Verfahrensgang bei Gericht
Zuständigkeit des Gerichts, Gang des Hauptverfahrens
Das gerichtliche Strafverfahren unterteilt sich in das Zwischenverfahren und das Hauptverfahren.
Was ist das Zwischenverfahren?
Nach dem Abschluss des Vor- oder auch Ermittlungsverfahrens, übersendet die Staatsanwaltschaft die Ermittlungsakte mit der von ihr gefertigte Anklageschrift an das ihrer Meinung nach zuständige Gericht. Mit Eingang der Akte bei Gericht ist die Anklage erhoben und beginnt das Zwischenverfahren. Im Zwischenverfahren entscheidet das Gericht, ob das Hauptverfahren bei ihm zu eröffnen ist. Dazu prüft es zunächst, ob es für die angeklagte Tat überhaupt örtlich, sachlich und geschäftsplanmäßig zuständig ist. Ist die Zuständigkeit des Gerichts gegeben (zu den verschiedenen Zuständigkeiten siehe unten), stellt es der oder dem Angeschuldigten die Anklageschrift zu und befasst sich mit etwaigen Einwendungen und Anträgen. Wenn nach Auffassung des Gerichts die oder der Angeschuldigte einer Straftat nicht hinreichend verdächtig erscheint, lehnt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Andernfalls beschließt es die Eröffnung des Hauptverfahrens, lässt die Anklage zur Hauptverhandlung zu und bestimmt für diese Verhandlung einen Hauptverhandlungstermin.
Was ist das Hauptverfahren?
Die Hauptverhandlung vor dem erkennenden Gericht ist der Schwerpunkt des Strafverfahrens. Sie findet vor dem nach den gesetzlichen Vorschriften zuständigen Gericht statt. Dabei müssen verschiedene Arten der Zuständigkeit unterschieden werden.
Die Zuständigkeit des Gerichts
Örtliche Zuständigkeit
Die örtliche Zuständigkeit des Gerichts, der sog. Gerichtsstand, kann sich nach verschiedenen Gesichtspunkten richten. So ist örtlich das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Straftat begangen wurde (Gerichtsstand des Tatorts).Darüber hinaus ist auch das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die oder der Angeklagte einen Wohnsitz hat (Gerichtsstand des Wohnsitzes). ferner sieht das Gesetz auch noch den Gerichtsstand des Ergreifungsortes vor.
Sachliche Zuständigkeit
Welches Gericht in sachlicher Hinsicht zuständig ist, hängt von der Art des Tatvorwurfs ab. Je nach der Bedeutung des Falles entscheidet als erste Instanz entweder das Amtsgericht oder das Landgericht. Innerhalb des Amtsgerichts entscheidet eine Strafrichterin oder ein Strafrichter allein über den Fall, wenn keine höhere Strafe als zwei Jahre Freiheitsstrafe zu erwarten ist. Wenn eine Strafe zwischen zwei und vier Jahren zu erwarten ist, entscheidet das Schöffengericht. Das Schöffengericht besteht aus einer Berufsrichterin bzw. einem Berufsrichter (bei umfangreichen Sachen auch zwei Berufsrichtern) und zwei Laienrichterinnen bzw. -richtern, den sog. Schöffinnen bzw. Schöffen.
Wenn eine Strafe von mehr als vier Jahren zu erwarten ist, entscheidet als erste Instanz die große Strafkammer beim Landgericht und zwar regelmäßig mit drei, bei einfacheren Fällen mit nur zwei Berufsrichterinnen bzw. -richtern, und mit zwei Schöffinnen bzw. Schöffen. Bei bestimmten Delikten (z.B. bei schweren Staatsschutzdelikten) ist das Oberlandesgericht die erste Instanz.
Darüber hinaus bestehen Sonderzuständigkeiten. Für Angeklagte, die jünger als 21 Jahre alt sind, sind beim Amtsgericht und beim Landgericht spezielle Jugendgerichte zuständig. Außerdem gibt es für bestimmte Arten von Straftaten spezielle Gerichte , für Tötungsdelikte wie Mord und Totschlag beispielsweise das Schwurgericht - eine besondere Strafkammer am Landgericht.
