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Die aufschiebende Wirkung der Klage 28 K 9312/23 des Antragstellers vom 21. Dezember 2023 gegen die Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 20. Dezember 2023 wird wiederhergestellt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
2Der am 21. Dezember 2023 gestellte Antrag des Antragstellers,
3die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 21. Dezember 2023 gegen die Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 20. Dezember 2023 wiederherzustellen,
4hat Erfolg.
5A. Der Antrag ist zulässig.
6I. Er ist statthaft.
7Bei der angegriffenen Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 20. Dezember 2023 handelt es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 35 Satz 2 VwVfG, denn die Verfügung richtet sich mit der Gestattung der Durchführung der Entnahme der Wölfin GW954f für bestimmte Jagdausübungsberechtigte (vgl. Ziff. 4 und 5 der Allgemeinverfügung vom 20. Dezember 2023) an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten Personenkreis. Der gegen diesen Verwaltungsakt vom Antragsteller erhobenen Klage kommt aufgrund der Anordnung der sofortigen Vollziehung keine aufschiebende Wirkung zu, weil der Antragsgegner in Ziff. 8 die sofortige Vollziehung dieser Genehmigung angeordnet hat. Die – zeitgleich mit dem Antrag erhobene – Klage ist auch nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet. Insbesondere bedurfte es gemäß § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO i.V.m. § 110 Abs. 1 Satz 1 JustizG NRW vor der Erhebung der Anfechtungsklage keines Vorverfahrens gegen die Allgemeinverfügung und die Klagefrist ist gewahrt.
8II. Der Antragsteller ist auch antragsbefugt.
9Entgegen der sonst analog § 42 Abs. 2 VwGO erforderlichen Verletzung in subjektiven Rechten durch die angegriffene Maßnahme sind anerkannte Naturschutzvereinigungen nach § 64 BNatSchG berechtigt, gegen naturschutzrechtliche Maßnahmen nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 und Abs. 2 Nr. 4a bis 7 BNatSchG Rechtsbehelfe einzulegen. Voraussetzung ist dabei lediglich, dass die Maßnahme im satzungsgemäßen Aufgaben- und Tätigkeitsbereich der Vereinigung liegt (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG), eine Verletzung naturschutzrechtlicher Vorschriften durch die Maßnahme geltend gemacht wird (§ 64 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG) und die Vereinigung ihr Mitwirkungsrecht bereits im behördlichen Verfahren ausgeübt hat (§ 64 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG).
10Diese Voraussetzungen sind im gegenständlichen Verfahren erfüllt. Der Antragsteller ist eine landesrechtlich anerkannte Naturschutzvereinigung i. S. d. § 63 Abs. 2 BNatSchG. Er verfolgt gemäß § 1 Abs. 2 seiner Satzung (vgl. https://www.bund-nrw.de/fileadmin/nrw/dokumente/BUND_NRW/satzung-bund-nrw.pdf) u.a. das Ziel, die Natur und naturgemäße Umwelt zur Erhaltung und Wiederherstellung der naturbedingten Einheit von Leben und Umwelt zu schützen und zu pflegen. Gemäß § 1 Abs. 3 Buchstabe e) der Satzung macht er sich insoweit u. a. zur Aufgabe, für einen konsequenten Vollzug der die Umwelt schützenden Gesetze einzutreten und gem. § 1 Buchstabe f) Schädigungen der Lebensgrundlagen, insbesondere der Natur, des Naturhaushaltes und der Landschaft sowie natur-, landschafts- und umweltfeindliche Planungen abzuwehren. Hinsichtlich der Allgemeinverfügung macht er nach § 64 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 2 Nr. 4b BNatSchG statthafterweise die Verletzung der Vorgaben des § 45 Abs. 7 BNatSchG geltend. Bereits im behördlichen Verfahren hat er insoweit mit Schreiben vom 18. Dezember 2023 entsprechende Einwendungen vorgebracht.
11Im Übrigen ist der Antragsteller auch als bundesrechtlich anerkannte Naturschutzvereinigung antragsbefugt. Die Antragsbefugnis folgt insoweit aus § 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG. Die Entscheidung über die Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahme fällt bei unionsrechtskonformer Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG ebenfalls unter den Begriff des umweltbezogenen Vorhabens.
12Vgl. BayVGH, Urteil vom 1. Oktober 2019 - 14 BV 17.1278 -, juris Rn. 29 ff.; VG München, Beschluss vom 21. Januar 2022 - M 19 S 22.295-, juris Rn. 16 ff.
13B. Der Antrag ist auch begründet.
14Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung einer Klage im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Bei dieser Entscheidung hat das Gericht eine Interessenabwägung vorzunehmen, in der das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts gegenüberzustellen ist.
15Ausgangspunkt dieser Interessenabwägung ist eine – im Rahmen des Eilrechtsschutzes allein mögliche und gebotene summarische – Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Ergibt die Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers und ist deshalb die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wiederherzustellen. Denn an der Vollziehung eines ersichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakts kann grundsätzlich kein öffentliches Vollzugsinteresse bestehen. Erweist sich der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig, überwiegt das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse des Antragstellers dann, wenn zusätzlich ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts besteht. Denn die behördliche Vollziehungsanordnung stellt eine Ausnahme vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO dar und bedarf deswegen einer besonderen Rechtfertigung. Erscheinen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, ist die Entscheidung auf der Grundlage einer umfassenden Folgenabwägung zu treffen.
16Die vorzunehmende Interessenabwägung erfordert eine umso eingehendere Prüfung der Sach- und Rechtslage, desto schwerwiegender der drohende Eingriff ist bzw. desto schwerer ein etwaiger Eingriff wieder rückgängig zu machen ist.
17Vgl. W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl. 2023, § 80 Rn. 127.
18Vorliegend ist dabei zu berücksichtigen, dass auf der einen Seite bei sofortiger Vollziehung mit der Tötung der Wölfin / eines Wolfs ein irreversibler Schaden droht, auf der anderen Seite jedoch die Aussetzung der Vollziehung der bis zum 15. Februar 2024 befristeten Allgemeinverfügung zur Erledigung der Hauptsache führen wird, mit der Folge, dass der mit der Verfügung verfolgte Zweck, weitere landwirtschaftliche Schäden abzuwenden, bis auf Weiteres nicht mehr erreicht werden kann.
19I. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hat nicht bereits unabhängig von der vorzunehmenden Interessenabwägung Erfolg, weil etwa die Vollziehungsanordnung formell rechtswidrig wäre. Die Vollziehungsanordnung genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Danach ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen.
20Vgl. zu den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO OVG NRW, Beschlüsse vom 11. Februar 2014 - 15 B 69/14 -, juris Rn. 8 ff., und vom 30. September 2014 - 1 B 1001/14 -, juris Rn. 5 ff.
21Sie erschöpft sich nicht in formelhaften und abstrakten Angaben. Der Antragsgegner war sich des Ausnahmecharakters des Sofortvollzuges bewusst. Er hat, wie seine Ausführungen zu Ziff. 8 unter IV. der Begründung der Allgemeinverfügung zu erkennen geben, das öffentliche Interesse an der Durchsetzung dieser Verfügung sowie das öffentliche Interesse an Tier- und Naturschutz gegeneinander abgewogen und eingehend dargelegt, dass und weshalb er die sofortige Vollziehung ausnahmsweise für geboten hält. Ob und inwieweit die von der Behörde dargelegten Gründe inhaltlich zutreffen, ist dagegen für die Einhaltung des nur formellen Begründungserfordernisses ohne Bedeutung. Auch einer Auseinandersetzung mit den entgegenstehenden Interessen des Antragstellers bedarf es im Rahmen der Begründung der Sofortvollzugsanordnung nicht. Diese Abwägung ist der gerichtlichen Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung vorbehalten.
22Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Juli 2015 - 8 S 534/15 -, juris Rn. 18, m. w. N.
23II. Ausgehend von den oben dargestellten Maßstäben fällt die vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten des Antragsgegners aus. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat in der Sache Erfolg, weil bei vorläufiger Beurteilung der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens angesichts der kurzfristig erforderlichen Entscheidung nur eingeschränkt möglichen Überprüfung der Sach- und Rechtslage Überwiegendes für die Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung vom 20. Dezember 2023 spricht und daher kein besonderes Interesse an ihrer sofortigen Vollziehung besteht.
24Ob die Ausnahmegenehmigung formell rechtswidrig ist, weil diese – wie der Antragsteller meint – nur auf Antrag eines betroffenen Landwirts erteilt werden darf, der hier offensichtlich nicht vorliegt, kann ebenso dahinstehen wie die Frage, ob die Beteiligung des Antragstellers als anerkannte Umwelt- und Naturschutzvereinigung im Verwaltungsverfahren den gesetzlichen Anforderungen genügt oder – wie der Antragsteller vorträgt – sich als defizitär erweist und ob eine etwaige Verletzung von Beteiligungsrechten die Rechtswidrigkeit der Verfügung und ihre Aufhebung im Hauptsacheverfahren zur Folge hätte.
25Denn die Kammer hat erhebliche Bedenken im Hinblick auf die materielle Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung.
26Der Antragsgegner stützt die Erteilung der Ausnahme durch seine Allgemeinverfügung auf § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 BNatSchG. Danach können die zuständigen Naturschutzbehörden unter anderem von den Verboten des § 44 BNatSchG, mithin auch von dem artenschutzrechtlichen Tötungs- und Entnahmeverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG, unter das als besonders und streng geschützte Art (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 13 und 14 BNatSchG) der Wolf fällt, Ausnahmen zur Abwendung ernster land-, forst-, fischerei-, wasser- oder sonstiger ernster wirtschaftlicher Schäden zulassen. Eine Ausnahme darf nach § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG nur zugelassen werden, wenn zumutbare Alternativen nicht gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der Populationen einer Art nicht verschlechtert, soweit nicht Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 92/43/EWG weitergehende Anforderungen enthält.
27Es bestehen erhebliche Zweifel daran, dass die Voraussetzungen dieser Norm für die Erteilung der Ausnahme erfüllt sind. Der Antragsgegner hat nicht ausreichend schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass die erteilte Ausnahmegenehmigung zur Abwendung ernster landwirtschaftlicher Schäden geboten ist.
281. § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG gewährt eine Ausnahme zum Zwecke der Abwendung von Schäden im Bereich der Land-, Forst-, Fischerei- und Wasserwirtschaft, soweit diese „ernst“ sind. Der Ausnahmegrund findet seine Entsprechung in Art. 16 Abs. 1 Buchstabe b) Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (FFH-RL). Danach können die Mitgliedstaaten u. a. von den Bestimmungen der Art. 12 und 13 FFH-RL zur Verhütung ernster Schäden insbesondere an Kulturen und in der Tierhaltung sowie an Wäldern, Fischgründen und Gewässern sowie an sonstigen Formen von Eigentum abweichen.
29Nach § 5 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von Ausnahmen von den Schutzvorschriften für den Wolf (Wolfsverordnung Nordrhein-Westfalen - WolfsVO NRW) vom 25. März 2022 liegt ein ernster wirtschaftlicher Schaden im Sinne von § 45 Absatz 7 Satz 1 Nummer 1 BNatSchG vor, wenn die oberste Naturschutzbehörde auf Grundlage von Dokumenten des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) bestätigt, dass ein Schaden droht, der mehr als nur geringfügig und damit von einigem Gewicht ist. Abs. 2 der Vorschrift stellt klar, dass die Pflicht zur Prüfung der sonstigen Voraussetzungen des § 45 Absatz 7 Satz 2 BNatSchG vor Erteilung der Ausnahme unberührt bleibt.
30§ 45 Abs. 7 BNatSchG dient allgemein dazu, Ausnahmen zu regeln, die aus Gründen des öffentlichen Interesses in Betracht kommen. Mit dem Begriffswechsel durch die Änderung im Gesetz vom 4. März 2020 von „erheblich“ auf „ernst“ soll zwar immer noch zum Ausdruck gebracht werden, dass ein mehr als nur geringfügiger Schaden vorliegen bzw. zu erwarten sein muss, es aber keiner unzumutbaren Belastung, insbesondere keiner Existenzgefährdung oder eines unerträglichen Eingriffs in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, bedarf.
31Vgl. Lau, in: Frenz / Müggenborg, BNatSchG, 3. Aufl. 2021, § 45 BNatSchG Rn. 17.
32Dieser Begriff entstammt dem an Art. 9 Abs. 1 Spiegelstr. 2 des Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume (Berner Konvention) vom 19. September 1979 eng angelehnten Art. 16 Abs. 1 Buchstabe b) FFH-RL, stimmt mit jenem des „erheblichen“ Schadens im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchstabe a), Spiegelstr. 3 der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten überein und ist im Lichte dieser Regelungsvorgaben zu interpretieren. Da diese EU-rechtlichen Termini ihrer Funktion nach die rechtliche Grenzlinie zwischen dem eigentumsrechtlich Hinnehmbaren und solchen Belastungen markieren, die dem Eigentümer auch in Ansehung der besonderen Bedeutung des Artenschutzes nicht mehr zumutbar sind, kann von einem ernsten Schaden im Sinne des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG nur gesprochen werden, wenn die Pflicht zur Beachtung der artenschutzrechtlichen Verbote in Ansehung der Gegebenheiten des Einzelfalles grundrechtsrelevante Ausmaße erreicht.
33Vgl. Landmann/Rohmer UmweltR/Gellermann, 102. EL September 2023, BNatSchG § 45 Rn. 23, m.w.N.
34Für die zu erstellende Gefahrenprognose kommt es nicht darauf an, ob bereits ein ernster Schaden eingetreten ist, sondern ob ein solcher Schaden in der Zukunft droht.
35Vgl. Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 24. November 2020 - 4 ME 199/20 -, juris Rn. 11 und vom 26. Juni 2020 - 4 ME 116/20 -, juris Rn. 24.
36Dies folgt aus der vom Gesetzgeber verwendeten Formulierung, dass die Ausnahmen „zur Abwendung“ von Schäden zugelassen werden können. Neben möglichen zukünftigen Schadenereignissen sind aber bereits erfolgte Rissereignisse bzw. Schäden in die Gefahrenprognose mit einzubeziehen.
37Vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 22. Februar 2019 - 4 ME 48/19 -, juris Rn 6; VG Oldenburg, Beschluss vom 15. Februar 2019 - 5 B 472/19 -, juris Rn. 16; Rüwe, Wege zur Tötung sogenannter Problemwölfe unter Berücksichtigung der vom Bundestag beschlossenen zweiten Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes, NdsVBl 2020, 65 (68).
