 40. Edition, Stand: 01.0.2024, § 33 AsylG Rn. 40 m. w. N.
7Der Antrag ist auch begründet. Die Einstellung des Asylverfahrens durch das Bundesamt unter Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides vom 12. März 2024 – und damit auch der Erlass der Ausreiseaufforderung samt Abschiebungsandrohung (Ziffer 3) – erweisen sich bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung als rechtswidrig, sodass die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers ausgeht. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dabei nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
8Gemäß § 33 Abs. 1 AsylG stellt das Bundesamt das Verfahren ein oder lehnt den Asylantrag nach angemessener inhaltlicher Prüfung ab, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Sofern das Bundesamt das Verfahren einstellt, entscheidet es nach Aktenlage, ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegt. Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er untergetaucht ist. Die Vermutung nach Satz 1 gilt nicht, wenn der Ausländer innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung nach Absatz 1 nachweist, dass das in Satz 1 Nummer 1 genannte Versäumnis oder die in Satz 1 Nummer 2 und 3 genannte Handlung auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte; führt der Ausländer diesen Nachweis, ist das Verfahren fortzuführen (§ 33 Abs. 2 Sätze 2 und 3 AsylG). § 33 Abs. 4 AsylG bestimmt schließlich, dass der Ausländer auf die nach den Absätzen 1 und 3 eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen ist.
9Hinsichtlich der Widerlegung der Vermutung gilt Folgendes:
10„Die Darlegungs- und Nachweislast zur Entkräftung der Vermutung trifft denjenigen, gegen den sie wirkt; hier also den Ausländer. Er muss nachweisen, dass das in § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. […] Dasselbe gilt hinsichtlich der in § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 aufgeführten Handlungen. […]
11Die Widerlegung der Vermutung ist nicht gelungen, wenn das Versäumnis iSv § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bzw. die Handlungen iSv § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3 vom Ausländer vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt worden sind. Im Ergebnis gilt nichts anderes, wenn der Ausländer allein deshalb keinen Einfluss auf die weiteren Umstände hatte, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat (Thym NVwZ 2016, 409 (411)). Aber auch dann, wenn äußere Umstände ursächlich waren, die der Ausländer nicht herbeigeführt hat, auf die er aber hätte einwirken können, ist die Vermutung nicht widerlegt. Vom Ausländer wird erwartet, dass er solche widrigen Umstände, die die von ihm geforderte Mitwirkung behindern, nicht hinnimmt, sondern im Rahmen seiner individuellen Möglichkeiten aktiv iSe Verfahrensförderung entgegenwirkt. Der Ausländer kann sich auch nicht durch Verweis auf ein Versäumnis seines Bevollmächtigten exkulpieren, wenn er sich dessen Verschulden zurechnen lassen muss (VG Cottbus BeckRS 2021, 42865 Rn. 19).“
12Heusch, in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 40. Edition, Stand: 01.01.2024, § 33 AsylG Rn. 23 f.
13Unter Berücksichtigung der vorstehenden Maßgaben bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bundesamtes, dass der Antragsteller untergetaucht sei.
14Untergetaucht ist der Ausländer nach dem Willen des Gesetzgebers, wenn er für die staatlichen Behörden nicht auffindbar ist. Dabei gebietet nicht zuletzt der in § 24 Abs. 1 Satz 1 AsylG und § 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG enthaltene Untersuchungsgrundsatz, dass das Bundesamt auf hinreichender Tatsachengrundlage von einer Unauffindbarkeit des Ausländers ausgeht. Dies gilt mit Blick auf die weitreichenden Folgen einer an das Nichtbetreiben anknüpfenden Entscheidung des Bundesamts für den Schutzsuchenden auch dann, wenn das Bundesamt dazu keine eigenen Feststellungen getroffen hat und sich auf die Mitteilungen anderer Behörden stützt. Von einem Untertauchen im Sinne von § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG kann das Bundesamt nur dann ausgehen, wenn es über hinreichende Kenntnisse des Sachverhalts verfügt; nur dann lässt sich beurteilen, ob der Ausländer tatsächlich für die Behörden nicht erreichbar ist. Legt die Mitteilung einer anderen Behörde ein Untertauchen nahe, ohne aber hinreichende Informationen über den tatsächlichen Sachverhalt, der Grundlage der Mitteilung ist, zu enthalten, ist das Bundesamt verpflichtet, sich diese zu beschaffen, wenn es nach § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylG vorgehen will.