Geschäftsplanmäßige Zuständigkeit
Wer letztlich in Person entscheidet, richtet sich nach einem vor Beginn jedes Jahres durch das Präsidium (einem Gremium aus gewählten Richterinnen und Richtern) aufzustellenden Geschäftsverteilungsplan. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass sich das im einzelnen Fall zur Entscheidung berufene Gericht nach abstrakten Regeln "ohne Ansehen der Person" bestimmt, dass also niemand seinem "gesetzlichen Richter" entzogen wird. Dies ist ein rechtsstaatlicher Grundsatz, der im Grundgesetz ausdrücklich verankert ist. So heißt es in Artikel 101 Absatz 1 des Grundgesetzes:
Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.
Gang des Hauptverfahrens
Wie läuft die Hauptverhandlung ab?
Die Hauptverhandlung gestaltet sich nach Aufruf der Sache im Sitzungssaal wie folgt:
Zu Beginn wird die oder der Angeklagte zunächst über die persönlichen Verhältnisse vernommen. Dann verliest die Staatsanwältin oder der Staatsanwalt die Anklageschrift. Der oder dem Angeklagten wird dann Gelegenheit gegeben, sich zur Sache zu äußern. Dabei können alle zu Gunsten sprechenden Umstände vorgebracht werden. Es besteht aber auch das Recht ganz oder teilweise zu schweigen und Fragen nicht zu beantworten, worüber das Gericht belehrt. Während dieser Zeit sind die geladenen Zeuginnen und Zeugen nicht im Sitzungssaal anwesend, sondern müssen vor dem Saal warten. Nach der Vernehmung schließt sich die Beweisaufnahme an. Dabei muss sich das Gericht durch Vernehmung der Zeuginnen und Zeugen und Sachverständigen, durch Verwertung von Urkunden und sonstigen als Beweismitteln, u.U. sogar durch eine Ortsbesichtigung, selbst ein Bild von der Richtigkeit des Anklagevorwurfs machen. Nach jedem Beweis werden die Beteiligten befragt, ob hierzu etwas erklärt werden soll Nach dem Schluss der Beweisaufnahme werden die Plädoyers gehalten. Zuerst plädiert die Staatsanwaltschaft und dann plädiert der Verteidigung. Zum Schluss wird die oder der Angeklagte befragt, ob sie er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung ausführen möchte. Die Angeklagten haben daher in jedem Fall das letzte Wort, bevor sich das Gericht zur Beratung zurückzieht.
Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus der Verhandlung geschöpften Überzeugung (Grundsatz der freien Beweiswürdigung). Kann das Gericht die Überzeugung von der Schuld nicht gewinnen, bleiben also letzte Zweifel bestehen, so darf es nicht verurteilen ("Im Zweifel für den Angeklagten"), mag auch mehr für die Wahrscheinlichkeit der Schuld sprechen. Hat das Gericht keinen vernünftigen Zweifel an der Schuld, kommt es zur Verurteilung.
Die Hauptverhandlung schließt mit der Verkündung des Urteils. Es wird "Im Namen des Volkes" durch Verlesung der Urteilsformel und Mitteilung der Urteilsgründe verkündet. Damit ist das Verfahren in erster Instanz abgeschlossen.
Wird gegen das Urteil weder von der Staatsanwaltschaft noch von den Verurteilten ein Rechtsmittel (Berufung/Revision) eingelegt, oder bleibt das Rechtsmittel erfolglos, so wird das Urteil rechtskräftig. Ein Wiederaufnahmeverfahren nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens ist nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig. Die Vollstreckung des Urteils liegt, von Verfahren gegen Jugendliche abgesehen, bei der Staatsanwaltschaft.