38Nicht ausreichend ist eine abstrakte Gefährdung, vielmehr bedarf es deutlicher Anhaltspunkte für konkrete Gefährdungen.
39Vgl. Köck, Der Schutz des Wolfes und die Möglichkeiten der Entnahme in Deutschland - Status quo und Perspektiven -, NuR 2018, 812 (814); Rüwe, a.a.O., 2020, 65 (69).
40Auch nach der Gesetzesänderung verbleibt es zudem dabei, dass lediglich in Bezug auf die berufsmäßige Land-, Forst-, Fischerei-, Wasser- oder sonstige Wirtschaft die Ausnahme nach § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 eröffnet ist,
41vgl. Lau in: Frenz/ Müggenborg, BNatSchG, 3. Aufl. 2021, § 45 BNatSchG Rn. 17; Landmann/Rohmer UmweltR/Gellermann, 102. EL September 2023, BNatSchG § 45 Rn. 23,
42wobei gemäß § 45a Abs. 2 Satz 2 BNatSchG ernste wirtschaftliche Schäden auch dann drohen können, wenn ein Wolf nicht landwirtschaftlich gehaltene Weidetiere reißt, soweit diese durch zumutbare Herdenschutzmaßnahmen geschützt waren. Hintergrund dieses Schutzes auch von Hobbyhaltern ist die Tatsache, dass nach Überwindung von Herdenschutzmaßnahmen bei Hobbyhaltern durch den Wolf auch das Überwinden derartiger Maßnahmen bei anderen Halten und damit auch bei landwirtschaftlichen Betrieben befürchtet wird.
43Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, BT-Drs. 19/16148, S. 9)
44Voraussetzung ist daher nach § 45a Abs. 2 Satz 2 BNatSchG auch, dass die Weidetiere durch zumutbare Herdenschutzmaßnahmen geschützt waren. Der Gesetzgeber betont damit gerade in Fällen der Hobbyhalter den Vorrang von Herdenschutzmaßnahmen gegenüber einer Entnahme von Wölfen.
45Vgl. BeckOK UmweltR/Gläß, 68. Ed. 1.10.2023, BNatSchG § 45a Rn. 9.
46Im Rahmen der Schadensprognose ist unerheblich, dass das Land NRW als Ausgleich von Schäden an Nutz- und Haustieren Billigkeitsleistungen gewährt. Zwar werden gerissene Weide- oder Haustiere nach Bestätigung der Verletzung oder des Todes durch Wolfsübergriffe nach Antrag bei den Bezirksregierungen entschädigt, sofern die entsprechenden Voraussetzungen dafür erfüllt werden.
47Vgl. im Einzelnen dazu: Richtlinien über die Gewährung von Billigkeitsleistungen und Zuwendungen zur Minderung oder Vermeidung von durch den Wolf verursachten wirtschaftlichen Belastungen (Förderrichtlinien Wolf), Runderlass des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz - III-4 - 615.14.01.01 - vom 3. Februar 2017 mit Stand vom 12. Juli 2023.
48Doch ist für die Prüfung der Erheblichkeit des drohenden Schadens nicht von einem rein wirtschaftlich-monetären Schadensverständnis auszugehen. Art. 16 Abs. 1 Buchst. b) FFH-Richtlinie, deren Umsetzung § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG dient, trägt dem grundrechtlichen Schutz des Privateigentums im Unionsrecht Rechnung, so dass für § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG Entsprechendes zu gelten hat. Mit jedem Riss tritt eine Eigentumsverletzung (Art. 14 GG) und damit ein landwirtschaftlicher Schaden ein. Daher wird eine verursachte Eigentumsverletzung durch eine Kompensationsleistung Dritter nicht unbeachtlich.
49Vgl. Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 26. Juni 2020 - 4 ME 97/20 -, juris Rn. 30, und vom 22. Februar 2019 - 4 ME 48/19 -, juris Rn. 6; VG Oldenburg, Beschluss vom 15. Februar 2019 - 5 B 472/19 -, juris Rn. 19; Rüwe, a, a. O., 65 (69).
50Je ernster der Schaden ist, den es abzuwenden gilt, desto geringere Anforderungen sind an den Grad der Wahrscheinlichkeit zu stellen. Die Schadensprognose hat nicht schematisch zu erfolgen und hängt nicht pauschal von einer bestimmten Mindestzahl von Rissvorfällen innerhalb eines Jahres ab. Es kommt vielmehr auf eine einzelfallbezogene Würdigung der konkreten Umstände an.
51Vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 24. November 2020 - 4 ME 199/20 -, juris Rn. 19; VG Düsseldorf, Urteil vom 6. Mai 2021 - 28 K 4055/20 -, juris Rn. 52 ff.
52Ein bereits eingetretener ernster Schaden stellt zwar ein gewichtiges Indiz dafür dar, dass zukünftig weitere ernste Schäden drohen, die es abzuwenden gilt. Ist in der Vergangenheit ein ernster Schaden eingetreten, so führt dies jedoch nicht zwingend zu der Schlussfolgerung, dass auch in Zukunft ein ernster Schaden droht. Haben sich z. B. Faktoren verändert, die Einfluss auf die Art und Weise und / oder die Häufigkeit von Wolfsübergriffen haben können, so ist dem in der Gefahrenprognose Rechnung zu tragen.
53Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 6. Mai 2021 - 28 K 4055/20 -, juris Rn. 71.
54Parameter für die Schadensprognose im Einzelfall können insbesondere sein: Häufigkeit des Überwindens des zumutbaren, ordnungsgemäß errichteten und funktionstüchtig betriebenen Herdenschutzes, enger zeitlicher Zusammenhang der Rissereignisse, enger räumlicher Zusammenhang (maximal die Größe eines Territoriums), Lernverhalten des Wolfes, Anzeichen einer Verhaltensänderung des betreffenden Wolfs.
55Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 6. Mai 2021 - 28 K 4055/20 -, juris Rn. 73.
56Rissereignisse können dann in die Schadensprognose einfließen, wenn der zumutbare Herdenschutz korrekt angewendet wurde. Hierbei sind solche Schutzvorkehrungen regelmäßig als zumutbar anzusehen, die im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung der fachrechtlich vorgegeben, betrieblichen und tatsächlichen Gegebenheiten von einem Weidetierhalter zu erwarten sind. Nutztierrisse an unzureichend oder nicht geschützten Herden können nicht zur Rechtfertigung einer Entnahme herangezogen werden, sofern der Herdenschutz in zumutbarer Weise errichtet werden kann. Solche Nutztierrisse lassen keinen Rückschluss darauf zu, ob auch bei sachgerechter Anwendung von Herdenschutzmaßnahmen mit weiteren Rissereignissen zu rechnen ist. Ein Riss ist dann lediglich ein Zufallsereignis, bei welchem kein auf die Erbeutung von Nutztieren spezialisiertes bzw. schadenstiftendes Jagdverhalten vorliegt.
57Vgl. Praxisleitfaden zur Erteilung artenschutzrechtlicher Ausnahmen nach §§ 45 und 45a BNatSchG beim Wolf, insbesondere bei Nutztierrissen, Praxisorientierte Prüfabfolge und Prüfinhalte auf Basis der aktuellen rechtlichen Grundlagen (Fassung UMK-Umlaufverfahren Oktober 2021), S. 17.