15Vgl. VG Weimar, Beschluss vom 7. Dezember 2023 – 4 E 1428/23 We –, juris, Rn. 20 m.w.N.
16Diesen Anforderungen hat das Bundesamt vorliegend nicht genügt. Die Feststellung, der Antragsteller gelte als untergetaucht, weil weder dem Bundesamt noch der Ausländerbehörde sein derzeitiger Aufenthaltsort bekannt sei, beruht ausweislich der beigezogenen Akte des Bundesamtes allein auf der Mitteilung der Zentralen Ausländerbehörde Z. vom 00. 00 0000 (Beiakte, Heft 0, Blatt 00). Diese weist als Nachrichteninhalt lediglich „Fortzug nach unbekannt […] am: 0000-00-00“ aus. Auf welcher Tatsachengrundlage diese Mitteilung beruht, ist nicht erkennbar. So bleibt offen, ob der Antragsteller an seiner bis dato bekannten Wohnanschrift tatsächlich nicht mehr erreichbar gewesen ist, etwa weil Postsendungen nicht zugestellt werden konnten, oder aber er es beispielsweise lediglich versäumt hat, Veränderungen seines Aufenthaltsortes von kurzer Dauer den zuständigen Stellen mitzuteilen. In letztgenanntem Fall kann von einer Unerreichbarkeit für die staatlichen Behörden nicht ohne Weiteres ausgegangen werden. Die bloße Abfrage des Meldestandes im Ausländerzentralregister durch das Bundesamt am 00. 00 0000 (Beiakte, Heft 0, Blatt 00) reicht für die Annahme ausreichender eigener Feststellungen im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes nicht aus. So hätte es dem Bundesamt oblegen, bei der letzten Meldestelle, einer Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE), nachzufragen und zu ermitteln, ob der Antragsteller, wie von diesem in den gerichtlichen Verfahren behauptet, in Ausnahmefällen, in denen er die Unterkunft für mehrere Tage verlassen hat, immer zuvor die Erlaubnis der in der Unterkunft zuständigen Mitarbeiter des Bundesamtes eingeholt hat. Für die Richtigkeit der Angaben des Antragstellers spricht jedenfalls als Indiz der Umstand, dass der angefochtene Einstellungsbescheid nur wenige Tage nach der letzten Abfrage des Bundesamtes im Ausländerzentralregister dem Antragsteller persönlich gegenüber ohne Verzögerung gegen Empfangsbestätigung – wenn auch mit der unzutreffenden Angabe „Bescheid des Bundesamtes vom 20.03.2024“ ausgehändigt werden konnte, und zwar in der im Rubrum näher bezeichneten ZUE, der er offensichtlich zugewiesen war und noch immer ist (Beiakte, Heft 0, Blatt 000, 000). Es kann nach Aktenlage auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Meldung der Zentralen Ausländerbehörde Z. vom 00. 00 0000 auf dem Umstand beruht, dass der Antragsteller nach der Anhörung beim Bundesamt, die am 00. 00 0000 stattgefunden hat, umverteilt worden ist. Auch in diesem Fall wäre der Antragsteller für die staatlichen Behörden nicht unerreichbar gewesen. Im Verwaltungsvorgang existiert nämlich eine Ausfertigung des Bescheides vom 12. März 2024 mit der Angabe: „Zuletzt wohnhaft: EAE Z., D.-straße 00, 00000 Z.“ (Beiakte, Heft 0, Blatt 00). Dabei handelt es sich um dieselbe Anschrift wie in der am 00. 00 0000 ausgestellten Aufenthaltsgestattung (Beiakte, Heft 0, Blatt 00). Später wurde die Anschrift in dem Bescheid selbst geändert und dieser – wie bereits ausgeführt – erfolgreich zugestellt.
17Kann das Verfahren demnach nicht gemäß § 33 Abs. 1 AsylG rechtmäßig eingestellt werden, so kommen der Erlass einer Abschiebungsandrohung gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG in Verbindung mit § 59 und § 60 Abs. 10 AufenthG sowie § 38 Abs. 2 AsylG nicht in Betracht. Das Bundesamt wird angesichts des Vorbringens des Antragstellers in den gerichtlichen Verfahren zu prüfen haben, ob das Asylverfahren fortgeführt wird (§ 33 Abs. 2 Satz 3 AsylG).
18Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
19Der Gegenstandswert folgt unmittelbar aus § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG, ohne dass besondere Umstände des Einzelfalls für eine abweichende Festsetzung nach Abs. 2 vorliegen.
20Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).