Verständigung in Strafsachen
Die zulässige verfahrensabkürzende Verständigung (im Sinne einer Urteilsabsprache im Rahmen der Hauptverhandlung) ist nur in engen Grenzen zulässig.
Dies gilt schon deswegen, weil der staatliche Strafanspruch gegen eine straffällige Person nicht vom Gericht oder der Staatsanwaltschaft verhandelt werden kann.
Verständigungen beziehen sich regelmäßig darauf, dass für den Fall eines Geständnisses ein konkreter Strafrahmen durch das Gericht zugesagt wird. Dennoch muss das Geständnis überprüft werden.
Die sich hieraus möglicherweise ergebende (häufig erhebliche) Abkürzung der Hauptverhandlung ist regelmäßig für alle Verfahrensbeteiligten sinnvoll. Sie ist insbesondere auch aus staatlicher Sicht ressourcensparend (alleine wegen der freiwerdenden Arbeitskraft der auf Justizseite Beteiligten) und kostendämpfend (z. B. die erheblich reduzierten Kosten für eine Beweisaufnahme).
An die Verständigung ist das Gericht gebunden, wenn die Hauptverhandlung nicht eine wesentliche Veränderung der Sachlage ergibt. Bei der Bestimmung der Strafober- und untergrenze muss das Gericht die allgemeinen Strafzumessungserwägungen heranziehen. Die sich unter Beachtung des zugesagten Strafrahmens ergebende Strafe muss nach wie vor schuldangemessen, also darf nicht offensichtlich zu milde oder zu hoch sein.
Die Absprache kann sich nur auf die Strafe, nicht auf den Schuldspruch (z. B. „wegen Totschlags“, „wegen Mordes“ oder „wegen Raubes“ usw.) beziehen, weil die rechtliche Beurteilung der Tat nicht verhandelt werden kann.
Die getroffene Verständigung darf sich ebenfalls nicht darauf beziehen, dass das Urteil rechtskräftig werde, also von den Beteiligten nicht mit einem Rechtsmittel angegriffen wird, womit es einer Überprüfung durch ein Obergericht entzogen wäre. Die oder der Angeklagte ist in keinem Fall gehindert – auch in Anbetracht einer Verständigung und entgegen der Empfehlung seiner Verteidigung – gegen das Urteil ein Rechtsmittel einzulegen. Hierüber ist er durch das Gericht gesondert zu belehren (sog. „qualifizierte Rechtsmittelbelehrung“).
Einstellung des Verfahrens wegen geringer Schuld
Sowohl im Ermittlungsverfahren als auch in der Hauptverhandlung können Staatsanwaltschaft und Gericht übereinstimmend von der Verfolgung von Vergehen absehen und das Verfahren einstellen, wenn die Schuld der Täterin oder des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. In der Praxis wird von dieser Vorschrift (§ 153 StPO) häufig bei erstmaligen Taten Gebrauch gemacht, die sog. Bagatelldelikte (bspw. Ladendiebstähle, Schwarzfahrten) darstellen.
Einstellung des Verfahrens unter Auflagen und Weisungen
Bei übereinstimmender Beurteilung durch Gericht und Staatsanwaltschaft kann das Verfahren auch dann eingestellt werden, wenn die Schwere der Schuld nicht entgegensteht und das an sich bestehende öffentliche Interesse an der Strafverfolgung durch die Erfüllung von Auflagen und Weisungen durch die Beschuldigte oder den Beschuldigten beseitigt werden kann.
Die praktisch bedeutsamste Auflage bei Anwendung dieser Vorschrift (§ 153a StPO) ist die Zahlung eines Geldbetrages an eine gemeinnützige Einrichtung.
Einstellung des Verfahrens bei anderer Strafe
Außerdem kann ein Verfahren eingestellt werden, wenn die hieraus zu erwartende Strafe neben einer bereits verhängten oder zu erwartenden Strafe nicht wesentlich ins Gewicht fiele (§ 154, § 154a StPO).
Verantwortlich: Der Präsident des Oberlandesgerichts Köln, Stand: 2025