58Nach diesen Grundsätzen vermag die Kammer auf Grundlage der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zur Verfügung stehenden Erkenntnisse bei einer Gesamtschau der bisherigen Rissereignisse unter Berücksichtigung des zumutbaren Herdenschutzes die Schadensprognose des Antragsgegners nicht zu teilen.
59Bei der Zumutbarkeit von Herdenschutzmaßnahmen ist zwischen dem Grundschutz und dem empfohlenen Schutz zu unterscheiden. Gemäß Ziff. 2.4.1.2 Satz 1 der Förderrichtlinien Wolf können Billigkeitsleistungen innerhalb eines bekanntgegebenen Wolfsgebiets gewährt werden, wenn neben der Erfüllung weiterer – hier nicht relevanter Voraussetzungen – bei der Haltung von Schafen, Ziegen und Gehegewild vor dem Schadenseintritt folgender Grundschutz bestand:
60a) ein mindestens 90 Zentimeter hohes stromführendes Elektronetz oder ein Zaun mit mindestens fünf stromführenden Litzen (untere stromführende Litze maximal 20 Zentimeter über dem Boden), die jeweils über eine Spannung von mindestens 2,5 Kilovolt und 2 Joule Entladungsenergie verfügen, oder
61b) ein stationärer Zaun von mindestens 120 Zentimeter Höhe mit einem Untergrabeschutz (mit einem bodengleichen Spanndraht oder stromführender Litze) oder
62c) für Gehegewild ein mindestens 180 Zentimeter hohes Knotengitter oder Maschendrahtzaun mit jeweiligem Untergrabeschutz.
63Für den optimalen Schutz und in Fällen, in denen Maßnahmen des Mindestschutzes von Wölfen überwunden wurden, werden vom Bundesamt für Naturschutz (BfN),
64vgl. Empfehlungen zum Schutz von Weidetieren und Gehegewild vor dem Wolf (BfN-Skripten 530, 2019), S. 7, Ziff. 1.3.1,
65elektrische Zäune mit folgenden Eigenschaften bzw. in folgender Kombination empfohlen:
66- mind. 120 cm Höhe, straff gespannt und bodenbündiger Abschluss (Netzzaun) bzw. unterster Draht/Litze bei max. 20 cm;
67- niedrigere Netzzäune (≥ 90 cm) können durch eine zusätzliche oder integrierte Breitbandlitze auf 120 cm Höhe aufgestockt werden; alternativ können sie auch in Kombination mit Herdenschutzhunden (siehe Einsatz von Herdenschutzhunden zur Weidetiersicherung) eingesetzt werden
68- Draht-/Litzenzäune sollten aus mind. fünf Drähten/Litzen bestehen (Abstand vom Boden 20, 40, 60, 90, 120 cm)
69Bereits in ihrem Urteil vom 6. Mai 2021 hat die Kammer unter Auswertung sämtlicher bis dahin dokumentierter Rissereignisse (Stand der Tabelle: 22. Februar 2021) aufgrund der seinerzeit vorliegenden Erkenntnisse im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht die notwendige Überzeugung gewinnen können, dass sich die Wölfin GW954f, der es mehrfach gelungen war, den nach den seinerzeit geltenden Förderrichtlinien Wolf mit Stand vom 29. Dezember 2020 erforderlichen Grundschutz, in Einzelfällen auch den von Bundesamt für Naturschutz in seinem Skript empfohlenen Herdenschutz zu überwinden, zunehmend auf die Bejagung von Schafen spezialisiert hätte und Herdenschutzzäune hiergegen keinen Schutz mehr bieten würden.
70Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 6. Mai 2021 - 28 K 4055/20 -, juris Rn. 75.
71Dabei war dem in jenem Verfahren klagenden Schäfer bereits nachweislich ein ernster landwirtschaftlicher Schaden in seinem Betrieb durch Wolfsübergriffe mit nachgewiesener überwiegender Beteiligung der Wölfin GW954f entstanden, bei denen 25 Schafe getötet und vier Schafe verletzt wurden. Ausschlaggebend für die seinerzeitige Prognose, es drohe in Zukunft nicht (mehr) mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ein ernster landwirtschaftlicher Schaden, war die Auswertung des Rissverhaltens, die darauf schließen ließ, dass die Wölfin GW954f weiterhin diejenige Beute bevorzugte, die für sie leichter zu erreichen war. Aus den zahlreichen – nach diesen beim betroffenen Schafhalter aufgetretenen Rissvorkommnissen – dokumentierten Wolfsübergriffen bei anderen Tierhaltern, bei denen schon der Grundschutz nicht gewährleistet war, leitete die Kammer in ihrer seinerzeitigen Entscheidung ab, dass der klageführende Schäfer auch zukünftig bei Einhaltung des Herdenschutzes nur mit geringer Wahrscheinlichkeit der Gefahr ausgesetzt wäre, dass die Wölfin GW954f oder ein von ihr "angelerntes" Tier, unter Überwindung des von ihm eingehaltenen Herdenschutzes Tiere aus seiner Herde reißen werde.
72Seit dem 22. Februar 2021 wurde gemäß der Aufstellung in der angefochtenen Allgemeinverfügung bei nachfolgend aufgeführten Rissvorfällen die Wölfin GW954f nachgewiesen:
73Im Jahr 2021 am 1. März, 27. August, 2. September, 28. September, 29. Oktober und 3. November, wobei mit Ausnahme der Übergriffe am 1. März und 29. Oktober nicht einmal vorhandener Grundschutz überwunden werden musste.
74Im Jahr 2022 am 30. Januar, 14. Juli, 20. August, 29. August, 20. September, 22. September, 10. Oktober, 13. Oktober und 9. November, wobei ganz überwiegend kein Grundschutz gegeben war. Lediglich in drei Fällen war Grundschutz vorhanden, allerdings jeweils – gemäß LANUV – mit Mängeln. Für das Schadensereignis am 20. August ist in der dem Schreiben des LANUV vom 10. Juli 2023 beigefügten Tabelle, in der 188 Nutztierrisse aufgelistet werden, in Bezug auf den als mit Mängeln bewerteten Grundschutz vermerkt: „Elektronetz 96-110 cm an drei Seiten (älteres Weidezaungerät 1,5 J).“ Für den 20. September ist in der Tabelle eingetragen: „Elektronetz 102-109 cm, nur 1 Erdungsstab“. Für den 9. November ist vermerkt: „Elektronetz 130-145 cm (Verbindung Weidezaungerät mit Zaun und Erdung nicht optimal)“.
75Im Jahr 2023 am 28. Februar, 13. März, 2. September, 27. September, 30. September, 2. Oktober, 20. Oktober, 21. Oktober, 24. Oktober und 31. Oktober, wobei am 13. März der Grundschutz und am 20. Oktober, 21. Oktober und 24. Oktober jeweils der empfohlene Schutz überwunden wurde. Auch am 2. September wurde ausweislich der oben genannte Tabelle der empfohlene Schutz überwunden, allerdings mit der Besonderheit, dass der Grundschutz mängelbehaftet war. Insoweit enthält die Tabelle den Eintrag: „Elektronetz 120 cm, ergänzt durch Litzenzaun; das Elektronetz war an einer Stelle umgebogen“.
