
Quelle: Justiz NRW
Landessozialgericht NRW: Brillengläser - Jobcenter als Ausfallbürge der Krankenkasse
Wird ein tatsächlich bestehender, medizinischer Bedarf von der Krankenkasse nicht gedeckt, ist der Grundsicherungsträger für eine entsprechende Leistungsgewährung verantwortlich.
Essen. Dies hat das Landessozialgericht (LSG) in seinem mittlerweile rechtskräftigen Urteil vom 19.02.2025 entschieden (L 12 AS 116/23).
Die Klägerin bezieht Bürgergeld vom beklagten Jobcenter Köln. 2019 kaufte sie eine Gleitsichtbrille. Bei einem Sturz 2020 wurden die Gläser beschädigt. Den Antrag der Klägerin auf Übernahme der Kosten für zwei neue Brillengläser (780 €) lehnte der Beklagte ab. Ihre Klage wies das SG Köln ab.
Das LSG hat das Urteil auf die Berufung der Klägerin hin geändert und den Beklagten zur Zahlung von 256 € verurteilt. Die Reparaturkosten der Brille seien nicht vom Regelbedarf umfasst. Bedarfe für die Reparatur von therapeutischen Geräten würden nach § 24 Abs. 3 Satz 2 SGB II gesondert erbracht. Der grundsätzlich vorrangige Anspruch gegen die gesetzliche Krankenversicherung sei ausgeschlossen gewesen, weil die Klägerin den Beschaffungsweg nicht eingehalten habe. Für den vorliegenden Fall, dass ein tatsächlich bestehender, medizinischer Bedarf von einer Krankenkasse nicht gedeckt werde, sei der Beklagte für eine entsprechende Leistungsgewährung verantwortlich und damit Ausfallbürge der gesetzlichen Krankenversicherung. Das sozialrechtlich zu gewährende menschenwürdige Existenzminimum aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art 20 Abs. 1 GG umfasse auch die Sicherstellung einer ausreichenden medizinischen Versorgung. Die Stellung des Grundsicherungsträgers als „Ausfallbürge“ komme nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung dann in Betracht, wenn mangels anderer gesetzlicher Ansprüche insoweit die Verpflichtung bestehe, das menschenwürdige Existenzminimum von Verfassungs wegen durch andere Rechtsansprüche zu gewährleisten. Der Grundsicherungsträger sei daher verpflichtet, das medizinische Existenzminimum durch Übernahme der Kosten für die Brillenreparatur für den Fall sicherzustellen, dass diese tatsächlich nicht von der Krankenkasse übernommen würden.
Der Anspruch der Klägerin sei der Höhe nach jedoch auf das medizinisch Notwendige begrenzt. Eine Kostenbeteiligung i.H.v. 256 € für Gläser aus Standardmaterial wäre als Sachleistung der Krankenkasse möglich gewesen. Es bestehe kein Anspruch auf eine Versorgung mit den gewählten Gläsern aus höherbrechendem Material.