76Das Gericht geht – wie schon in seinem Urteil vom 6. Mai 2021 – auch heute noch davon aus, dass in einem Wolfsterritorium ein hundertprozentiger Schutz vor Wolfsübergriffen nicht zu erreichen sein wird und es in Einzelfällen dem Wolf auch gelingen mag, empfohlenen Herdenschutz zu überwinden. Das bisherige Verhalten der Wölfin GW954f zeigt aber, dass Wildtiere nach wie vor eine gewichtige, wenn nicht sogar die Hauptquelle ihrer eigenen Ernährung und der Ernährung des Rudels bilden, denn wie schon in den Jahren 2020 und 2021 kann sich auch in den Jahren 2022 und 2023 die Wölfin, erst recht nicht das Rudel, in ausreichender Weise alleine mittels der dokumentierten Risse ernährt haben. Dies wird schon daraus deutlich, dass gemäß der in der angegriffenen Verfügung dargestellten Tabelle, welche diejenigen Rissvorfälle listet, in denen GW954f als Individuum nachgewiesen oder wegen nicht möglicher bzw. noch ausstehender Individualisierung vermutet wird (HW02), im Territorium Schermbeck zwischen dem 30. Januar 2022 und dem 14. Juli 2022 sowie zwischen dem 13. März 2023 und dem 2. September 2023 keine Risse verzeichnet sind. Zu Recht haben im seinerzeitigen Klageverfahren der Beklagte und das beigeladene Land in diesem Zusammenhang auf das reiche Nahrungsangebot an Wildtieren im Wolfsterritorium verwiesen.
77Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 6. Mai 2021 - 28 K 4055/20 -, juris Rn. 91.
78Noch in seinem Bericht vom 10. Juli 2023 an das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (MUNV),
79vgl. LANUV, Wolfsmonitoring NRW, Nutztierrisse in NRW vom 10. Juli 2023,
80hat das LANUV auf Grundlage der bis dahin zur Verfügung stehenden Daten ausdrücklich festgestellt, es gebe in keinem Territorium Anzeichen für eine Verhaltensänderung des betreffenden Wolfs. Seit fast zwei Jahren habe es in NRW keinen Nutztierriss hinter zumutbaren und korrekt angewandten Herdenschutzmaßnahmen gegeben. In NRW sei bei den Dokumentationen der 188 Nutztierrisse bislang in 46 Fällen (ca. 25 %) mindestens ein Grundschutz im Sinne der Förderrichtlinien Wolf NRW festgestellt worden. Oftmals ließen sich auch in diesen Fällen kleinere Mängel dokumentieren. In Einzelfällen seien die dem Grundschutz entsprechenden Zäune umgerissen und die Funktionstüchtigkeit des Grundschutzes zum Schadenszeitpunkt zu Gunsten der Nutztierhalter als gegeben bewertet worden.
81Zur Häufigkeit des Überwindens des Herdenschutzes (hier: Grundschutz im Sinne der Förderrichtlinien Wolf) führte das LANUV in dieser Stellungnahme an das MUNV sodann wörtlich aus:
82„Im Wolfsgebiet Schermbeck wurden bislang 25 Nutztierrisse dokumentiert, bei denen ein Grundschutz im Sinne der Förderrichtlinien Wolf festgestellt wurde. Die Verteilung auf die einzelnen Jahre seit 2018 (Ansiedlung der Fähe GW954f) zeigt die Abbildung 3. Die Trendlinie zeigt sowohl für die Zahl insgesamt betroffenen Nutztiere als auch für die Anzahl der Nutztierrisse ein Bestimmtheitsmaß von 45 bzw. 30 % und damit einen sehr geringen Zusammenhang zwischen den Zahlen der einzelnen Jahre. Die hohe Anzahl getöteter Tiere in 2019 und 2023 geht jeweils auf ein „Surplus-Killing“- Ereignis (s.o.) zurück, das für mehr als die Hälfte der insgesamt betroffenen Nutztiere verantwortlich ist. Die leichte Abnahme der Trendlinie für die Anzahl der Nutztierrisse sollte nicht überinterpretiert werden. Das Jahr 2023 ist wie bei allen anderen Auswertungen nur bis zum Mai berücksichtigt worden. Ein echter Trend ist hier nicht erkennbar. In 24 der 25 betrachteten Nutztierfälle seit 2018 wurde die Wölfin GW954f genetisch nachgewiesen.“
83Zum zeitlichen Zusammenhang von Rissereignissen unter Überwindung des Herdenschutzes unterschied das LANUV im genannten Schreiben zwischen zweimaliger und mehrfacher Überwindung des Herdenschutzes im Territorium Schermbeck wie folgt:
84„Hier liegen zwischen den Nutztierrissen mit Überwindung mindestens des Grundschutzes in acht Fällen weniger als vier Wochen. Sechs der Nutztierrisse fanden dabei in einem zeitlichen Abstand von weniger als einer Woche statt (09.12.2018 bis 13.12.2018, 23.06.2019 bis 26.06.2019, 11.11.2019 bis 17.11.2019, 19.12.2019 bis 24.12.2019, 26.08.2020 bis 27.08.2020, 08.11.2022 bis 09.11.2022). Das Gros der Nutztierrisse mit zweifacher Überwindung des Herdenschutzes (n=16) findet in einem längeren Zeitraum als vier Wochen statt.
85Zwischen den Nutztierrissen mit mehrfacher Überwindung des Herdenschutzes liegen im Regelfall mehr als vier Wochen. Ein zeitlicher Zusammenhang von 2- 4 Wochen mit mehrfacher Überwindung des Herdenschutzes konnte einmal im Jahr 2019 dokumentiert werden (23.06.2019, 26.06.2019, 12.07.2019). Im Jahr 2023 hat es seit dem 13.03.2023 keinen Nutztierriss im Territorium Schermbeck gegeben.“
86Im Rahmen seiner Schadensprognose zog das LANUV in dem zuvor genannten Schreiben zwei weitere Parameter heran:
87„Für die Schadenprognose müssen aufgrund dieser Sachverhalte zwei weitere Parameter beurteilt werden. Ein Lernverhalten des Wolfes muss auf ein individuell erlerntes, gezieltes Überwinden von Herdenschutzmaßnahmen hindeuten. Im Territorium Leuscheid ist dies nicht der Fall. Nachweislich nutzt der Rüde GW1896m Nutztierbestände hinter Festzäunen wie hinter Elektronetzen gleichermaßen (siehe beigefügte Datengrundlage). Eine Spezialisierung auf eine bestimmte Herdenschutzmaßnahme ist nicht zu erkennen. Kleinere Schwächen in der Zäunung werden von ihm gefunden und ausgenutzt (z.B. Untergrabeschutz nicht vorhanden bzw. unvollständig). Gleiches gilt für das Territorium Schermbeck. Die Fähe GW954f wurde hinter Nutztierbeständen mit Elektronetzen, Drahtlitzenzäunen sowie Festzäunen nachgewiesen. Auch sie nutzt nachweislich kleinere Schwächen in der Zäunung (siehe beigefügte Datengrundlage). Zwischen den Nutztierfällen liegen teils mehrere Monate, in denen sich die Tiere von natürlicher Beute ernähren müssen.
88Es gibt in keinem Territorium Anzeichen für eine Verhaltensänderung des betreffenden Wolfs. Wölfe sind opportunistische Beutegreifer und nehmen die Beutetiere, die am leichtesten erreichbar sind. Dazu gehören nach den vorliegenden Daten Nutztiere, die nicht mit Herdenschutzmaßnahmen geschützt sind. Knapp dreiviertel aller Nutztierrisse seit 2018 fanden hinter Zäunen statt, bei denen kein Grundschutz im Sinne der Förderrichtlinien Wolf vorhanden war. Dazu gehören aber auch Nutztiere, die mit Grundschutz geschützt sind, wenn diese Maßnahmen nicht komplett oder sachgerecht durchgeführt wurden. Das LANUV empfiehlt daher seit 2018, bei der Förderung von Herdenschutzmaßnahmen, den fördernden Institutionen (zunächst die Bezirksregierungen, seit 2021 die Landwirtschaftskammer) auf die Angaben nach BfN & DBBW (2019) zurückzugreifen und möglichst empfohlene und zumutbare Maßnahmen zu fördern. Der letzte Vorfall, bei dem ein empfohlener Schutz mutmaßlich überwunden wurde, stammt aus dem Jahr 2021. Dies zeigt die Wirksamkeit des empfohlenen Herdenschutzes. In den Monaten mit hoher Verfügbarkeit an natürlicher Beute (Frühjahr, Sommer mit vielen Jungtieren von Rehwild, Damwild, Rotwild, eingeschränkt auch Wildschweine) ernähren sich die Wölfe überwiegend von diesen Beutetieren.“
89Eine Verhaltensänderung von GW954f vermag die Kammer auf der vorhandenen Datengrundlage nicht zu erkennen. Sie erschließt sich weder aus den dem Gericht vorliegenden Stellungnahmen des MUNV noch aus Äußerungen des LANUV. Dass die Wölfin empfohlenen Herdenschutz überwinden kann, ist keine neue Erkenntnis, sondern hat sich schon in früheren Jahren gezeigt. Diese Übergriffe stellen aber nach den vorhandenen Daten erkennbar Ausnahmen dar, wie aus der Auswertung des LANUV im Bericht vom 10. Juli 2023 hervorgeht, wonach bis dahin knapp dreiviertel aller Nutztierrisse seit 2018 hinter Zäunen stattfanden, bei denen kein Grundschutz im Sinne der Förderrichtlinien Wolf vorhanden war oder die Grundschutzmaßnahmen nicht komplett oder sachgerecht durchgeführt wurden. Das LANUV betonte in dieser Stellungnahme die Wirksamkeit des empfohlenen Herdenschutzes.
90Die Allgemeinverfügung und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge geben keinen Aufschluss darüber, ob und ggf. mit welchen Erwägungen das LANUV, auf dessen Datengrundlage die Bestätigung des MUNV vom 22. November 2023 und 8. Dezember 2023 im Sinne des § 5 Abs. 1 WolfsVO NRW basiert, es drohe nunmehr ein ernster landwirtschaftlicher Schaden, nach dem 10. Juli 2023 zu einer anderen Einschätzung gelangt ist.
91Die Allgemeinverfügung beschränkt sich – unter Verweis auf § 5 und 6 WolfsVO NRW – insoweit auf Zitate aus den Schreiben des MUNV vom 22. November 2023 und vom 8. Dezember 2023. Im Schreiben des MUNV vom 22. November 2023 wird ausgeführt:
92„Ein erheblicher wirtschaftlicher Schaden kann mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nur dann angenommen werden, wenn eine mehrfache Überwindung des zumutbaren Herdenschutzes durch dasselbe Individuum nachgewiesen worden ist. Die zukünftig zu erwartenden Schäden sind zu prognostizieren und in begründeter Weise darzulegen. Erforderlich ist eine Gefahrenprognose. Überwindet ein Wolf mehrfach die empfohlenen Schutzmaßnahmen und reißt Weidetiere, kann davon ausgegangen werden, dass ein solcher Wolf gelernt hat, dass Nutztiere eine leicht zu erlegende Beute sind.
93Allerdings darf die Schadensprognose nicht schematisch erfolgen und hängt daher nicht pauschal von einer bestimmten Mindestzahl von Rissvorfällen innerhalb eines Jahres ab. Maßgebend ist vielmehr eine Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls (…)
94Nach der Rechtsprechung des OVG Lüneburg kann dann, wenn ein Wolf mehrfach (mindestens zweimal) in engem zeitlichem Abstand die zumutbaren Schutzmaßnahmen überwindet und Weidetiere reißt, davon ausgegangen werden, dass ein solcher Wolf gelernt hat, dass Weidetiere eine leicht erreichbare Beute sind, und immer wieder einen Weg suchen wird, Schutzmaßnahmen zu überwinden. Dies konnte durch genetische Analysen in mehreren Fällen seit dem September 2023 für die Wölfin "GW954f" belegt werden Insofern muss vor dem Hintergrund der mehrfachen Überwindung des empfohlenen Herdenschutzes in zeitlich-räumlich engem Abstand im Territorium Dämmerwald/Üfter Mark durch Wölfin GW954f von einem in der Zukunft drohenden ernsten wirtschaftlichen Schaden ausgegangen werden (Anlage: tabellarische Auflistung aller Risse der Wölfin GW954f ab 2018 bis Oktober 2023).
95Ausgehend von den festgestellten Schadenfällen und unter Betrachtung der Entwicklung der Nutztierrisse nach Art und Zahl in der Vergangenheit ist die Wahrscheinlichkeit, dass die zur Entnahme vorgesehene Wölfin zukünftig einen ernsten Schaden verursachen wird, hoch. Die Rissereignisse lassen den Schluss zu, dass bei der Wölfin die Angriffe auf die betroffenen Nutztiere als erlerntes bzw. gefestigtes Jagdverhalten anzusehen ist.“
96Das Schreiben vom 8. Dezember 2023 verhält sich zunächst zum Erhaltungszustand der Wölfe und stellt hierzu fest, aufgrund der besten verfügbaren Daten sei bei Erteilung einer Ausnahme zur Entnahme eines einzelnen Individuums nicht von einer Verschlechterung der lokalen Population der Wölfe in der Förderkulisse Münsterland auszugehen. Sodann heißt es weiter:
97„Ernste wirtschaftliche Schäden sind künftig zu erwarten bzw. nicht auszuschließen, wenn keine zumutbaren Alternativen nach § 45 BNatSchG zu den vorhandenen Herdenschutzmaßnahmen umgesetzt werden können. Im Schreiben von Herrn Minister Krischer vom 22.11.2023 wurde u.a. auf die Rechtsprechung des OVG Lüneburg verwiesen. Danach kann bei einem Wolf, der mehrfach (mindestens zweimal) in engem zeitlichen Abstand die zumutbaren Schutzmaßnahmen überwindet und Weidetiere reißt, davon ausgegangen werden, dass ein solcher Wolf gelernt hat, dass Weidetiere eine leicht erreichbare Beute sind, und immer wieder einen Weg suchen wird, Schutzmaßnahmen zu überwinden.
98Dies konnte durch genetische Analysen in mehreren Fällen seit dem September 2023 für die Wölfin GW954f belegt werden. Insofern muss vor dem Hintergrund der mehrfachen Überwindung des empfohlenen Herdenschutzes in zeitlich-räumlich engen Abstand im Territorium Dämmerwald/Üfter Mark durch die Wölfin GW954f von einem in der Zukunft drohenden ernsten wirtschaftlichen Schaden im Sinne von § 5 Abs. 1 WolfsVO NRW ausgegangen werden.“
99Der Kammer erschließt sich hieraus nicht, warum die vom LANUV noch im Juli 2023 gegebene und vom Gericht geteilte Einschätzung, es gebe keine Anzeichen für eine Verhaltensänderung des betreffenden Wolfs, durch die im Abstand von wenigen Tagen im Oktober 2023 erfolgten Rissvorfälle, bei denen der empfohlene Schutz überwunden wurde, die Grundlage entzogen worden sein soll. Die Angriffe der Wölfin GW954f im September 2023 erfolgten jeweils auf Schafe, bei denen zum Schutz der Tiere der Grundschutz nicht gewährleistet war. Dies hat auch für den Übergriff am 2. September 2023 zu gelten, bei dem der Grundschutz mit Mängeln behaftet war. Sämtliche nach dem 24. Oktober 2023 dokumentierten Wolfsangriffe, von denen einer der Wölfin GW954f nachweislich zugeordnet werden kann, erfolgten, ohne dass auch nur der Grundschutz gewährleistet gewesen wäre. Die dokumentierten Rissvorfälle zeigen zwar, dass die Wölfin gelernt hat, auch empfohlene Herdenschutzmaßnahmen zu überwinden. Jedoch verdeutlicht die Risstabelle, dass GW954f sich keinesfalls auf diese Vorgehensweise spezialisiert hat. Mehr als ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang (die Übergriffe erfolgten innerhalb desselben Territoriums Dämmerwald/Üfter Mark) lässt sich aus der Auflistung der Rissvorkommen nicht ablesen. Weder die Tabelle noch die Ausführungen des Antragsgegners in der Allgemeinverfügung oder die Stellungnahmen des LANUV und des MUNV als oberste Naturschutzbehörde lassen erkennen, ob die Wölfin für die zwischen dem 20. Oktober und 24. Oktober 2023 erfolgten Risse, bei denen zweimal ein Schaf und einmal zwei Schafe getötet wurden, immer wieder an den gleichen Ort, womöglich in die gleiche Herde zurückgekehrt ist, um dort Beute zu machen. Auffällig ist zwar der enge zeitliche Zusammenhang, während im Vergleich dazu im Januar und von Mitte März bis Anfang September 2023 kein einziger Angriff der Wölfin auf Nutz-/Weidetiere in der Tabelle verzeichnet ist und für Februar und März 2023 pro Monat nur ein einziger Rissvorfall – jeweils durch GW954f – dokumentiert ist. Diese Abläufe führen aber nicht zwingend auf die Schlussfolgerung, die Wölfin habe ihr schon in den Jahren 2018 bis 2022 gezeigtes Verhalten verändert und schlage nunmehr geradezu „beliebig“ ohne Rücksicht auf vorhandenen Herdenschutz zu, der folglich zukünftig keine Wirksamkeit mehr ihr gegenüber entfalten könne. Vielmehr lassen die vorliegenden Daten nach Einschätzung der Kammer auch den Schluss zu, dass die Wölfin weiterhin leicht erreichbare Beute bevorzugt, sei es in Gestalt unzureichend geschützter Nutz-/ Weidetiere, sei es in Gestalt von Wildtieren, und dass nur in Ausnahmefällen, z.B. bei erhöhtem Nahrungsbedarf zur Versorgung von Nachwuchs oder wegen vorausgegangenen fehlenden Jagderfolgs, auch solche Tiere zum Beuteziel werden, die hinter empfohlenen Schutzzäunen stehen.
100Der von der Europäischen Kommission erstellte Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie,
101vgl. Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie v. 12. Oktober 2021, S. 61 (3-25),
102geht zwar davon aus, dass ein ernster wirtschaftlicher Schaden jedenfalls bei einer mehrfachen (mindestens zweimaligen) Überwindung des zumutbaren Herdenschutzes in engem zeitlichem Abstand mit hinreichender Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden kann, wobei die Rissereignisse nicht denselben Betrieb betreffen müssen und auch die Methode der Überwindung nicht dieselbe sein muss, sofern nur behördlicherseits der Lernerfolg des Wolfes durch das mehrfache Überwinden des zumutbaren Herdenschutzes im engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang festgestellt wurde und damit weitere Schäden an solchen Tierhaltungen drohen. Zugleich wird in dem Leitfaden aber ausgeführt, es müsse hinreichend feststehen, dass es sich um eine gefestigte Jagdstrategie bzw. um einen auf geschützte Weidetiere spezialisierten Wolf handelt. Dabei wird in der Regel davon ausgegangen, dass ein einmaliger Übergriff trotz zumutbaren Herdenschutzes nicht ohne Weiteres wiederholt wird.
103Vgl. Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie v. 12.10.2021, S. 61 (3-25)
104Ähnlich wird in dem Praxisleitfaden der Umweltministerkonferenz,
105vgl. Praxisleitfaden zur Erteilung artenschutzrechtlicher Ausnahmen nach §§ 45 und 45a BNatSchG beim Wolf, insbesondere bei Nutztierrissen in der Fassung UMK-Umlaufverfahren Oktober 2021, S. 17 f.,
106ausgeführt, dass ein ernster wirtschaftlicher Schaden jedenfalls bei einer mehrfachen (mindestens zweimaligen) Überwindung des zumutbaren Herdenschutzes in engem zeitlichem Abstand mit hinreichender Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden könne. Die Rissereignisse müssten hierbei nicht denselben Betrieb betreffen, ein enger räumlicher und zeitlicher Zusammenhang sei ausreichend. Auch müsse die Methode der Überwindung nicht dieselbe sein, sofern nur behördlicherseits der Lernerfolg des Wolfes durch das mehrfache Überwinden des zumutbaren Herdenschutzes im engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang festgestellt werde und damit weitere Schäden an solchen Tierhaltungen drohten. Es müsse hinreichend feststehen, dass es sich um eine gefestigte Jagdstrategie bzw. um einen auf geschützte Weidetiere spezialisierten Wolf handele.
107Gerade diese Feststellung einer gefestigten Jagdstrategie eines auf geschützte Weidetiere ausgerichteten und spezialisierten Wolfes lässt sich – wie ausgeführt – aufgrund der im vorliegenden Verfahren zur Verfügung stehenden Erkenntnisgrundlagen – jedenfalls derzeit – nicht treffen.
108Soweit die Umweltminister/-innen der Länder im Dezember 2023 eine Änderung des Praxisleitfadens Wolf beschlossen haben, wonach Schnellabschüsse in von den Ländern festzusetzenden Regionen mit erhöhtem Rissvorkommen bereits nach erstmaligem Überwinden des zumutbaren Herdenschutzes und dem Riss von Weidetieren durch einen Wolf zeitlich begrenzt für einen Zeitraum von 21 Tagen nach dem Rissereignis und im Umkreis von bis zu 1.000 Metern um die betroffene Weide im betroffenen Gebiet zugelassen werden sollen,
109vgl. Pressemitteilung zur UMK-Beschlussfassung zur Änderung des Praxisleitfadens Wolf, vom 13. Dezember 2023,
110ist diese Regelung noch nicht umgesetzt und daher nicht geltendes Recht,
111Vgl. VG Hannover, Beschluss vom 5. Dezember 2023 - 9 B 4939/23 -, juris Rn. 50,
112weshalb sie vorliegend nicht zur Anwendung kommt.
113Ein drohender ernster landwirtschaftlicher Schaden kann auch nicht etwa mit der Erwägung angenommen werden, dass es in „den maßgeblichen Bereichen Hünxe und Schermbeck – unter Einbeziehung des unmittelbar nördlich angrenzenden Bereichs Hamminkeln“ der Gruppe der Schaf- und Ziegenhaltungen in der Größe von 11-40 Tieren, welche 15 % der Haltungen (38 Schafhaltungen und 3 Ziegenhaltungen) beträfe, nicht zumutbar wäre, Schäden durch empfohlenen Herdenschutz abzuwenden, mit der Folge, dass bei diesen Haltern mehr als geringfügige Schäden von einigem Gewicht zu befürchten seien, die es abzuwenden gelte. Soweit die im Rahmen der Prüfung alternativer Maßnahmen getätigten Ausführungen des Antragsgegners auf S. 19 f. und Seite 22 der Allgemeinverfügung so zu verstehen sein sollten, vermag sich die Kammer dieser Argumentation nicht anzuschließen.
114Zum einen kann – wie oben dargelegt – gerade nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Wölfin GW954f auf Weidetiere spezialisiert hat, weil diese für sie eine leichtere Beute darstellen als Wildtiere, und ihr Jagdverhalten unbeeinflusst davon ist, ob die Weidetiere ohne oder hinter Grundschutz auf der Weide stehen. Davon geht der Antragsgegner offenbar selbst nicht aus. Wäre dies nämlich der Fall, so bedürfte es im Rahmen seiner Argumentation nicht des Rückgriffs auf die Rissereignisse im Oktober 2023, bei denen GD954f den empfohlenen Herdenschutz überwunden hat, die nunmehr zum Anlass genommen werden, die Entnahme der Wölfin zu gestatten. Geht man in Anbetracht des bisher dokumentierten Jagdverhaltens davon aus, dass die Wölfin als opportunistischer Beutegreifer weiterhin leichte Beute bevorzugt, so wird sie auch zukünftig je nach Gelegenheit Wildtiere und Weidetiere ohne oder mit mangelbehaftetem Grundschutz bevorzugen.
115Zum anderen setzt der Antragsgegner bei seiner Gesamtbewertung voraus, dass es keine zufriedenstellende und zumutbare Lösung wäre, bei nur vereinzelt auftretenden Wölfen, die sich auf das Jagen von entsprechend geschützten Weidetieren spezialisiert haben, in der betroffenen Region eine flächendeckende Einzäunung von teils sehr großen, aber kleinparzellierten Weideflächen mit elektrifizierten Zäunen zu implementieren. Neben der lebensraumzerschneidenden Wirkung flächendeckender elektrischer Zäunungen sei insbesondere der unverhältnismäßige Aufwand bei der regelmäßigen Überprüfung auf eventuelle Schwachstellen der enormen Zaunlängen einschließlich des Freihaltens von Bewuchs in der Abwägung der Schutzziele zu berücksichtigen. Die Maßnahmen wie Errichtung höherer Elektrozäune, Behirtung oder Verbringung der Tiere in einen Nachtpferch müssten flächendeckend von sämtlichen Weidetierhaltungen konsequent umgesetzt werden, um sicherzugehen, dass es nicht zu weiteren Rissereignissen komme. Dies überschreite die Grenze des Zumutbaren.
116Jedenfalls bei summarischer Prüfung im Eilverfahren vermag die Kammer jedoch nicht zu erkennen, dass es der vom Antragsgegner genannten Gruppe der insgesamt 41 Schaf- und Ziegenhalter mit einer Herdengröße von 11-40 Tieren nicht zumutbar wäre, Schäden durch den empfohlenen Herdenschutz abzuwenden. Soweit der Antragsgegner auf die lebensraumzerschneidende Wirkung flächendeckender elektrischer Zäune verweist, kann dieser Verweis nicht überzeugen, weil diese Wirkung auch schon bei denjenigen Zäunen eintreten dürfte, die wenigstens den Grundschutz bieten. Gleiches gilt für den behaupteten unverhältnismäßigen Aufwand für die Überprüfung der Zäune auf eventuelle Schwachstellen. Wenn der Antragsgegner hierbei auch die enormen Zaunlängen zur Begründung der Unzumutbarkeit heranzieht, ist mit Blick auf die in Rede stehende Herdengröße von 11-40 Tieren dieses Argument ebenfalls nicht stichhaltig.
117Wäre der genannten Gruppe der 41 Tierhalter in der Region Hünxe, Schermbeck, Hamminkeln aber schon der Grundschutz aufgrund der vom Antragsgegner vorgebrachten Argumente nicht zumutbar, wovon allerdings nicht auszugehen ist, so fehlte es an der Eignung der Entnahme der Wölfin GW954f, weil jeder andere Wolf an ihre Stelle treten und nicht geschützte Weidetiere reißen könnte, sodass sich die abzuwendende Gefahr durch die Maßnahme nicht oder allenfalls für kurze Zeit verringern würde.
1182. Mangelt es mithin bereits an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit für einen drohenden ernsten landwirtschaftlichen Schaden, bedarf es keines Eingehens auf die vom Antragsteller im vorliegenden Verfahren bzw. von den weiteren Antragstellern in den Parallelverfahren aufgeworfenen Fragen,
119ob es vorzugswürdige, zumutbare Alternativen zu der erlaubten Tötung der Wölfin gibt,
120ob die Bewertung des Erhaltungszustands der Populationen der betroffenen Art einer den besten wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechenden Festlegung der relevanten lokalen Population sowie der überregionalen Population entspricht und ob die erhobenen Daten die Feststellung des Antragsgegners rechtfertigen, dass sich der Erhaltungszustand der Populationen bei einer Entnahme der Wölfin GW954f nicht verschlechtert,
121ob die Tötung der Wölfin GW954f geeignet ist, einen – unterstellten – ernsten landwirtschaftlichen Schaden in der Zukunft abzuwenden,
122ob die Verfügung auch ansonsten ermessensfehlerfrei ergangen, insbesondere verhältnismäßig ist,
123und ob die auf Grundlage von § 45a Abs. 2 Satz 1 BNatSchG erfolgte Erstreckung der Ausnahme in Ziff. 2 der Allgemeinverfügung, welche die zielgerichtete Tötung eines weiteren Wolfs gestattet, wenn in Anwendung von Ziff. 1 der Allgemeinverfügung ein Wolf getötet wurde und sich herausstellt, dass es sich hierbei nicht um die Wölfin GW954f handelt, von Art. 16 Abs. 1 FFH-RL gedeckt oder mangels Ermächtigungsgrundlage oder jedenfalls aufgrund fehlerhaft ausgeübten Ermessens rechtswidrig ist,
124die sich angesichts ihrer Komplexität ohnehin einer vertieften und daher verlässlichen Prüfung im summarischen Verfahren entziehen.
125Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
126Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG. Wie im Hauptsacheverfahren ist mangels ausreichender Anhaltspunkte für die Bemessung der wirtschaftlichen Bedeutung der Sache für den Antragsteller der gesetzliche Auffangwert anzusetzen. Dieser Wert wird im Eilverfahren halbiert (vgl. Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).
127Rechtsmittelbelehrung:
128(1) Gegen die Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.
129Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
130Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) eingeht.
131Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.
132Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sind durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
133Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sollen möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
134(2) Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.
135Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
136Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
137Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.
138Die Beschwerdeschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
139War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.